Spaziergang

René Kollo ist ein Held mit aufbrausendem Gemüt

| Lesedauer: 16 Minuten
Anne Klesse

Foto: Reto Klar

René Kollo ist einer der bekanntesten Operntenöre Deutschlands, er feierte aber auch Erfolge als Schlagersänger. Eine Begegnung.

Treffpunkt ist sein Lieblingsrestaurant um die Ecke, das „Dressler“ am Ku’Damm. Dort kennt man ihn, eine Kellnerin mit knöchellanger Schürze deutet nach hinten, „der Herr Kollo wartet dort“. Und dann sitzt er da, der große Heldentenor, Deutschlands bester Wagner-Interpret, wie manche sagen, vielleicht einer der letzten, auf den hierzulande und in dieser Branche die Bezeichnung „Star“ zutrifft.

Kleiner als erwartet wirkt er, der Mann, dessen galantes Auftreten Liedermacher Rainhard Fendrich einst in „Macho Macho“ verewigte: „Er hat einen Hintern wie Apollo, in seinen Hüften schwingt Elan, hat einen Charme wie René Kollo und einen Blick wie Dschingis Khan.“ Die Schultern etwas nach vorne fallend, das oben schon schüttere ergraute Haar zurückgekämmt, im Gesicht die riesige altmodische Brille, die man an ihm kennt.

Eigentlich sieht Kollo aus wie immer schon, nur älter. Vor ihm steht eine Tasse schwarzer Kaffee. Diese Generation repräsentiert er, die der „Tasse Kaffee“-Trinker, die über Latte Macchiato und Co nur den Kopf schütteln, die den schlichten Braunen, wenn überhaupt, mit einem Schuss Sahne trinkt.

Nach spazieren gehen ist ihm nicht zumute, zu ungemütlich da draußen. Als er das Aufnahmegerät sieht, guckt er skeptisch, lehnt sich zurück und verschränkt die Arme vor der Brust, jetzt halb in den roten Polstern liegend. „Na denn legen Se mal los.“ Eher eine sonore Berliner Schnauze als der Charme in Person.

Gebürtiger Berliner

René Kollo, bürgerlich René Viktor Kollodzieyski, wurde 1937 in Berlin geboren. 1965 begann seine Karriere am Staatstheater Braunschweig, mit 30 Jahren sang er schon die großen Hauptrollen in Opern von Mozart, Verdi und Janácek, gastierte bald an den bedeutenden Opernhäusern der Welt. So sang er regelmäßig an der Deutschen Oper Berlin und an der Bayerischen Staatsoper München wie auch bei den Festspielen in Bayreuth und Salzburg.

Dabei hatte er offenbar gar nicht vor, Sänger zu werden. „Ich wollte ursprünglich in die Schauspielerei“, erzählt er. „Zum Gesang bin ich eigentlich per Zufall gekommen.“ Er ist stolz darauf, jahrzehntelang „das große Fach“ gesungen zu haben. Zwar zog er sich vor zwölf Jahren aus dem Ersten Tenorfach zurück, um sich auf die Altersrollen des Charakterfachs zu konzentrieren. Doch das Singen sei nach wie vor sein größtes Glück. Obwohl man dabei auch manchmal „zwischen Verzweiflung und Selbstmord“ liege.

Dass er mit 75 noch auf der Bühne steht, ist ungewöhnlich. Bei vielen seiner Kollegen macht das die Stimme gar nicht mit. Doch Kollo pflegt sein Instrument: Vor Auftritten singt er sich ordentlich ein, am Vorabend geht er früh ins Bett. „Eine gute Vorbereitung“, sagt er, „ist das Wichtigste“.

Gerade war er mit der Organistin und Keyboarderin Claudia Hirschfeld und dem Programm „Melodien mit Herz“ unterwegs, im März geht er mit „Mein Berlin! Eine Hommage an Walter und Willi Kollo“ auf Kurztour. René Kollo stammt aus einer Musikerfamilie, „in der allerdings kaum Musik gehört wurde, mein Vater wollte zu Hause seine Ruhe haben“. Wenn er sich als Kind ans Klavier gesetzt habe, sei er manchmal gar hinausgejagt worden. Walter Kollo, sein Großvater, und Willi Kollo, sein Vater, waren beide Komponisten. Sie schrieben Filmmusiken, Revuen, der Großvater gilt als Mitbegründer der Berliner Operette.

Briefe von der Kanzlerin

Kürzlich erst hat René Kollo seinen Geburtstag gefeiert. „War sehr nett und sehr schön“, sagt er dazu kurz und knapp. Und lässt sich dann doch noch ein bisschen mehr entlocken. Den ganzen Tag sei das Telefon gegangen, und es kamen viele Briefe: von der Bundeskanzlerin, von Seehofer, von „diesem Bundeskulturmenschen – Neumann, oder wie der heißt…“ Er nimmt einen Schluck aus der Kaffeetasse. Macht eine dramatische Pause. Vermutlich weiß er ganz genau, wer ihm was geschrieben hat, denn es ist offensichtlich, dass er sich darüber freut: wer alles an seinen Ehrentag gedacht hat.

Man kann sich vorstellen, wie er die Glückwünsche an einem besonderen Ort aufbewahrt, in einer speziellen Briefeschublade eines antiken Sekretärs vielleicht, wie er sie an kommenden Geburtstagen wieder hervorholen wird, um sie Freunden und Verwandten zu zeigen. Post von der Bundeskanzlerin, wer kann die schon vorweisen. „Naja“, er winkt ab, „abends waren wir dann alle zusammen essen, war ein netter Tag.“

Alle, das sind seine Partnerin und seine Kinder aus zweiter Ehe, Florence (27), Magali (25) und Oliver (21). Mit ihnen wohnt er ganz in der Nähe seines Lieblingscafés. Wenn er frei hat und nicht in Berlin ist, ist er so oft es geht auf Mallorca, dort hat er eine Finca. Tatsächlich ist seine Haut auch in diesen winterlichen Berliner Tagen nicht gerade blass. Und trotz seiner vielen Termine wirkt er insgesamt entspannt. Vielleicht ist das das Geheimnis seiner immer noch funktionierenden Stimme: die Balance zwischen Arbeit und Urlaub, zwischen Kunst und Karriere.

Veränderungen in der Opern-Branche miterlebt

Mit seinen 75 Jahren ist er schon so lange dabei, dass er die Veränderungen in der Opern-Branche am eigenen Leib miterlebt hat. Während sich Deutschland vor ein paar Jahrzehnten noch wie selbstverständlich seine Musiktheater leistete – in keinem anderen Land gibt es so viele Opernhäuser wie hier –, wird die Kritik an der Subventionierung des Kulturbetriebs mittlerweile immer lauter.

Etwa 2,5 Milliarden Euro lässt sich der Staat die Theater und Opern im Jahr kosten. Da aber insgesamt nur etwa ein Fünftel der Kosten wieder eingenommen werden, wird jede Eintrittskarte statistisch gesehen mit durchschnittlich 100 Euro subventioniert. Doch die öffentlichen Kassen sind klamm, und so werden Etats gekürzt, Produktionskosten gedrückt.

Umso unverständlicher erscheint es, dass ausgerechnet der Vorzeige-Opernstar im vergangenen Jahr wegen Steuerhinterziehung zu einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung verurteilt wurde. Müsste doch gerade er ein Interesse daran haben, dass jeder brav seine Steuern zahlt, schon allein, damit Deutschlands Kulturbetrieb weiterhin subventioniert werden kann.

Auf die Strafe angesprochen, reagiert er mit Abwehr. Darüber müsse man ja nun überhaupt nicht erst reden, bitte sehr. „Das Ganze ist so dilettantisch, so unwichtig letztendlich.“ Er habe nicht verhindern können, dass „das“ jetzt „so gelaufen“ sei. Um „lediglich 80.000 Euro“ Steuerschulden sei es gegangen. „Wenn ich Ihnen das alles jetzt wirklich erzähle, dauert das mindestens drei Stunden, dann können wir ein Buch draus machen.“ Was er vielleicht sogar tun werde, ein Buch draus machen, setzt er nach. Und schüttelt den Kopf. „Nein, das ist kein Thema, lassen wir das.“

Will Deutschland das?

Er winkt wieder ab. „Das Thema Subventionierung reduziert sich doch auf zwei Fragen: Wollen wir das? Dann müssen wir es bezahlen. Oder wollen wir es nicht? Dann sollten wir es abwickeln.“ Dann müsse man aber auch dazu stehen und sagen: ‚Wir waren mal ein Kulturvolk, haben Leute wie Goethe, Wagner, Schiller hervorgebracht. Das sind wir jetzt nicht mehr und sind auch nicht bereit, das zu bezahlen, also lassen wir das.‘

Nun erhebt er sich aus den Polstern, lehnt sichvor auf den kleinen runden Café-Tisch. Seine braun gebrannten Wangen sind jetzt gerötet, er ist aufgebracht. Eine „Verlogenheit“ der heutigen Zeit sei das. „Nech?“ So zu tun, als ob man Kultur wolle, sie dann aber kaputtzusparen. „Das ist das Verlogendste, das Dümmste, das es gibt.“ Er kämmt sich mit den Fingern die Haare zurück. In dem Mann steckt offensichtlich noch einige Leidenschaft.

