Vergangene Woche hatte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) neue Pläne für das Humboldt-Forum vorgelegt. Demnach soll die geplante Ausstellung „Welt der Sprachen“ der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) mit einer Schau zur Geistes- und Ideengeschichte Berlins ersetzt werden. Es ist nun an Kulturstaatssekretär Tim Renner (SPD), den Sinneswandel zu erklären.
Berliner Morgenpost: Herr Renner, da mühen sich die Staatlichen Museen um eine außereuropäische Sicht, und dann kommt der Regierende Bürgermeister vergangene Woche mit einem Stück Heimatmuseum um die Ecke.
Tim Renner: Wir schieben nicht, wir definieren neu. Das hat Gründe. Wir haben mit Michael Müller seit Dezember einen neuen Kultursenator, der eine Entscheidung treffen musste. Bei der Gründung des Humboldt-Forums zu Beginn der Nullerjahre gab es ein Platzproblem für die Zentral- und Landesbibliothek. Die Idee war damals, die populärsten Bereiche, die Musik-, Film- und Theaterbibliothek sowie die und Kinder- und Jugendbibliothek vollumfänglich aus der ZLB auszugliedern und im Humboldt-Forum unterzubringen. 2010 änderte sich die Situation mit der Entscheidung des Senates für den Neubau der ZLB auf dem Tempelhofer Feld. Platzmangel war jetzt kein Thema mehr, dafür sollte der etwas abseits gelegene neue Standort am Rande des Tempelhofer Feldes beworben werden. Mit einem Showcase, der im Humboldt-Forum die interessantesten Exponate zeigt. 2014 fiel der Bürgerentscheid gegen das Tempelhofer Feld. Damit war logischerweise dieses Konzept für die ZLB hinfällig. Das aktuelle Konzept, in den Berliner Flächen einen „Diskursraum“ einzurichten, hat den Nachteil, dass es einen solchen Diskursraum im Humboldt-Forum bereits gibt. Die Planung schien uns damit nicht mehr optimal. Da muss sich der neue Kultursenator fragen, ob er an der Planung festhält oder sich daran macht, in den räumlichen Gegebenheiten, etwas Neues zu gestalten.
Herr Müller ist nicht neu in der Stadt. Er kannte die Planungen. Wer hat da falsch geplant?
Da hat keiner falsch geplant. Zum jeweiligen Zeitpunkt hat man durchaus das Richtige gemacht. Aber wenn sich die Ausgangssituation ändert, sollte die Politik dem Rechnung tragen und nicht krampfhaft an überholten Konzepten festhalten.
Das klingt nicht plausibel.
Probleme löst man nicht, indem man sie ignoriert. Wenn es eine neue Sachlage gibt, muss neu entschieden werden, unabhängig von der Frage, wer das Amt des Regierenden Bürgermeisters ausübt. Den Neubau der ZLB am Tempelhofer Feld wird es nun mal nicht geben.
Aber der Bürgerentscheid war im Mai 2014.
Im Stiftungsrat der ZLB hat man damals sofort darauf regiert und sich für ein neues Konzept ausgesprochen. Das Konzept liegt jetzt vor.
Die Verantwortlichen der ZLB wussten nichts von Müllers Plänen.
Das ist ein anderes Thema. Wir hatten zunächst die politisch-inhaltlichen Fragen zu beantworten. Wie reagiert man als Stadt auf eine neue Sachlage, im Interesse der Stadt und der ZLB. Wie bekennen wir uns zum Humboldt-Forum? Wie will sich die Stadt einbringen? Mit wem spricht man wann darüber? Und ja, bei der Kommunikation ist die Zeitachse nicht ganz eingehalten worden.
Was heißt das denn?
Der Regierende Bürgermeister hat das Heft des Handelns in die Hand genommen und den Prozess beschleunigt.
So kann man es auch darstellen. Es muss doch eine Verlässlichkeit für das Projekt geben. Wenn Sie kommendes Jahr abgewählt werden, kommt also wieder ein neuer Politiker mit einer neuen Idee.
