Musik

Alice Sara Ott ist der neue junge Star unter den Pianisten

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Volker Blech

Foto: © Esther Haase / DG

Die deutsch-japanische Pianistin Alice Sara Ott wohnt jetzt in Berlin. Der Umzug von München hat sie auch zum Erwachsenwerden gezwungen.

„Ich mag nicht alles von Chopin“, sagt sie, um gleich beschwichtigend hinzuzufügen: „Oder ich fühle mich nicht reif genug, alles zu verstehen.“ Solche Antworten sind durchaus typisch für Alice Sara Ott, dieses Meinungsstärke und zugleich Bescheidene. Das sind wohl die zwei Seiten der deutsch-japanischen Pianistin.

Sie selber nennt es scherzhaft „ihre gespaltene Identität“. Unser Treffen findet in einem Kreuzberger Café statt, gleich um die Ecke hat sie ihre neue Wohnung. Alice Sara Ott ist nach Berlin gezogen. Es ist schon auffällig, wie japanisch höflich die Pianistin im Umgang ist. „Ich wurde schon sehr japanisch, sehr buddhistisch von meiner Mutter erzogen“, sagt sie und erklärt es an einem einfachen Beispiel: „Wenn ich mich bei jemandem bedanke, dann reicht es mir nicht, es einmal zu sagen. Ich sage es noch mal und noch mal und noch mal. Meine deutschen Freunde sagen, das wirke doch schon unecht. Aber nein, das ist japanisch.“

Am Mozarteum ausgebildet

Andererseits empfindet es die Münchnerin als Zumutung, wenn sie in Japan bei einem Meeting teilnimmt. „Eigentlich ist allen Beteiligten klar, dass jetzt nein gesagt werden muss, aber es wird weiter drum herum geredet.“, sagt sie. Nach 30 Minuten sei sie genervt, daran merke sie, wie deutsch sie ist. Man bemerkt es auch daran, dass sie ihr Herz auf der Zunge trägt. Sie ist der Typ, mit dem man über alles irgendwie reden kann.

Jetzt lebt die gebürtige Münchnerin, Jahrgang 1988, mitten in Kreuzberg. Sie hat tausend Erklärungen parat, warum sie den Wohnort gewechselt ist. Sortieren wir es einmal. „Meine Eltern sind aus München rausgezogen in ein Dorf mit 800 Einwohnern“, sagt sie: „Dort ist es sehr schön, aber es gibt nicht einmal einen Supermarkt.“ Sie hat also geschlussfolgert: „Es wäre schön, mal eine eigene Wohnung zu haben“.

Außerdem gibt es noch folgende Gründe: Die Mieten sind in Berlin deutlich billiger, die Plattenfirma ist hier, Berlin hat ein attraktiveres Konzertangebot, die Stadt ist internationaler, die Infrastruktur ist besser. Und um es nicht zu vergessen: Sie ist hier mit ihrem Freund zusammen gezogen. Der ist ein Dirigent. Damit wäre alles geklärt.

Die Virtuosin Alice Sara Ott hat mit vier Jahren angefangen, Klavier zu spielen. Angeblich gegen den Willen ihrer Mutter, was kaum zu glauben ist. „Ich hatte keine Übermutter“, sagt sie lachend, „meine Eltern haben darauf geachtet, dass wir uns sozial normal verhalten.“ Ihr Vater, ein Elektroingenieur, arbeitet heute als Unternehmensberater.

Übrigens hat auch ihre jüngere Schwester Mona Asuka Ott die Pianistenkarriere eingeschlagen. „Wir werden oft verwechselt“, sagt Alice Sara Ott. Sie selbst macht eine schnelle Karriere. Es beginnt bei „Jugend musiziert“. Mit 13 Jahren erhält sie die Auszeichnung „Most Promising Artist Award“ in Hamamatsu und gewinnt zwei Jahre später den 1. Preis beim Internationalen Klavierwettbewerb „Silvio Bengalli“ – sie ist als jüngste Teilnehmerin.

Mit Mussorgsky aufgewachsen

Seit Mai 2008 ist Alice Exklusivkünstlerin bei der Deutschen Grammophon. Kurz darauf erscheint ihre erste CD mit 12 Etudes d’exécution transcendante von Franz Liszt. Den Komponisten wollte sie unbedingt spielen, weil er oft falsch verstanden wird. „Liszt hat eine musikalische Tiefe“, betont sie. Kurze Zeit später kommt bereits ihr zweites Album mit den kompletten Walzern von Chopin heraus. Es folgten Beethoven, Tschaikowsky und noch einmal Liszt. Auf ihrer neuen, mittlerweile fünften CD finden sich Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ und Schuberts weniger bekannten Sonate in D-Dur. Es ist ein Live-Mitschnitt aus St. Petersburg.

Mit Mussorgsky sei sie aufgewachsen, sagt Alice Sara Ott. Vom Pianisten-Macher Karl-Heinz Kämmerling wurde sie am Salzburger Mozarteum ausgebildet. „Die Klasse bestand zu 70 Prozent aus russischen Studenten“, erzählt sie: „Und die spielten jeden Abend dieses Stück, stritten über Interpretationen und politische Sichten. Ich wollte immer Teil dieser Diskussion sein.“ Vor drei Jahren hat sie sich selbst das Stück vorgenommen. Kürzlich war sie mit Mussorgsky und Schubert auf Japan-Tournee.

„In den zehn Konzerten hatte ich es viel schwerer, den Schubert mit immer neuen Augen zu sehen“, sagt sie: „Bei Mussorgsky habe ich immer neue Aspekte entdeckt.“ Alice Sara Ott ist, wie man so sagt, gut im Geschäft. 2010 hat sie den Echo Klassik bekommen. Das Publikum mag die Interpretin. Es spürt wohl das Romantische in ihrer Seele. Später im Gespräch wird sie sagen, dass sie schon als Kind gemerkt habe, dass die Leute ihr eher zuhören, wenn sie Musik macht.

Die Neuberlinerin wird erwachsen

Aber ihr erstes halbes Jahr als Neuberlinerin verlief nicht ohne Schmerzen, erzählt sie. Ihr japanischer Großvater, den ihre Mutter schwer krank nach Deutschland geholt hatte, ist inzwischen verstorben. Und auch ihren langjährigen Lehrer Karl-Heinz Kämmerling hat sie verloren. Klavierprofessoren können im besten Sinne musikalische Väter sein.

Irgendwie hat der Wechsel von München nach Berlin Alice Sara Ott auch zum Erwachsenwerden gezwungen. Hier hat sie offenbar rundum ein neues Leben begonnen. „Ich male gern, koche gern, gehe gern in Museen“, sagt sie.

In letztere aber lieber allein. „Museen sind für mich etwas sehr emotionales, ich bleibe manchmal lange vor einem Bild stehen und die Interpretationen von anderen stören mich eher. Ich möchte mit den Bildern lieber in Ruhe gelassen werden.“ Was klassische Musik angeht, da hat sie als Interpretin ihr Publikum im Visier.

Ohne Publikum würde Musik auch nicht existieren, meint sie – und rudert gleich wieder lächelnd zurück. Vielleicht käme sie bei solchen Erklärungen an die Grenzen mit ihren Wörtern. Und da ist sie wieder, die japanische Bescheidenheit.

Berliner Philharmonie: Am 6. Februar 2013, 20 Uhr: Alice Sara Ott spielt Griegs Klavierkonzert a-Moll. Es spielt die Tschechische Philharmonie.