In der fast 200 Jahre alten Charlottenburger Gipsformerei werden hochwertige Kopien wertvoller Skulpturen, Plastiken und Ornamente angefertigt.

Gipsformerei – das klingt ein bisschen nach Souvenirfabrik. Tatsächlich aber ist die Einrichtung der Staatlichen Museen zu Berlin ein unschätzbares Archiv der menschlichen Kulturgeschichte und das dort gepflegte Handwerk hohe Kunst. Jeder kann in der Gipsformerei an der Sophie-Charlotten-Straße 17/18 in Charlottenburg Repliken berühmter Kunstwerke bestellen. Zu den Kunden gehören Museen, Universitäten, Architekten, Künstler oder Privatsammler.

Andreas Schipka retuschiert den Gips-Kopf von Caesar, um eine Blase unter dem linken Auge zu entfernen
Andreas Schipka retuschiert den Gips-Kopf von Caesar, um eine Blase unter dem linken Auge zu entfernen © David Heerde | David Heerde

7.20 Uhr Grundsätzlich werden in der Gipsformerei zwei Gipssorten verwendet. Der etwas weichere Stuckgips, der schneller aushärtet, und der Supraduo Alabastergips, der härter ist und dafür etwas länger braucht. Um Gaius Julius Caesar eine Blase unter dem linken Auge wegzuretuschieren, nimmt Andreas Schipka den Stuckgips. In einer kleinen Glasschale rührt er ihn mit Wasser an. Mit dem Antragspachtel glättet er dem römischen Imperator die Wange. Kleine Bläschen oder Grate sind bei Gipsabdrücken nicht zu vermeiden und müssen in Handarbeit ausgebessert werden.

8.50 Uhr Bereits im Hausdurchgang und in den Treppenhäusern hängen Abgüsse antiker Reliefs, mittelalterlicher Altare und mesopotamischer Tierabbildungen. Voller Enthusiasmus präsentiert Leiter Miguel Helfrich seine Sammlung, für die der Platz kaum reicht. „Mit mehr als 7000 gesammelten Formen sind wir die größte Einrichtung dieser Art weltweit“, sagt Helfrich. „Vorbild war einst die berühmte Gipsformerei in Paris, die aber heute wesentlich kleiner ist.“ 1819 wurde die Berliner Gipsformerei gegründet, niemand geringeres als der Bildhauer Christian Daniel Rauch war ihr erster Direktor. „Unsere Spezialität sind größere Exponate“, sagt Helfrich, „das älteste abgeformte Original ist die 25.000 Jahre alte Venus von Willendorf, zu den größten zählen die über 40 Meter langen Ost- und Westgiebel eines griechischen Zeustempels.“ Archiviert sind auch etwa 500 Formen, deren Originale inzwischen nicht mehr existieren.

10.10 Uhr Kaum zu erkennen ist Johann Wolfgang Goethe unter dem Gewimmel hunderter Bienen. Die krabbeln über seine aus Wach geformte Lebendmaske und transformieren sie nach und nach in ein Kunstobjekt. Der Abdruck ist dabei, zu einem Werk der Künstlerin Bärbel Rothhaar zu werden, die schon seit mehr als fünfzehn Jahren mit Bienen arbeitet. In speziell angefertigten Kästen lassen sich die Umwandlungsprozesse gut beobachten, später werden daraus häufig Videoinstallationen. Auch für solche Projekte ist das Formenarchiv eine echte Fundgrube.

Um die Form Nr. 670 aus dem Regal zu bugsieren, müssen Wolfgang Zülke und Werkstattleiter Stefan Kramer gemeinsam anpacken, denn sie wiegt gut fünfzig Kilogramm.
Um die Form Nr. 670 aus dem Regal zu bugsieren, müssen Wolfgang Zülke und Werkstattleiter Stefan Kramer gemeinsam anpacken, denn sie wiegt gut fünfzig Kilogramm. © David Heerde | David Heerde

11.30 Uhr Humboldt, Grimm, Schiller oder Herder – neben vielen anderen stehen auch die meisten berühmten Namensgeber von Berliner Straßen Seite an Seite in den Regalen des Archivs, wo gefertigte Abgüsse ausgestellt sind. Größer sind nur die Dimensionen des Formenlagers: In hohen Regalen lagern auf 1300 Quadratmetern Formen. Um die Form Nr. 670 aus dem Regal zu bugsieren, müssen Wolfgang Zülke und Werkstattleiter Stefan Kramer gemeinsam anpacken, denn sie wiegt gut fünfzig Kilogramm. „Die Kernform einer Doppelherme von Herodot und Thukydides aus einem Museum in Neapel“, sagt Zülke. Das Original ist aus Marmor und unverkäuflich, die Kopie aus der Gipsformerei kann man für etwa 3000 Euro erwerben und zu Hause ausstellen.

