Sie werden vom Feuilleton allenfalls belächelt. Doch Stars der deutschen Countrymusik wie Gunter Gabriel, Truck Stop, Tom Astor und The BossHoss füllen Konzertsäle. Von ihren amerikanischen Vorbildern sind sie allerdings weit entfernt. In Deutschland wird Country allzu oft veralbert, verschlagert und vervolksmusiziert.
Ebersbach, 26. Dezember
Ebersbach ist am Ende der Welt - hinter Löbau, hart an der tschechischen Grenze. Um sechs Uhr abends wirkt der Ort wie ausgestorben. Das einzige Licht brennt in einem Haus, wo "Physiotherapie und Pizza" angeboten wird. Man fragt nach einem trockenen Rotwein, die Bedienung hätte "Tschianti". Vor lauter Verlegenheit bestellt man lieber ein Bier.
Vor der Oberlausitzer Konzert- und Veranstaltungshalle (OKV) hat sich eine lange Schlange gebildet. Man bibbert in der Kälte und wartet. Linda Feller ist angekündigt, ein Stern der ostdeutschen Countryszene. Um 20 Uhr beginnt das Vorprogramm mit DJ Olaf.
Die nächsten zwei Stunden gibt es ohne Pause Schlager im Marschrhythmus. Dazu tanzen die Leute mit einer Ausdauer Discofox, als gälte es, irgendeine Norm zu erfüllen. Wird man hier die Seele der deutschen Countrymusik finden? Wohl nicht.
Als Linda Feller endlich die Bühne betritt, zeigt das Publikum bereits Anzeichen von Räude. Feller stammt aus Thüringen, ist mittlerweile 45 Jahre alt und war schon zu DDR-Zeiten ein Star. Sie ist Deutschlands erfolgreichste Countrysängerin und hat sogar, wie es auf ihrer Homepage heißt, einen "fast legendären Auftritt" in der Grand Ole Opry in Nashville hingelegt. Sie ist hier, um ihr 23. Album zu promoten: "Stark". Das bedeutet, durch Orte wie Ebersbach tingeln und zu Playback zu singen.
Die Musik liegt irgendwo zwischen echtem Country und deutschem Schlager, wobei Fellers Produzenten den Fehler machen, ihre ohnehin etwas puppenhafte Stimme durch exzessives Doubletracking noch süßlicher zu machen. Keine Blue Note, nirgends.
Auch die Texte sind eher süßlich. Von Alkohol und Tabletten, Ehebruch und Scheidung, verblassten Träumen und enttäuschter Hoffnung, diesen Evergreens der Countrymusik, ist an keiner Stelle die Rede. "Er streitet oft / Fühlt sich im Recht / Auch wenn es falsch ist / Und zuhörn kann er schlecht / Er liebt die Nächte / Kommt morgens kaum raus / Und fast nie bringt er Blumen nach Haus / Er ist kein Engel / Hat keine Flügel / Und schon gar nicht einen Heiligenschein / Doch viel schöner als in seinen Armen / Kann es auch im Paradies nicht sein." Na denn.
Trotzdem gilt Feller als Rebellin, als Frau für Frauen - wegen Songs wie "Ein männerfreies Wochenende". Das Publikum sitzt stoisch da und hört nicht ohne Sympathie, aber ohne Begeisterung zu. Fellers Lächeln wirkt angestrengt.
"Die Countrymusik hat es in Deutschland schwer", sagt sie. "Sie ist auch nicht unsere Musik. Sie ist die Volksmusik des Südens in Amerika." Feller probiert es mit unserer Musik. Sie singt "Leise rieselt der Schnee" und "Winter im Land". Als sie dann auch noch zu "Heitschi Bumbeitschi" ansetzt, verlässt man die Halle. Die Countrymusik hat es in Deutschland schwer.
Beelitz, 15. Januar
Beelitz südlich von Berlin ist bekannt für seinen Spargel. Sonst ist nicht viel los in der Stadt, abends sind die Straßen leer. In der Clara-Zetkin-Straße steht das Tiedemannhaus, und heute tritt dort Gunter Gabriel auf. Auf Einladung des Vereins der Freunde und Förderer der Künste Beelitz, getragen wesentlich vom örtlichen Optiker und vom örtlichen Buchladen, wird der Pate der deutschen Countrymusik seine Autobiografie vorstellen: "Wer einmal tief im Keller saß".
Gabriel ist tief gefallen - finanziell und privat. Mit eigenen Hits wie "Hey Boss, ich brauch' mehr Geld" oder mit Songs für andere wie Juliane Werdings "Wenn du denkst du denkst, dann denkst du nur du denkst" hat er Millionen verdient. Aber sein Geld verlor er an windige Investoren, seine Steuern konnte er nicht bezahlen.
Von Alkohol, Drogen und Schlägereien war die Rede. Auf seinem neuen Album hat er nun eine deutsche Version von Radioheads "Creep" aufgenommen. Darin heißt es: "Nach 67 Jahren und 24 Tagen / Was hab ich erreicht? / Was hab ich, was bleibt? Handvoll Kinder, Handvoll Fraun / Verletzt und abgehauen ... Ich bin ein Nichts. Ich bin ein Niemand".
Aber gerade dieses Album, "Sohn aus dem Volk", wird von der Kritik gelobt. Gunter Gabriel ist wieder da, und morgen wird er in Hamburg vor 1400 Menschen sein Comeback feiern. Heute aber ist er in Beelitz. Der Saal ist voll: etwa 100 Leute in ihren Lurex-Pullovern; unter 50 ist niemand im Saal. Trotzdem ist Gabriel zuversichtlich: "Das wird eine tolle Stimmung. Das weiß ich. Weil das immer so ist."
Wir treffen ihn in der Garderobe. Gabriel redet vom Widerspruch zwischen seinem Macho-Image und seinem wirklichen Leben: Er ist ein schwächliches, kränkliches, einsames Kind. Die Mutter stirbt, als er vier Jahre alt ist, seine älteste Erinnerung ist ihr Sarg, der in der Küche steht.
Der Vater, Schrankenwärter bei der Bahn, kennt nur eine Erziehungsmethode. "Eins auf die Fresse. Er war ein Arschloch. Als er starb, habe ich eine Flasche Sekt aufgemacht." Zu Gabriels Repertoire gehört seit jeher der Johnny-Cash-Song "A Boy Named Sue", den Gabriel verdeutscht hat und der vom Kampf auf Leben und Tod zwischen Vater und Sohn handelt.
"Aber in dem Song gibt es eine Versöhnung. Bei uns gab es keine Versöhnung." Der Junge flüchtet sich in Bücher und Fantasien. Wie für viele seiner Generation bedeutet die neue Musik aus Amerika eine Erlösung aus dem autoritären Alltag: "Elvis war meine Rettung. Den habe ich heimlich im Kohlenkeller gehört."
Er macht eine Schlosserlehre, holt das Abitur nach, studiert Maschinenbau. "Ich bin ja bürgerlich erzogen worden. Und ich wollte meinem Vater imponieren, ich wollte von ihm geliebt werden." Doch kurz vor dem Abschluss bricht er das Studium ab. