Claus Peymann war an den ersten beiden Tagen des Theatertreffens sehr gegenwärtig: Bei der Eröffnung am Sonnabend hatte er draußen vor dem Festspielhaus einen Tisch aufstellen lassen, flankiert von Scheinwerfern und bepackt mit den Büchern, die zu seinem Abschied von der Intendanz des Berliner Ensembles erschienen sind. Und Peymann, der 79-jährige Theaterkönig, saß auf einem Stuhl daneben und hielt Hof.
Und am Sonntag, als Herbert Fritsch den Theaterpreis Berlin bekam – der von der Stiftung Preußische Seehandlung verliehen wird und mit 20.000 Euro dotiert ist – und Volksbühnen-Intendant Frank Castorf eine launige Laudatio hielt, da erwähnte er ausdrücklich seinen Freund Claus Peymann – beide verbindet der unfreiwillige Abgang. Verantwortlich für den Rauswurf zweier Theatergrößen ist der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD), der am Sonntag eigentlich den Preis hätte übergeben sollen. Er war zwar noch in der Einladung angekündigt, ließ sich aber vertreten. Von einem bekennenden Anhänger von Castorf und der Volksbühne, durch Kultursenator Klaus Lederer (Linke). Das war der guten Stimmung im Saal zuträglich.
Lederer, der sich noch vor der Abgeordnetenhauswahl gegen die neue Leitung an der Volksbühne ausgesprochen hatte und später, als Kultursenator, klein beigeben musste, hielt sich diplomatisch zurück. Kämpfte ein wenig mit der Größe des Preises bei der Übergabe – aber das passte zu einer Verleihung, die so kurzweilig war wie eine Inszenierung des Ausgezeichneten.
Seine Schauspieler waren gekommen, darunter Wolfram Koch und ChrisTine Urspruch mit ihrer Marge-Simpson-Turmperücke aus „Die (s)panische Fliege“, um den Rahmen für die Verleihung mit vielen Anspielungen aus Fritsch-Arbeiten zu gestalten. Sebastian Blomberg – der am Münchner Residenztheater in Fritschs „Der Revisor“ einen tänzelnden Auftritt mit den Worten „Ferse hin, Verse her“ kommentierte – joggte nur mit Unterhose bekleidet rauchend über die Bühne, legte am Rednerpult eine Pause ein, stieß Rauchkringel aus, schaute zu Fritsch herunter und stellte mit einem Blick auf den Bungalow hinter ihm (das Bühnenbild der Basler „Drei Schwestern“-Produktion stand noch im Festspielhaus) fest: „Herbert, du bekommst ja ein schönes Haus!“
Auch Fritsch, einer der langjährigen Wegbegleiter von Frank Castorf an der Volksbühne, erst als Schauspieler und später als Regisseur, wurde ja durch den Intendanzwechsel zu Chris Dercon heimatlos; mittlerweile hat sich die Schaubühne seiner Dienste ab der kommenden Saison versichert. Castorf erinnerte in seiner Würdigung („Ich halte keine Laudatio, das mache ich nie“) an die erste gemeinsame Arbeit in München. Damals existierten noch zwei deutsche Staaten und Castorf löste mit seiner „Miss Sara Sampson“-Inszenierung fast so einen langen Buh-Sturm aus wie später in Bayreuth bei seinem „Der Ring des Nibelungen“ .
„Drei Schwestern“ mit neuem Text
Keine Buhs, aber viel Applaus gab es bei der Eröffnung des 54. Theatertreffens. Der Auftakt ist ja immer ein bisschen schwierig, das verwöhnte Berliner Publikum gilt als kritisch, besonders wenn eine Produktion nicht aus einer der Hochburgen des deutschsprachigen Theaters kommt.
Mit den „Drei Schwestern“ gab es vermeintlich einen Klassiker. Regisseur Simon Stone vom Theater Basel hat sich von Tschechow anregen lassen und seine Figuren und die Struktur des Stücks weitgehend übernommen, dafür aber keinen einzigen Satz des Dramatikers verwendet. Überschreibung nennt sich diese derzeit auf den Bühnen recht beliebte Methode, die in dieser Inszenierung erstaunlich gut funktioniert.
Die Geschwister treffen sich und ihre Freunde im Ferienhaus der Familie, zwei Akte lang trotzt die Stimmung aufkeimenden Konflikten, im Schlussteil dominiert dann die Tragödie. Geredet wird im heutigen Prenzlauer-Berg-Jargon, gespielt wird in dem transparenten Bungalow (Bühne: Lizzie Clachan) oft parallel, es wird gesungen, gesoffen, gevögelt, gestritten und geträumt. Alles sehr gegenwärtig – und trotzdem hat das Ganze auch noch was von Tschechow: Die Suche nach dem Glück.
Ein gigantisches Puppenhaus steht auf der Bühne Die letzten Tage des Claus Peymann am Berliner Ensemble„Theater ist deutsche Kunstform“Berliner Theatertreffen: Zwischen Wunsch und Wirklichkeit