Im Oktober wird auf jeden Fall gefeiert: 90 Jahre Theater am Kurfürstendamm. Es könnte der letzte Geburtstag sein. Denn den 100. dürfte die von Architekt Oskar Kaufmann entworfene Bühne wohl kaum noch erleben. Schließlich soll sie – ebenso wie die benachbarte, nur ein paar Jahre jüngere Komödie – im Zuge der Neugestaltung des Kudamm-Karrees beseitigt werden. Obwohl: Als vor fünf Jahren der 85. Geburtstag gefeiert wurde, da tat man das, weil „wir dachten, in einem Jahr müssen wir raus, dann wird das Theater abgerissen“, erzählt Martin Woelffer, der Direktor der beiden Bühnen am Kurfürstendamm. Er sagt das, während er auf der Bühne des Theaters sitzt, das es eigentlich schon längst nicht mehr geben sollte. Er erzählt das anlässlich der Vorstellung des Spielplans für die neue Saison. Und verdeutlicht damit die verzwickte Lage: Seit mittlerweile sechs Jahren steht die Zukunft der Bühnen auf des Messers Schneide. Die Besitzer des Kudamm-Karrees wechselten, aber immer wurde dem Theaterdirektor gesagt, dass er demnächst raus müsse. Aber er ist noch da.
Ehrgeizige Ziele
Und gibt selbstbewusst ein Ziel aus: „Wir wollen auch in der nächsten Saison die Nummer eins unter den Berliner Theatern sein.“ Rund 230.000 Zuschauer haben in dieser Spielzeit die Aufführungen besucht – 250.000 Zuschauer sollen es werden. Damit liegen die Woelffer-Bühnen klar vor dem Berliner Ensemble, dem Zweitplatzierten unter den Sprechbühnen. Das von Claus Peymann geleitete Haus veröffentlichte gestern seine Zahlen: 190.000 Besucher in dieser Saison, knapp drei Millionen Euro Einnahmen und eine Platzauslastung von 85 Prozent.
Über die Auslastung sprechen privat finanzierte Bühnen traditionell nicht, aber in diesem Punkt liegt das BE mit Sicherheit deutlich vor den Kudammbühnen. Dass Woelffer eine zehnprozentige Steigerung der Ticketverkäufe anstrebt, zeigt natürlich auch, dass in diesem Punkt noch Luft nach oben ist. Das ehrgeiziges Ziel soll mit neuen Inszenierungen, aber auch mit einigen Wiederaufnahmen von Erfolgsproduktionen erreicht werden. Die erste steht bereits am Sonntag an, denn anders als bei den staatlichen Einrichtungen wird am Kudamm auf eine Sommerpause verzichtet, „weil wir uns das als Privattheater nicht leisten können“.
Programm statt Sommerpause
Bis zum 14. August stehen Jochen Busse und Claudia Rieschel in der Seitensprung-Komödie „In jeder Beziehung“ auf der Bühne. Die erste Premiere gibt es im September mit dem Slapstick-Klassiker „Das Ende vom Anfang“ an. Neben Achim Wolff spielt Florian Martens, der gewissermaßen noch eine Rechnung mit dem Regisseur offen hatte. Denn Carl-Hermann Risse war Martens' Lehrer auf der Ernst-Busch-Hochschule, aber während der Ausbildung fiel die Komödie aus – das will Martens jetzt, gefühlte 30 Jahre später, endlich nachholen, erzählt Martin Woelffer.
Sein Vater Jürgen inszeniert Ende Oktober die Uraufführung von „Spätlese“, Folke Braband hat das Stück geschrieben. Im Dezember gibt es ein Wiedersehen mit Katja Riemann. Ihre Lieblingsregisseurin Amina Gusner inszeniert einen modernen Klassiker, den man nicht unbedingt am Kudamm erwarten würde und der zuletzt in Berlin in einer herausragenden Inszenierung von Jürgen Gosch am Deutschen Theater lief: „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“.
Vertraute Gesichter auch im neuen Jahr: Oliver Mommsen kehrt in „Gut gegen Nordwind“ an den Kurfürstendamm zurück und spielt anschließend in der Komödie „Fettes Schwein“. Im April inszeniert Helmut Baumann das Zweipersonenstück „Paradiso“ mit Ursula Karusseit und Alexa Maria Surholt.
Investor in der Pflicht
Bis dahin dürfte Martin Woelffer auch Klarheit über die Zukunft haben. Oder auch nicht – angesichts der vergangenen Jahre. Derzeit geistert der Sommer 2012 als Auszugsdatum herum – ohne Gewähr natürlich. Woelffer selbst hält einen 9-monatigen Vorlauf für einen Umzug für das Minimun. Demnach müsste in den nächsten Wochen eine Entscheidung fallen. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit sieht den Investor in der Pflicht, wie er gegenüber Morgenpost Online betonte.
Am Dienstag fand ein Gespräch im Büro des Kulturstaatssekretärs André Schmitz statt. Neben Woelffer und Schmitz nahmen auch die Bezirksbürgermeisterin von Charlottenburg-Wilmersdorf, der Baustadtrat und ein Vertreter des irischen Investors Ballymore daran teil. Der geht demnach davon aus, dass Mitte 2012 der Abriss der Theater ansteht – wenn es keine Verzögerungen bei der Erteilung der – noch nicht beantragten – Baugenehmigung gibt.
Zelt als Ausweichspielstätte
Das Grundproblem dürfte die Finanzierung dieses millionenschweren Großprojekts sein, denn Irland ist von der Finanzkrise schwer getroffen – und ohne Geld von Banken lässt sich die Neugestaltung des Kudamm-Karrees nicht realisieren. Das erklärt auch ein bisschen die Gelassenheit von Martin Woelffer. Der langfristig mit einem Theater ins Kudamm-Karree zurückkehren soll, so ist das mit Ballymore vereinbart – und auch Bezirk und Senat stehen hinter diesem Konsens. Für die Zwischenzeit allerdings braucht Woelffer eine Ausweichspielstätte.
Beim Spitzengespräch beim Kulturstaatssekretär war das ein Thema. Demnach wurde über mehrere Standorte für eine Ersatzspielstätte im Bezirk gesprochen. Sie sollen jetzt geprüft werden. Es scheint auf ein Theaterzelt hinauszulaufen, das in einem Innenhof eines Gebäudes in der Nähe des jetzigen Theaterstandortes aufgestellt werden soll. Wer diese Zwischenlösung finanziert, ist noch unklar. „Wir können es nicht“, betont Woelffer. Wohl auch nicht, wenn er in dieser Spielzeit 20.000 Zuschauer mehr erreicht.