Sachbuch

Dunkel war's – Die Schönheit des Film noir

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Holger Kreitling

Foto: picture-alliance / obs / pa/obs

Schatten, Regen, Mord, Verderben: Darum geht es im Film noir. Meistens rennen die Männer, von verführerischen Frauen angestiftet, ins Unglück. Bis heute tauchen Motive und Bilder des Film noir im Kino und im Fernsehen auf. Ein Sammelband fasst jetzt das Genre neu und preist 71 Werke.

Immer weg vom Hellen, hin zur Schwärze und Verdammnis: Das ist die Essenz des Film noir. Nebel, Regen, Straßen und Mauern, Schatten bieten die Kulisse. Aus Tod und Verderben entsteht so eine Coolness und Schönheit, die beispielhaft für das Kino ist – und sich als enorm langlebig erwiesen hat. Der nächste Film noir ist immer nur ein paar Wochen entfernt.

Eine Frau betritt ein Café. Die Sonne Mexikos scheint heiß. Sie trägt Weiß. Drinnen wartet ein Mann, der sie eigentlich entführen soll, denn die Frau hat Geld gestohlen. Sie kommt aus dem Bildhintergrund ins dunkle Café von Acapulco, die Stimme von Robert Mitchum spricht: „Und dann sah ich sie, wie sie aus der Sonne kam, und ich wusste, warum Whit sich nicht um die 40 Riesen scherte.“

Jane Greer ist in „Out Of The Past“, einem Klassiker des Film noir, ein Traumwesen. Eine hell strahlende Phantasmagorie, ein Engel. Und zugleich ein Femme-fatale-Mythos. Was wir über sie wissen, wissen wir von Mitchum, dessen nächtliche Beichte wir hören. Er hat sie geschaffen, wie er sie sehen will, und es geht selbstverständlich gründlich schief. Am Ende, als sie ihm kalt und überlegen seine Phantasterei vorhält, wählt er lieber den Tod als die Wahrheit. Edelmut und guter Glaube wird im Film noir immer bestraft.

„Film noir“ ist kein Genre, sondern eine Haltung zur Welt.

„Existenzielle Ausweglosigkeit“ nennt die Kultursoziologin Elisabeth Bronfen das in ihrem Text über „Out Of The Past“, und sie verweist auf das Kameraverfahren „Day for Night“. Selbst am Tag wird die Nacht heraufbeschworen. Das Licht ist scharf und auffällig, und meist bewegen sich die Figuren darin wie die Bewohner im Nachttierhaus. Fröstelnd, unbehaglich, mit großen Augen und flinken Reaktionen.

Die Literatur über das Genre ist breit, in regelmäßigen Abständen wird das Credo des Film noir beschworen. In der verdienstvollen Reihe „Filmgenres“ Buch kommen 71 Werke vor, bewundert und gepriesen von zahlreichen Autoren. Der Bogen ist weit gefasst, von Jean Renoirs „Die Hündin“ von 1931 bis zu Sidney Lumets „Tödliche Entscheidung“ von 2007. Allenfalls ein Drittel der Filme zählen zur Schwarzen Serie Hollywoods der vierziger und fünfziger Jahre, die gemeinhin mit dem Genrebegriff bezeichnet wird.

Herausgeber Norbert Grob schlägt in einem langen Essay eine umfassende Neubetrachtung des Noir-Stils vor. Für ihn ist „Noir“ eine geistige Strömung, die sich in immer neuen Wellen unaufhörlich erneuert. Entstanden nach dem Ersten Weltkrieg wird die Kultur unaufhörlich damit unterfüttert, beliefert, geprägt. Grob klopft Motive, Soziologie und Hintergründe ab, er kreist um Verderben, Psychopathologie, Verlorenheit und untermauert den allumfassenden Anspruch.

Film noir ist ein französischer Begriff für amerikanische Filme, die überall auf der Welt entstanden, auch in Asien und Europa. Die Anhäufung der negativen Energien in den Filmen erklärt die Produktivität bis heute. Not, Tod, Neurosen und mörderische, Furcht einflößende Frauen haben immer Konjunktur.

Viele der Werke entstanden als B-Pictures, immer am Rande, abseits der großen Aufmerksamkeit. Mit billigen Mitteln wurden große Effekte erzielt; selten durften sich Kameraleute so austoben und so viele Gesetze brechen wie im Film noir. In dieser Kellerexistenz sonnt sich der Film noir. Und gedeiht. Bis in Klischees hinein, die in der Werbung etwa für Fielmann-Brillen zitiert werden.

Man kann sich als Filmfreund in das Buch hineinfallen lassen, und entdeckt in fast jedem Text eine feine Betrachtungsweise, eine Trouvaille, einen tollen zitierten Dialogsatz. Film noir regt in seiner visionären Verknüpfung von Inhalt und Stil, Gefühl und Intellekt, die Phantasie an.

Die Zustandsbeschreibungen sind zeitlos. „Die Welt ist ein Labyrinth: Heimat ist nirgendwo, und zwischen Wirklichem und Möglichem gibt es keine Differenz mehr“, heißt es über „Wilders „Double Indemnity“ von 1944, könnte aber ebenso gut für „Sieben“ von 1995 gelten. Auswahl und Kanonisierung der Filme sind natürlich anfechtbar, aber das stört, anders als bei anderen Bänden der Reihe, wenig.

Der Regisseur Dominik Graf, der auch ein großer Autor wäre, würde er nur über Film schreiben , bringt die verführerische Schönheit des Film noir in seinem Text über Robert Aldrichs „Rattennest“ auf den Punkt. Die schwarze Serie werde nie aussterben, meint er, sondern in endlosen Variationen fortgesetzt – und „immer als film pur daherkommen.“ Dramaturgie und Handlung? Vergessenswert. Schlüssigkeit? Nebbich. „In der Erinnerung bleiben vom allem tolle Dialoge, Musik, Licht und Schatten, Choreografie, Traum, Albtraum, Gewalt, sarkastischer Humor, Schönheit, Sex, Sehnsucht und Melancholie. So soll es sein.“

Gerade dreht Dominik Graf eine Serie über zwei Berliner Polizisten. „Im Angesicht des Verbrechens“ soll ein Sittengemälde werden. Einmal dem Noir-Kunstwerk verfallen, gibt es kein Entkommen. So soll es sein.

Norberg Grob (Hg.): Film noir. Reihe Filmgenres. Reclam, 408 S., 9 Euro.