Links stehen drei Stühle, für den Verteidiger, für den Staatsanwalt, für den Richter. Auf der rechten Seite ist ein einzelner Stuhl, daneben ein Waschbecken. Das Bühnenbild wird von Fototapeten umrahmt, auf denen Trümmerfelder abgebildet sind. Eine karge Veranstaltung, man meint, das Putzmittel für Linoleum zu riechen.
Das Publikum hat mit dem Kauf der Theaterkarte die Rolle der Schöffen übernommen. Es stehen zwei Türen bereit, „schuldig“ steht auf der einen, „unschuldig“ auf der anderen. Es gibt zwei Enden des Stückes, die Richterin hat einen Text für den Freispruch, einen für die Verurteilung. Die Richterin spricht zum Publikum, umrahmt von Verteidigerin und Staatsanwältin. Sie sagt, dass ein Richter die Kategorie des Bösen nicht kenne. Sie sagt, dass die Urteile nicht Hölle und Verdammnis seien, sondern Freispruch, Gefängnis oder Sicherungsverwahrung. Sie sagt: „Denken Sie daran, dass vor Ihnen ein Mensch sitzt, er hat die gleichen Träume wie Sie, er hat die gleichen Bedürfnisse, er strebt, wie Sie, nach Glück. Bleiben sie deshalb bei Ihrem Urteil selbst Menschen.“
„Terror“ heißt das Stück, bei dem wir Menschen bleiben sollen, es wird am 3. Oktober in Frankfurt am Schauspielhaus und in Berlin am Deutschen Theater uraufgeführt, die Nachfrage ist groß, auf 14 Bühnen in Deutschland steht es in dieser Saison auf dem Spielplan. Ihr Ausmaß überrascht nicht, ist der Autor doch Ferdinand von Schirach, der in Berlin lebende Anwalt. Er hat mit seinen Kriminalerzählungen eine schöne Erfolgsgeschichte hingelegt. Seine Bücher funktionieren national wie international, werden selbst in Japan zum Bestseller, sie werden verfilmt, mal geglückt wie die TV-Reihe „Verbrechen nach Ferdinand von Schirach“, mal weniger gelungen wie „Glück“, dem Kinofilm von Doris Dörrie. Augenscheinlich ist, dass es eine weltweite Nachfrage nach schnörkelloser, in seiner Präzision amerikanisch verankerter Literatur gibt, die zudem unter dem schaurigen wie unwiderstehlichen Verdacht steht, diese Fälle könnte Ferdinand von Schirach selbst während seiner Anwaltskarriere erlebt haben.
Bei „Terror“ – seinem ersten Theaterstück – ist der Kitzel ein anderer, das Stück verhandelt einen Terror, den wir noch nicht erlebt haben, der aber nach den Anschlägen des 11. September 2001 in den Bereich des Vorstellbaren gerückt ist.
Eine extreme Entscheidung in einer extremen Situation
Es geht um Folgendes: Ein Flugzeug wird entführt, es ist auf dem Weg nach München, der Terrorist kündigt an, dass es in die voll besetzte Allianz-Arena fliegen wird, in der ein Länderspiel stattfinden soll. 70.000 Menschen sind in dem Stadion, in dem Flugzeug sitzen 264 Menschen. Der Entführer reagiert nicht auf Funksprüche, wir wissen nicht, was sich in der Maschine abspielt, das Flugzeug hält Kurs. Kurz vor München entscheidet sich einer der beiden Piloten der Kampflugzeuge, die Lufthansa-Maschine abzuschießen. Es ist Lars Koch, Familienvater, Musterschüler, ein hochintelligenter Mann. Eine extreme Entscheidung in einer extremen Situation. „Dürfen wir Unschuldige töten, um andere Unschuldige zu retten?“, fragt die Staatsanwältin in dem Schlussplädoyer.
Acht Tage vor der Premiere am kommenden Sonnabend treffen wir Hasko Weber. Der Dresdner, Jahrgang 1963, war acht Jahre lang Intendant am Staatstheater Stuttgart, seit 2013 ist er Generalintendant am Weimarer Nationaltheater, in Berlin hat er lange Zeit nichts inszeniert, 2004 war er im Berliner Ensemble mit „Die Räuber“. Er ist lange im Geschäft, auffällig ist, wie wenig Interviews mit ihm geführt wurden.
Warum findet das Stück nicht im Gericht statt, so wie es von Schirach aufgeschrieben hat, sondern im Gefängnis? „Der Prozess ist ja tatsächlich eine Erfindung. Man sollte nicht so tun, als ob“, sagt er. Eine interessante Haltung, glaubte man doch bislang, das gesamte Theatergeschäft sei eine Als-ob-Veranstaltung. Was er denn meint, ist die Entscheidung des Abschusses eine einzelne Entscheidung oder eine des Korps, die also von der Bundeswehr getragen werde? „Das muss der Zuschauer entscheiden“, sagt er. Für welche Seite – also ob der Pilot schuldig oder unschuldig gesprochen wird – sich der Zuschauer wohl entscheiden wird? „Ich möchte mich nicht an Spekulationen beteiligen“, sagt er. Was ist das Besondere an dem Stück? „Die Kernfrage dahinter: Ist unsere Verfassung als Grundbaustein in der Gesellschaft relevant oder gelten andere Dinge?“ Man kann nicht sagen, dass man nach dem 45-minütigen Treffen schlauer geworden ist.
Eine halbe Stunde darf man den Proben beiwohnen. Timo Weisschnur ist der Angeklagte, Franziska Machens die Staatsanwältin. Beide spielen ihre Rollen selbstbewusst, kühl emotional, professionell, so wie sie vom Stück angelegt sind. Bedenklicher ist, was Almut Zilcher als Vorsitzende mit divahaftem Overacting da zusammenspielt, ist ein Richter doch selten eine dramatische Persönlichkeit.
„Keiner kann wertvoller sein als ein anderer“
Ferdinand von Schirach beschäftigt seit Jahren die Frage, wie belastbar unsere rechtsstaatlichen Prinzipien sind. Dass die Würde nicht angetastet werden darf, ist der erste Satz des Grundgesetzes. Indem der Angeklagte die Maschine abschießt, macht er aus den Passagieren Objekte und nimmt ihnen damit ihre Würde, argumentiert die Staatsanwältin. Ferdinand von Schirach teilt diese Meinung: „Der Staat kann ein Leben niemals gegen ein anderes Leben aufwiegen. Keiner kann wertvoller sein als ein anderer, eben weil Menschen keine Gegenstände sind“, hat er vor zwei Jahren im „Spiegel“ geschrieben.
In seinem Theaterstück hat er der Verteidigung genügend Argumente an die Hand gegeben, geradezu verführerisch viele, ganz so, als wolle er die Belastbarkeit der Prinzipien gegenüber der Moral der Einzelnen überprüfen.
Deutsches Theater, Schumannstr. 13.
Am 3.10. um 19.30, 6./16./22.10. um 20 Uhr