Das wird nicht passieren. Unverantwortlich und unzuverlässig wäre, da wider besseres Wissen eine Bibliothek hineinzustellen.
Mit einer Bibliothek hätte der Berliner einen Anreiz, immer wieder ins Schloss zu gehen.
Er bekommt jetzt keine weitere Bücherhalle mehr, das stimmt. Aber er bekommt einen Raum, in dem er sich mit den Wechselwirkungen zwischen Berlin und der Welt auseinandersetzen kann. Den gab es bislang in dieser Form noch nicht. Und dieser Raum muss und wird über das übliche Stadtmuseum hinausgehen. Das wird ein Ort über Themen und Personen, mit denen Berlin die Welt bewegt hat und umgekehrt die Welt Berlin. Wir planen, um das klar zu sagen, kein neues Märkisches Museum. Die Ausstellung im Humboldt-Forum wird es nicht ersetzen.
Schloss-Vorstand Manfred Rettig sagt, jede Konzeptveränderung verschiebe auch den Bau.
Da wir uns an die baulichen Prämissen halten, sind für Konzeption und Umsetzung vier Jahre nicht wenig Zeit.
Haben Sie ihn überzeugen können?
Mein Eindruck ist, dass er als Verantwortlicher verständlicherweise primär daran interessiert ist, dass der Bau nicht gefährdet wird. Und diese Sorge konnten wir ihm nehmen. Er kann mit unserem Konzept gut leben.
Könnte es am Humboldt-Forum Verzögerung geben?
Nein, aber wir müssen zwischen zwei Bauphasen unterscheiden. Die erste ist die Fertigstellung des Rohbaus. Bis zu diesem Zeitpunkt war beispielsweise der BER auch noch im Budget. Die sensible Phase beginnt mit dem Einbau der Technik. Da wollen wir nicht stören.
Müllers Konzept ist voller Ansprüche, ein „Rom der Zeitgeschichte“ wird beschworen, aber umsetzen soll das Ganze die senatseigene Kulturprojekte GmbH. Da stimmt doch die Fallhöhe nicht.
Die Kulturprojekte kommen als Projektsteuerer, sie sind in der Lage – und haben das in der Vergangenheit hinreichend unter Beweis gestellt – Inhalte gut zu vermitteln. Aber sie brauchen natürlich dazu noch einen Kurator. Und der wird natürlich mit dem neuen Intendanten zusammenarbeiten.
Aber wir haben noch keinen Intendanten.
Die Aufgabe ist jetzt durch unseren Vorstoß sicherlich reizvoller geworden. Hier gibt es ein Feld, das noch nicht wie bei den außereuropäischen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz vorgezeichnet ist.
Das ist ja wirklich nobel von Berlin auf diese Weise die stockende Suche nach einem Intendanten zu unterstützen.
So selbstlos sind wir. Unsere Entscheidung hat halt eine positive Kollateralwirkung. Im Ernst: Berlin will, dass das Humboldt-Forum funktioniert. Und es hat nur dann eine Chance, wenn man es in Berlin und mit den Berlinern verankert. Es muss ein lebendiger Platz werden in der Stadt und auch für die Stadt – und nicht nur eine reine Sehenswürdigkeit für Touristen.
Zwei Fragen zum Theater: Volksbühnen-Chef Frank Castorf hat Ihnen „Nichtprofessionalität, mangelnde Visionen und fehlende Theaterkenntnis“ unterstellt. Hat er Ihnen das auch schon persönlich gesagt?
Unsere Gespräche verliefen immer kurzweilig und produktiv.
Wird das Folgen haben oder ist das in Ordnung, den Kulturstaatssekretär zu beschimpfen?
Ich sehe mich da durchaus in einer langen und ehrenwerten Reihe von Personen, die zeitweise den Zorn von Herrn Castorf auf sich gezogen haben. Der Mann ist ein Künstler, und mit dieser Gattung Mensch habe ich schon ewig zu tun. Deshalb: Der darf das.