12.15 Uhr Sandro Di Michele hat die Naht einer Nofretete abgetragen, jetzt wird sie geglättet und „endgetuscht“. Di Michele ist Spezialist für Acrystral. So nennt sich eine Spezialmischung aus Gips und einer Acrylmilch, die fester und witterungsbeständiger ist, als reines Gips. Sie wird für das neue, durch und durch schwarze Blindenmodell der Nofretete im Neuen Museum verwendet. „Das alte sieht längst nicht mehr so schön aus vom vielen Anfassen.“ Das neue Modell ist komplett durchgefärbt und soll länger halten.

13.40 Uhr Marokkanisch Ocker, braune Erde von Otranto oder ägyptisch Blau – wenn möglich, arbeiten die Skulpturenmaler mit Originalfarben. „Das ist manchmal sehr teuer“, sagt Susanne Grimm. Ägyptisch Blau etwa kostet pro Gläschen um die dreihundert Euro. Ob das Original aus Rosengranit, Bronze oder altem Holz ist, „das Ziel ist immer, dass selbst Experten aus einem halben Meter Entfernung nicht den Unterschied bemerken“. Dazu müssen Skulpturenmaler auch die Geschichte eines Kunstwerkes kennen, schließlich verändert sich die Patina, je nach dem, ob ein Objekt Tausende Jahre im Wüstensand begraben lag oder an der Fassade eines Tempels verwitterte.

Im Shop der Gipsformerei kann bei Martina Wünsch kostengünstig so manche Kopie ansonsten unerschwinglicher Kunstwerke gekauft werden
Im Shop der Gipsformerei kann bei Martina Wünsch kostengünstig so manche Kopie ansonsten unerschwinglicher Kunstwerke gekauft werden © David Heerde | David Heerde

15.00 Uhr Wer sich ein Bild vom Angebot der Gipsformerei machen will, sollte den Verkaufsraum besuchen, der täglich geöffnet ist. „Dort wird aus jeder Epoche und jeder Kunstrichtung etwas gezeigt“, sagt Martina Wünsch, „man kann sich auch einen Eindruck davon verschaffen, welche Materialien wir imitieren.“ Das Hauptgeschäft findet über das Internet statt, einen großen Teil des Tages beantwortet Wünsch Anfragen per E-Mail.

16.10 Uhr Größere Modelle wie das des berühmten Herakles Fanese müssen in Einzelteilen gegossen und dann zusammengebaut werden. Zwei Unterteile des antiken Helden sind bereits passgenau zusammengesetzt. Jetzt müssen Jan Bürgel und sein Kollege noch mit den Gipshobeln die Unterkante der Standfläche glätten. Das Modell wird ein Ausstellungsobjekt für die 200-Jahrfeier in vier Jahren. Der international gefeierte Künstler Jeff Koons hat aber auch schon drei bestellt. Koons peppt die Skulpturen mit eigenen Ideen auf und verkauft seine Werke dann weiter – um ein vielfaches teurer.

17.20 Uhr Am laufenden Band gießt Wolfgang Kluge Stuckelemente aus dem Innenbereich des ehemaligen Berliner Stadtschlosses. Aus gegebenem Anlass werden die historischen Vorlagen versuchsweise in vergleichsweise preiswerter Serie produziert. Kluge gießt die Gipsmischung schrittweise in die Formen. „Zwischendrin muss ich sie dann immer mal aufstuckern, um die Luftblasen nach oben zu klopfen, dann spritze ich ein bisschen Spiritus drüber, was sie zum Platzen bringt.“ Ist die Form voll, lässt Kluge sie einige Minuten ziehen, streift mit der Ziehklinge überschüssiges Material ab, bringt einen Aufhänger ein und streicht anschließend nochmals alles glatt. „Nach etwa vierzig Minuten ist der Gips abgebunden.“

In der Packerei wird kostbare Fracht zum Versand fertig gemacht.
In der Packerei wird kostbare Fracht zum Versand fertig gemacht. © David Heerde | David Heerde

18 Uhr Sorgsam umwickelt Andreas Kroll einen marmorgetönten Aristoteleskopf mit Packwatte. „Die verhindert, dass es zu Farbabrieb kommt.“ Riesige Packpapierrollen hängen über seinem Kopf, außerdem stehen in der Packerei Unmengen an Luftpolsterfolie, Packwatte, Zellstoff, Seidenpapier oder Kunststoffflocken bereit. Denn dort wird kostbare Fracht zum Versand fertig gemacht. Für das Einpacken einer Nofretete braucht Kroll etwa eine Stunde, „die soll auch in Japan oder den USA heil ankommen“. Ist das geschafft, holt die Post das versandfertige Paket ab.