Also gut, Kunst und Finanzen – passt das überhaupt zusammen?

Kollo atmet einmal tief durch. Beruhigt sich langsam wieder, lehnt sich zurück. „Naja“, sagt er, jetzt ganz nüchtern, zuckt mit den Schulter. „Künstler ist ja auch ein Beruf, mit dem man Geld verdienen muss, nech?“ Und mit den Produktionen müsse ebenso Geld verdient werden. „Aber Oper kostet nunmal viel, wenn man sie anständig machen will.“

Und dann das Problem des fehlenden Nachwuchses! „Da ist genauso die Misere drin, wie in den Häusern.“ Unter den jungen Leuten heutzutage gebe es keine guten Sänger mehr. „Bestimmte Rollen wird man irgendwann nicht mehr besetzen können“, ist er überzeugt. Die heutige Ausbildung – „vollkommen falsch“. Es werde kaum noch die Möglichkeit gegeben, sich in aller Ruhe zu entwickeln, um „ins große Fach“ zu kommen. Aber heute müsse ja alles zackzack sofort funktionieren. Das Ergebnis: „klein gehaltene Liederstimmen“.

Dabei hat auch er selbst schon genug Liedchen geträllert in seinem Leben. Eigentlich ist Kollo das beste Beispiel dafür, wie Hochkultur und seichtes Entertainment nebeneinander existieren können. Mit „Hello, Mary Lou“ oder „Meine große Liebe wohnt in einer kleinen Stadt“ feierte er in den Fünfzigern und Sechzigern Erfolge als Schlagersänger. 1964 und 1965 nahm er an den Vorentscheiden des Eurovision Song Contest, damals noch Grand Prix Eurovision de la Chanson, teil.

Aber auch später blieb er auch der Unterhaltungsmusik treu, nahm 1986 ein Album mit Liedern von Udo Jürgens auf. Er arbeitete mit James Last zusammen, gemeinsam veröffentlichten die beiden eine CD mit Liedern und Arien und gaben 1989 Konzerte in der Dresdner Semperoper.

Also, Frage an den „Experten“: Braucht die Klassik mehr Entertainment? Wird dann alles gut, mit Deutschlands Bühnen, dem Publikum, den Finanzen? „Nein“, sagt Kollo bestimmt. „Die Klassik braucht Wahrheit. Tiefe und das Nachdenken – über Kultur, Kunst, darüber, was die Leute meinten, die die Stücke mal geschrieben haben. Das brauchen wir. Eine Amerikanisierung der Klassik, die brauchen wir nicht.“ Furchtbar sei das „dort drüben“, eine „fasche Entwicklung“. Auch das mit dem Sponsoring. Er winkt ab.

„Ich habe nichts dagegen – sollen die jungen Leute ihre jugendsüchtigen Dinge machen. Kunst und Kultur weiterzubringen ist ne ganz andere Sache.“ Er habe da keine große Hoffnung. „Diese Welt ist so verblödet, leider, dass man sich an den Kopf fasst und überlegt, wie das weitergehen soll.“ Er fährt sich durchs Haar. Es sei natürlich nichts neues, dass man, „wenn man bisschen älter ist, alles, was kommt, für furchtbar hält.“ Aber jetzt, „jetzt ist es wirklich so, nicht?“

Typ Einzelgänger

Ab und zu seien schon junge Sänger zu ihm gekommen und baten ihn um Hilfe. Mit manchen arbeite er dann und versuche sie „auf den richtigen Weg zu führen“. Nicht nur an die schnelle Karriere zu denken, sondern den Sängerberuf als Langzeitbeschäftigung zu sehen, sie nachhaltig anzugehen.

