Maischberger

"Abstinenz ist Feigheit vor dem Freund"

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Antje Raupach

Foto: WDR/Melanie Grande

In Sandra Maischbergers Talk ging es um die Ambivalenz des Alkohols. Zwischen lauter Abstinenzlern kämpfte dabei ein Verfechter der Lust am Rausch auf verlorenem Posten.

Gunter Gabriel. Klar, der muss da sein, wenn es in einer Talkshow um Alkohol geht – denkt man. Gleich zu Beginn kriegt der seit 1996 trockene Trinker eine "Rauschbrille" auf die Nase. Die soll die Sichtfeldverengung unter Alkoholeinfluss demonstrieren.

Mit arg eingeschränkter Optik wankt und stolpert der Entertainment-Koloss durch einen Parkour aus Linien und Absperrhütchen. Altbacken wie in einem Volkshochschulkurs werden jetzt steigende Promille-Werte anhand von sich immer weitflächiger ausbreitenden Kaskaden aus Rotweingläsern anschaulich gemacht.

Dr. Johannes Lindenmeyer, Leiter einer Suchtklinik, gibt eine Einführung über die Wirkung des Alkohols auf das zentrale Nervensystem.

Auch Ungeheuerlichkeiten, etwa dass zierliche Frauen, wie zum Beispiel Frau Maischberger, weniger Alkohol brauchen als Gunter Gabriel, um ein Promille zu erreichen, werden enthüllt. Schnell wird klar: Hier kann nur derjenige dazulernen, der rein gar nichts darüber weiß.

Immerhin erfahren wir jetzt, dass Gunter Gabriel nie morgens getrunken hat. Eine Ausnahme war ein Morgen, irgendwann 1975, als er sich mit Frank Zander so sehr über die Verkaufszahlen ihrer gemeinsamen Alkohol-Hymne "Ich trink auf dein Wohl, Marie" gefreut habe. Da hätte man auch schon mal mit ein paar Remy Martin angestoßen, morgens um elf.

Ein Bohemian unter Konvertierten

Bühne frei für Peter Richter, Journalist und Autor des Buches "Über das Trinken". Richter ist ganz offensichtlich ein Verfechter des Rausches: "Ich hatte mit 25 mehr Filmrisse, als ich Filme gesehen habe."

Mit der trockenen Alkoholikerin Marlies Wank und dem zumindest halbwegs trockenen Gabriel konfrontiert, weist der Hedonist durchaus pointiert auf das Problem hin, dass viele der Diskussionen über den gesellschaftlichen Umgang mit Alkohol "von Konvertierten geführt werden, die am Anfang nicht genug bekommen konnten und dann Abstinenz predigen". “Touché!”, möchte man ausrufen.

TV-Moderatorin Tina Wolf, die ein Buch über ihr Leiden an der Alkoholsucht ihres verstorben Vaters geschrieben hat, nimmt eine Mittelstellung ein. Doch auch ihr merkt man an, dass sie als Co-Abhängige und familiäres Opfer natürlich auch nie einen lustvollen und genusshaften Zugang zur Kulturdroge hat finden können.

Bohemian Peter Richter sieht jetzt ziemlich verloren aus innerhalb dieser alkoholkritischen Runde. Doch er bleibt lieber beim Wasser. Eindringlich sind dann die Schilderungen von Marlies Wank, die davon erzählt, dass es immer schwieriger und komplizierter wurde, ihre langjährige Sucht vor den Kollegen, dem Ehemann und den Kindern zu verbergen.

"Ich habe den Alkohol immer benutzt, um Gefühle abzurufen", sagt sie. Am Ende ihrer Abhängigkeit war sie nur noch damit beschäftigt "die Fassade zu erhalten" während sie innerlich zugrunde ging. Das berührt, aber doch zeigt sich hier die eklatante Schwachstelle der zähen Diskussionsrunde: die Zusammenstellung der Gäste.

Zwischen den Erfahrungen einer Alkoholikerin und dem "Abstinenz ist Feigheit vor dem Freund"-Postulat ihres Gegenübers Peter Richter gibt es keine Brücke, keine Verbindung, kein Verstehen. Denn was der Autor durchaus schlüssig propagiert, nämlich den Alkohol als "Zweck des Rausches" für eine begrenzte Flucht aus der nüchternen Welt zu genießen, dieser Weg ist dem Ex-Süchtigen auf immer verbaut.

Und die Frage danach, wann Alkohol denn genau gefährlich wird, ist eben mit dieser Grenze auch schon klar beantwortet.

Gunter Gabriel schaut wie ein alter Brummbär schweigend in die Runde. Für ihn hat dieser Talk offenbar soviel Spaßgehalt wie ein Treffen der anonymen Alkoholiker. Jetzt erfahren wir, dass es auch schon während seiner Schlosser-Ausbildung "als junger Bengel" morgens das eine oder andere Bierchen gab.


Heute gäbe es auf seinem Hausboot natürlich nur noch Tee. Ob seine Kinder trinken? So etwas wisse er gar nicht, gibt Gabriel zu Protokoll. Das überrascht bei jemandem, der selbst so viele Probleme mit dem Alkohol hatte, aber nachgehakt wird leider nicht.

Bleierne, "nüchterne" Stimmung

Routiniert bis gelangweilt wuselt sich Sandra Maischberger durch ihre Sendung, die mit dem schwammigen Titel "Heute blau, morgen blau: Wann wird Alkohol gefährlich?" soviel Spielraum gelassen hat, dass jetzt keiner mehr zu wissen scheint, worüber man eigentlich genau sprechen will. Es macht sich eine sehr bleierne, ja man möchte sagen, nüchterne Stimmung breit.

Gut, wird sich Frau Maischberger gedacht haben, dass der trinkfreudige Peter Richter noch da ist, denn der haut dann wieder provokative Statements raus wie "Komasaufen ist ein anderes Wort für Jugend", womit er eigentlich nur sagen will, dass die jungen Generationen zu allen Zeiten ihre eigenen Grenzen mit dem Alkohol exzessiv ausgelotet hätten, inklusive derer, die sich jetzt um ihre Kinder sorgen.

Leider erst kurz vor Schluss geht Sandra Maischberger näher darauf ein, dass Dr. Lindenmeyer nicht nur eine Suchtklinik leitet, sondern mit Jugendlichen unter dem Titel "Lieber Schlau als Blau" auch Kurse veranstaltet, in denen sie unter seiner Aufsicht kontrollierte Experimente mit der Wirkung von Alkohol machen können.

So vertritt er eine ganz interessante Position, nämlich die, Jugendliche möglichst früh und möglichst schnell selbst mit der Wirkung und damit auch den Gefahren des Alkohols zu konfrontieren. Ein bemerkenswerter Ansatz, für den er von der Boulevard-Presse heftig gescholten wird. Doch für diesen Diskussionspunkt bleibt kaum noch Zeit.

Gunter Gabriel, das zerfurchte Gesicht in die Hände gestützt, steht die erschreckend richtungslose Diskussion mit stoischer Ruhe durch. Einmal noch fragt ihn Maischberger nach seiner Jugend, und wie das damals war mit dem Alkohol: "Ich kann mich daran nicht erinnern", gibt er trocken zu verstehen. Und dann müssen doch noch einmal alle kurz gemeinsam grinsen: Die Abstinenzler und der Hedonist.