Der kleine Leuchtkegel des Handy-Lichts zittert über die kalten Stufen im Treppenhaus. Ausgebrannte Teelichter in roten Gläsern, wie man sie vom Friedhof kennt, warten auf ihre Wiedergeburt. Esther Kratz und Veronika Witte sind auf einem ihrer letzten Rundgänge vor der Eröffnung der viertägigen Ausstellung „The End of the Dream“ in einer alten Tresorfabrik im Wedding. Witte, eine der Co-Kuratoren der Ausstellung, und die „Chefpraktikantin“ Kratz gehen vorsichtigen Schrittes durch die dunklen Hallen, alleine würden sie sich fürchten.
Das Projekt „Mica Moca – Experimenteller Kultur Generator“ verwandelte den ehemaligen Industriestandort in ein temporäres Wunderland. Von Mai bis Ende September zeigt das über sechstausend Quadratmeter große Areal „richtige Contemporary Art und keinen Trash“, erklärt Christian Anslinger, einer der Organisatoren, man sei ja nicht das Tacheles. Tanz, Opern, Pop-Konzerte, Installationen; der totale Cross-Over soll Menschen zusammenführen, die sich für die unterschiedlichsten Kunst-Formen begeistern.
Aus der Anlage werden Lofts
Drei Wochen vor Beginn der ersten Veranstaltungen lagen noch Hunderte von Tauben-Kadavern in den oberen Etagen, es gab kein fließendes Wasser, Strom gab es auch nicht. Der Besitzer der Anlage, ein Kunstsammler aus Mailand, stellte dem Mica-Moca-Team die Anlage kurzfristig zu Verfügung. Danach werden wohl Lofts daraus gebaut.
Träumen, der Luxus sich in Utopien zu verlieren, dafür gebe es keinen Platz mehr, meint Nicole Loeser, die Kuratorin der Ausstellung. Es herrsche Endzeitstimmung. Die Natur, die Finanzmärkte, die Kernkatastrophen spielen auf zum Totentanz. Dreißig internationale Künstler, alle ansässig in Berlin, stellen sich dagegen. Mit „The End of The Dream“ dokumentieren sie den Verfall und liefern Lösungen in Bildern, Videos, Installationen und Performance-Darbietungen, wie der 18-stündigen Demontage eines Autos von der Ungarin Hajnal Nemeth mit Operngesang und einem Mechaniker.
Peter Kees, ein deutscher Konzeptkünstler, errichtet in der einen Ecke eine Dependance der Botschaft von Arkadien. Die Besucher können Asylanträge stellen, ein Visum beantragen. Sie dürfen darauf hoffen aufgenommen zu werden in den utopischen Staat, der überall stehen kann. Arkadien ist die Rückbesinnung auf ein naturelles Miteinander, erträumt von Adeligen in der Renaissance.
Veranstalter kritisieren Senat
Ein Stückchen weiter über den staubigen Fabrikboden. „Achtung, hier ist es rutschig. Da muss noch ein Teppich hin“, gibt Witte zu bedenken. Dann steht da die Tötungs-Maschine von Via Lewandowsky, daneben ein sich selbst beatmender Staubsauger von Eberhard Bosslet unter dem Namen „Bypass“. Die Maschinen werden regieren, sie sind die einzigen noch funktionierenden Dinge, in der Zeit nach dem Ende. Ewig weiter wird der Sauger tosen, wenn drum herum kein Mensch mehr lebt.
Vor der Bar im Seitenflügel sitzen die Künstler, rauchen die letzten Zigaretten nach einem 15-Stunden-Tag. Christian Anslinger läuft umher, koordiniert schon mal den letzten Monat. Es gibt über tausend Anfragen, bisher wurden 300 Veranstaltungen realisiert, trotz der unsicheren Finanzierung. Für Kurz-Projekte wie das Mica Moca gibt es kaum Aussicht auf Förderung. „Erst nach ein, zwei Jahren werden die mal wach. Das ist in Berlin halt so.“ Mit „die“ meint er den Senat, meint Anslinger Klaus Wowereit. Er hat einen offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister und Kultursenator verfasst. Die Veranstalter sind unzufrieden mit den „langen Antragsfristen“. Junge Kunst kann so nicht überleben. Die meisten der Aussteller sind meist nur für ein paar Monate in Berlin, um hier ihre Arbeiten zu präsentieren. Institutionen wie der Hauptstadtkulturfond oder die Kulturstiftung des Bundes reagieren dafür eindeutig zu langsam. Das Klavier im Mica Moca-Wunderland spielt trotzdem weiter.
Mica Moca, Lindower Strasse 22, Wedding. Eröffnung: Mi 18-22 Uhr. Do/Fr 14-19 Uhr, Sa 16-20.