Ausstellung

Berghain - die Kunst hinter dem Exzess

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Frédéric Schwilden

Foto: Name des Objekts und des Künstlers wird nachgereicht bzw. bitte dem Dateinamen entnehmen.

In den Räumen des legendären Clubs Berghain in Berlin-Friedrichshain ist die Ausstellung "Alle – Worker's Pearls" zu sehen. Die Kunstwerke stammen von den Mitarbeitern - Barkeepern, Türstehern oder Garderobieren.

Wenn sich die Tore des Kubus öffnen, verliert sich der staunende Blick in unendlich weiten zwanzig Metern bis zur Decke. In einem bisher ungenutzten Raum des Berghains präsentieren vierzig Mitarbeiter der freizügigen Techno-Institution ihre Kunst. „Alle – Worker's Pearls“ gewährt eine Woche lang Einblicke in die Malereien, Fotografien und Installationen der Menschen hinter dem Exzess.

Sie stehen am Tresen, vor der Tür, an der Garderobe, halten das klopfende Untergrund-Herz der Stadt, das längst im Mainstream angekommen ist, am Leben. Von Freitag bis Montagmorgen, manchmal auch unter der Woche, arbeiten sie im Schicht-System, während die Feiernden kein Ende kennen. Viele haben Kunst studiert, sind Fotografen, haben Stipendien bekommen und doch schleppen sie Kästen. Es ist wie eine Wunderwelt, die dunkle Wünsch-Dir-Was-Fantast-Maschine, wie Andy Warhols Factory. Nur die Decken waren da tiefer. In New York stand eine Feuerwache, in Berlin ist es ein Heizkraftwerk.

Wie auf einer Großbaustelle

Das Klopfen, Hämmern, das Kaffeetassen-Umrühren, hallt tausendfach verstärkt durch den großen, nackten Quader. Eine Kreissäge steht vor der Tür, zu Mittag gab es Pasta. Von der Decke hängen Schnüre, Scheinwerfer stehen herum, leere Wasserflaschen. Es geht zu wie auf einer Großbaustelle. „15 Kilo trägt das Seil, bei über zwei Metern“, ruft einer der Arbeitenden. Ein Mops mit rotem Halsband stolziert knurrend durch die Hallen.

Wie ein Arbeiter auf einer Ölbohr-Insel wirkt die düstere Fotografie von Ralf Marsault. Einem der Angestellten des Sex-Clubs Lab.Oratory, einem der bald vier Säle des Berghains. Er zeigt einen onanierenden Glatzkopf. Breitbeinig sitzt dieser auf einem dunklen Hocker. Mächtige Gummi-Handschuhe, solche, wie man sie beim Umgang mit Gefahrengütern trägt, kleiden seine Arme. Öl, oder welche dunkelfarbige Masse auch immer, benetzt seinen ganzen Körper. Das Unterhemd ist durchgeschwitzt. Stoisch schaut er auf sein Glied. Um den Hals rasseln schwere Ketten. „Könnte auch auf einer Fetisch-Party im Lab aufgenommen sein“, mutmaßt Peter Knoch, 51, der zusammen mit der 26-jährigen Neda Sanai die Ausstellung organisiert.

Am Ende werden alle Mittelstand

Man kennt sich, wenn auch nicht unbedingt mit Namen. Bei hundert Mitarbeitern verliere man da schnell den Überblick. Trotzdem, ein paar Mal im Jahr kommen sie zusammen. An Weihnachten zum Beispiel. „Jeder kann noch einen Freund, eine Freundin mitbringen. Wir feiern ganz klassisch bei einem Essen mit Rotkohl und Gans.“ Ein bisschen spießig ist sie schon, die Avantgarde. „Hat nicht jede Firma ihre Weihnachtsfeier?“, fragt Knoch. Stimmt eigentlich, warum nicht auch das Berghain.

Der Club ist zur Erfolgsgeschichte, die Betreiber, die Ostgut GmbH, zum Mittelstandsunternehmen herangewachsen. Professionell, nach Plan und Effizienz, aber auch ohne das Wir-Gefühl einer eingeschworenen, individuellen Nacht-Kultur aufzugeben, hat das Berghain nie an Profil verloren, keine Berghain-Partys als Franchise ausverkauft. Zuletzt hatte der Berliner Senat 1,25 Millionen Euro an Subventionen geboten, für den Ausbau des Kubus. Die Betreiber haben abgelehnt. Sie wollen keine Abhängigkeit, kein Eingreifen von Außen. Eine staatliche Unterstützung ist immer an Bedingungen geknüpft. Kein gutes Vorzeichen für einen Club, der bedingungslos feiert.

Staunend, schaudernd und doch beruhigt

Bis zur Eröffnung der Ausstellung gibt es noch viel zu tun. Vor Marek Berlins zum Altar geformter Epiphanie in drei Teilen wird Sand aufgeschüttet. Der Künstler will vor seinen an die barocken Kirchengemälde erinnernden Foto-Collagen selbst performen. Die fabelhafte Fotografie „Satyrn“ von Berghain-Legende Sven Marquardt ist derweil schon aufgebaut: Von großer Leinwand, lebensgroß, treffen die Blicke griechischer Fabelwesen den Betrachter. Auf staksigen Ziegenbeinen, das dichte Fell bis unter den Nabel reichend, ruhen die nackten, bleichen Oberkörper. Misstrauisch, schauen sie auf die Welt der Außenstehenden herab. Ein Zitat des Schweizer Schriftstellers Martin Stadler läuft in blutiger Binderfarbe den Boden entlang. In der nächsten Ecke liegt ein halb zersägter Frauen-Torso achtlos auf den Schutt geworfen.

„Worker's Pearls“ lässt den Betrachter vielfach staunend, manchmal schaudernd, und doch beruhigt zurück. Ist ja gar nicht so anders, hier im Kubus des Berghains. Warhol hatte schließlich auch schon Sex und anstatt der Pasta gab's Tomatensuppe.

Alle – Worker's Pearls im Kubus des Berghain, Rüdersdorfer Str. 70, Friedrichshain. Bis 26. August 2011., 16 bis 22 Uhr. Vernissage-Party: Donnerstag 22 bis 24 Uhr – freier Eintritt, danach 5 Euro