Aber er sei da eher ungeduldig. „Wenn es beim dritten Mal nicht klappt, ist was los.“ Aufbrausend kann er sein, das zeigt er schon im Gespräch, und das ist weitgehend bekannt. Sein Auflehnen gegenüber Regisseuren und Dirigenten ist legendär, mit Karajan und Wolfgang Wagner hat er sich mal regelrecht verkracht. Ja ja, vor allem früher habe er gern den Mund aufgemacht. Das mit Karajan sei „Blödsinn“ gewesen, im Nachhinein. Aber wenn ihm etwas nicht passte, habe er das eben auch gesagt und sich verweigert – trotzdem sei er immer wieder engagiert worden. „Da hat sich was verändert in der Branche.“ Stars, die fordern können, was sie wollen, gibt es kaum noch.

Schon ist er wieder bei der Frage: Wollen wir, will Deutschland das? Große Oper, große Sänger, Hochkultur? „Hierzulande wird Kultur ja aufs Abstellgleis geschoben, da werden Opern nachts auf Arte oder 3Sat gezeigt. Da schaltet der Nachwuchs natürlich nicht ein.“ Darüber ärgert er sich. Kein Wunder, dass auch das Publikum langsam aussterbe.

Das Versagen der Öffentlich-Rechtlichen, die für ihren Bildungsauftrag Millionen einsacken, das Versagen der Eltern, der Schule. Erziehung „heutzutage“ – ach, Kollo rümpft die Nase. „Das ist ja alles nicht mehr vorhanden.“ Er wirkt jetzt müde. Rückt die Tasse vor sich auf der Untertasse zurecht.

Vielleicht deshalb verspüren auch andere in seiner Branche den Drang, die Zeit noch so gut wie möglich für sich zu nutzen und so schnell wie möglich Karriere zu machen, Geld und einen gewissen internationalen Ruf zu verdienen.

Bei ihm lief es damals anders. Eher von allein, ohne Zwang. Er selbst halte sich für den Typ nachdenklicher Einzelgänger, sagt Kollo. Mache sich viele Gedanken über das Leben, das Alter, Veränderung. Früher, heute.

In der Vergangenheit probierte sich Kollo auch in anderen Rollen aus. Im Jahr 2000 eröffnete er ein eigenes Restaurant auf Mallorca. Er moderierte Fernsehsendungen wie das ZDF-Format „Ich lade gern mir Gäste ein“ und schrieb einen Krimi (“Die Morde des kleinen Tannhäuser“). Und er führte Regie, 1986 in Darmstadt etwa, da inszenierte er „Parsifal“. 1996 bis zur Schließung ein Jahr später leitete er als Intendant das Berliner Metropol-Theater. Letztendlich ohne Erfolg, es musste am Ende wegen Überschuldung schließen. Anschließend stritt sich Kollo lange mit Mitarbeitern und Senat über Verantwortlichkeiten.

Vielleicht passen Kunst und Finanzen doch nicht zusammen. Vielleicht ist die Leidenschaft, die ein Künstler für seine Arbeit braucht, anderswo im Weg.

Am Ende ist Kollo einfach Kollo. Immer winkt er ab. Die Zeit, heutzutage, ach, früher war eben alles anders. Besser. Früher, als Kaffee noch Kaffee war und die Oper als schützenswertes Kulturgut galt, dessen Wert von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Als Sänger noch große Bühnenstars waren und von Publikum und Kritik gefeiert wurden. Heutzutage buhen Premierenzuschauer, die sich für Avantgarde halten, Künstler gnadenlos aus. Die Oper? „Ist doch letztendlich tot.“ Kollo schüttelt den Kopf. Es gibt nichts mehr zu sagen. Seine Kaffeetasse ist leer.

Zur Person:

Am 20. November 1937 wurde René Kollo (bürgerlich Kollodzieyski) in Berlin geboren.

Nach dem Krieg besuchte er das Carl-Hunnius-Internat in Wyk auf Föhr, anschließend eine Fotoschule in Hamburg, da er zunächst Kameramann werden wollte.

Als 20-Jähriger schloss er einen Vertrag mit Polydor und sang zunächst Schlager wie "Hello, Mary Lou" und "Meine große Liebe wohnt in einer kleinen Stadt".

Opernsängerin Elsa Varena formte Kollo künstlerisch und technisch und 1965 trat René im Staatstheater Braunschweig sein erstes Engagement als Tenor an. Zwei Jahre blieb er in Braunschweig und sang dort alles, was das Fach des lyrischen Tenors hergab.

1967 wechselte er als erster lyrischer Tenor an die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf und sang dort alle möglichen Partien.

Auszeichnungen: 1979 wurde Kollo das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen, 1994 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.