Solisten müssen nicht verrückt sein: Ex-Oasis-Chef Noel Gallagher über die Schuld seines Bruders, das Glück seines Sohnes und die Tücken des Kokains.
Als sich die britische Band Oasis im August 2009 nach 18 Jahren trennte, war die Trauer groß. Nicht, weil man das Gefühl hatte, man würde all die zukünftigen Hits, die Oasis möglicherweise noch geschrieben hätten, verpassen, denn tatsächlich die britische Band nach ihren ersten beiden Alben Mitte der Neunziger im Grunde nichts Interessantes mehr zustande gebracht. Nein, man trauerte, weil man dachte, dass einem all die schönen Streitereien der Brüder Noel und Liam Gallagher entgehen würden, die Beleidigungen, die sie einander an den Kopf werfen, die Schübe von Größenwahn, weil sie wieder ganz von der Idee ergriffen sind, jeweils der größte Musiker der Welt zu sein.
Die Sorge sollte sich allerdings als überflüssig erweisen. Seit Liam Gallagher mit den Restbeständen von Oasis unter dem Namen Beady Eye musiziert und sein Bruder ein Album als Noel Gallagher’s High Flying Birds aufgenommen hat, geht der öffentliche Bruderzwist weiter. Vorwürfe, Kränkungen und Anmaßungen – selbst eine räumliche und berufliche Trennung kann die Gallaghers nicht bremsen. Nur dass Noel, der ältere, im brüderlichen Wettkampf stets in Führung liegt, weil seine Ausfälle immer ein wenig geistreicher, gekonnter und besser formuliert sind. Darauf möchte man nun wirklich nicht verzichten.
Morgenpost Online : Sie haben mal gesagt, der einzige Grund, warum Sie nicht verrückt sind, sei, dass nur Solokünstler durchdrehen. Vor zwei Jahren haben Sie Oasis verlassen. Und jetzt haben Sie gerade Ihr Solodebüt herausgebracht – „High Flying Birds“. Sind Sie in der Zwischenzeit schon zu einem narzisstischen Irren geworden?
Noel Gallagher : Solokünstler sind im Allgemeinen komplett verrückt. Elton John? Leicht exzentrisch. George Michael? Völlig wahnsinnig. Allerdings haben George Michael und Robbie Williams keine Kinder, es dreht sich also alles nur um sie. Ein Beispiel: Gestern Abend musste ich eine Show in London geben, komplett vollgesabbert mit der Spucke eines einjährigen Jungen. In so einem Moment fühlt man sich nicht gerade wie Jimmy Page.
Morgenpost Online : Verglichen mit Liam galten Sie immer als der normale, vernünftige Gallagher-Bruder. Warum sind die beiden anderen früheren Oasis-Mitglieder zu Beady Eye gegangen, der Band Ihres Bruders?
Gallagher : Naja, ich hab ihnen nie gesagt: „Ich verlasse die Band, und wenn ihr mitwollt, dann kommt mit mir.“ Liam hat sie an dem einen Abend so lange bequatscht und schikaniert, bis sie eben bei seiner Band mitmachten. In etwa wie Lyndon B. Johnson, der im Flugzeug zurück aus Dallas eingeschworen wird, noch bevor die Leiche von John F. Kennedy starr geworden ist.
Morgenpost Online : Sie waren immer ziemlich stolz auf Oasis. Wie viele Bands in der Musikgeschichte waren denn eigentlich besser?
Gallagher : So einige, würde ich sagen. Wir sind aber definitiv in den Top 20.
Morgenpost Online : Einmal haben Sie sich mit Oasis schon in die Top 10 platziert, genau vor den Smiths.
Gallagher : Diese Liste wurde unter dem Einfluss von Alkohol zusammengestellt – und wahrscheinlich hatten wir gerade einen wirklich guten Gig gespielt an dem Abend, als wir sie machten. Ich glaube, wir waren auf Platz 7.
Morgenpost Online : Und nüchtern – würden Sie da aus der Top 10 herausfallen?
Gallagher : Ich würde wohl bei Platz 7 bleiben. So sähe die Liste aus: Beatles, Sex Pistols, Rolling Stones, The Who. Platz 5 kann ich mir nie merken. Vielleicht die Kinks? An die 6 erinnere ich mich nicht. Und dann kommen Oasis.
Morgenpost Online : Sie touren gerade allein durch Amerika – kein so großer Unterschied zur Oasis Tour-1996, aus der Ihr Bruder – der Sänger der Band – damals plötzlich ausgestiegen ist.
Gallagher : Liam hatte es zum Flughafen in England geschafft. Als ich da ins Flugzeug einsteige, steigt er aus – weil seine Frau anruft und sagt, sie müssten jetzt dieses Haus kaufen. Was sie in den drei Monaten davor gemacht haben, keine Ahnung. Wahrscheinlich haben sie sich irgendwelche Insekten aus den Haaren geklaubt, wie die Affen. Unser erster Gig war in einer Arena mit 16.000 Plätzen – und dann tauchte unser Sänger nicht auf. Das hat uns in Amerika gekillt. Wir haben uns nie davon erholt.
Morgenpost Online : Liam hat den Ruf, sehr unberechenbar zu sein.
Gallagher : Es geht hier um Rock ’n’ Roll. Hätte Johnny Rotten ein Haus am Vorabend einer Tour durch Amerika gekauft? Oder Keith Richards? John Lennon? Entweder man will oder man will eben nicht. Für mich ist er schuld, dass wir nie so groß in Amerika geworden sind, wie wir es in Großbritannien waren. Zugegebenermaßen hat er sich allerdings ein schönes Haus gekauft.
Morgenpost Online : Sie haben irgendwann mal gesagt, dass das dritte Album von Oasis, „Be Here Now“ – das letztlich doch gefloppt ist – am Kokain gescheitert sei, das Sie damals alle ziemlich regelmäßig genommen haben.
Gallagher : Ich hatte mich zu der Zeit so auf das Partymachen und Drogennehmen konzentriert, dass ich mir unsere Songs einfach nur angehört habe und mir dachte, ach, was soll’s. Ich hätte verschwinden sollen und mir ein schönes Leben machen mit dem Geld von „Morning Glory“ – stattdessen waren wir schon wieder im Studio und haben mit Bassdrums rumgespielt. Wir haben uns einfach nur gedacht, wird schon reichen. Zu dem Zeitpunkt brauchte ich einfach Drogen, einen Schimpansen, einen Rolls-Royce und einen Zylinder und einen Stock.
Morgenpost Online : Joe Perry von Aerosmith meinte mal, Kokain sei nicht besonders teuer – teuer seien die Entscheidungen, die man unter dem Einfluss von Kokain trifft. Sehen Sie das genauso?
Gallagher : Ja, klar. Ich habe mir damals dieses Superauto für 110.000 Pfund bauen lassen – ich hatte noch nicht mal den Führerschein. Man hatte mir gesagt, es würde ungefähr anderthalb Jahre dauern, und ich dachte mir, super, in anderthalb Jahren kann man ja wohl lernen, Auto zu fahren. Wie ein kleiner Hund habe ich es dann völlig vergessen. Und angefangen, mit Supermodels zu feiern – anderthalb Jahre später hat mir dann jemand das Auto geliefert und ich hatte wirklich absolut keine Ahnung, was ich damit anfangen sollte.
Morgenpost Online : Sie sind arm aufgewachsen. Was tun Sie, um zu verhindern, dass aus Ihren Kindern gelangweilte Reiche werden?
Gallagher : Es ist mir scheißegal, wenn sie nicht arbeiten müssen. Würden Sie arbeiten, wenn Sie nicht müssten?
Morgenpost Online : Die unglücklichsten Leute sind die, die nicht arbeiten müssen.
Gallagher : Mein Sohn wird nicht unglücklich sein, weil er das Kind eines Rockstars ist.