Berlin. Der Sportfilm ist ja eigentlich das langweiligste, das vorhersehbarste aller Filmgenres. Ein junger Sportler will nach oben, tut alles dafür, hat zwischendurch aus dramaturgischen Gründen meist einen Hänger, um am Ende umso strahlender – und meist in Zeitlupe – zu siegen.
Gefühlt 90 Prozent aller Sportfilme funktionieren so. Wenn die dann auch noch auf wahren Begebenheiten beruhen, ist der Überraschungsmoment gleich Null. Könnte man meinen. Aber dann kommt ein Film wie „Eddie the Eagle“ und wirft all diese Klischees über den Haufen.
Schon als kleiner Junge träumt er von Olympia
Dexter Fletchers Film über den Skispringer Michael Edwards ist der warmherzigste Sportfilm seit Äonen. Und schafft die Kunst, auch all jene abzuholen, die mit dem Sportfilm im Allgemeinen oder dem Skispringen im Besonderen nichts anfangen können. Denn im Grunde geht es hier um einen Menschen wie du und ich, der inmitten all der Sportprofis eigentlich nur eins will: dabei sein. Aber gleich bei den höchsten aller Sportgefühle: den Olympischen Spielen.
Davon träumt Michael Edwards in diesem Film schon als ganz kleiner Bub. Wenn er Disziplinen trainiert, die es gar nicht gibt. Und an der Bushaltestelle auf den Bus nach Olympia wartet. Von seinem Traum lässt er sich auch nicht abhalten, als ihn seine weiche Knie ein Jahr ans Krankenhaus fesseln.
Mit seinem Tatendrang schafft er es immerhin bis in den britischen Kader für Skifahrer. Bis ihn das Komitee dann doch aussiebt. Mit seinen dicken Brillengläsern, seltsamen Grimassen und täppisch-unbeholfenen Auftreten passt er so gar nicht zum Bild eines Vorzeigesportlers, der gar eine Nation vertreten könnte.
Profisport lernen in wenigen Monaten
Aber nicht einmal das hält den jungen Mann aus der Arbeiterklasse von seinem großen Traum ab. Tritt er eben in einer Disziplin an, für die Großbritannien seit Jahrzehnten nicht antritt und in der er ergo niemanden ausstechen muss: dem Skisprung.
Auch wenn Michael Edwards sich in dieser hochriskanten Sportart noch nie ausprobiert hat. Woraufhin andere ein halbes Leben lang trainieren, das will er in wenigen Monaten nachholen. Auch wenn er dabei immer der Letzte ist.
Das klingt, zugegeben, eher nach einem absurden Film. Manchmal schreibt das wahre Leben halt die unglaublichsten Drehbücher. Die Älteren mögen sich noch erinnern, die Jüngeren dagegen staunen, wie Edwards bei den Olympischen Spielen 1988 im kanadischen Calgary nach seinen Sprüngen wahre Veitstänze aufführte und die Herzen von Millionen mehr rührte als die Profis, die alle viel, viel weiter sprangen.
Unweigerlich haben die Massen in diesem Außenseiter einen der ihren erkannt, der noch an das Ursprüngliche des Sportgedankens glaubte und dafür brannte: Dabeisein ist alles. Das genaue Gegenteil dessen, was viele von dem wohlberechnenden und korrupten Profibusiness abschreckt. Dabei werden dem jungen Underdog bis zuletzt Knüppel zwischen die Beine geworfen, um ihn von der Teilnahme auszuschließen. Selbst die Olympioniken aus dem eigenen Land treiben sehr unsportliche Späße mit ihm. Aber sie alle müssen am Ende zusehen, wie er ihnen die Schau stiehlt. Und als Sportler der Herzen dasteht.
Hugh Jackman spielt auch die zweite Geige gut
Das darf man ruhig alles erzählen. Ist ja alles bekannt und auf Youtube im Original nachzuschauen. Aber wie das von dem eher unbekannten irischen Regisseur als Feelgoodmovie inszeniert ist (bei der auch Christopher Waken und Iris Berben Gastauftritte absolvieren), das muss man gesehen haben. Als Michael Edwards, der bald nur noch Eddie genannt wird, ist Englands jüngste Nachwuchshoffnung, Taron Egerton, zu erleben.
In der Agentenparodie „Kingsman“ wurde er kürzlich zu einem gutaussehenden Working-Class-Bond trainiert. Bevor der Film in eine zweite Runde geht, mutiert er hier zu dem eher unattraktiven Edwards, hinter dessen Erscheinung er kaum wiederzuerkennen ist. Wer glaubt, dass Egerton dabei zuweilen zu dick auftrage, muss sich unbedingt mal den echten Egerton anschauen.
So einer zwischen lauter Athleten, das wird zu einer Metapher, zu einem Allzweckpassepartout weit über die Sportwelt hinaus. Zu einem Grundoptimismus, der nirgends so überzeugend zelebriert wird wie im Kino: Du kannst es schaffen. Heute könnte sich so einer in einer Castingshow oder im Big-Brother-Container austoben, damals aber musste man sich noch realen Herausforderungen stellen.
Das Ganze aber gewinnt seine Dynamik erst durch das Verhältnis zwischen dem Jungen, der unbedingt auf die Schanze will, und einem Alten, der dort war, es aber verbockt hat und darüber zum Zyniker wurde. Hugh Jackman zeigt hier, dass er auch mal überzeugend die zweite Geige spielen kann.
Wie seine fiktive Trainer-Figur Bronson Peary vom Quartalssäufer, der sich erst überreden lassen muss, zum Antreiber wird, der es noch mal allen zeigen will, die auch ihn Jahre lang verspottet haben, ist absolut sehenswert.
Und immer an Bo Derek danken
Einschließlich seiner Sprungübungen mit einem angeschnallten Eddie auf einem Autodach und dem wohl seltsamsten, aber kinowirksamen Spruch: „Denk beim Sprung immer an Bo Derek.“ Auch wenn sich an den Kurvenstar der 80er zwischenzeitlich auch nicht mehr jeder erinnern wird.
Das Skispringen, sagt der junge Olympiasieger Matti Nykänen (Edvin Endre) einmal zu Eddie, ist Freiheit. Das Springen, sagt sein Trainer, ist wie ein Orgasmus. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Und die Idee des Sports gewinnt hier ihre Unschuld zurück. Zumindest für eine kurze Zeit. Das Olympische Komitee hat gleich nach Calgary die Aufnahmestatuten geändert, damit Quereinsteiger wie Edwards keine Chance mehr haben.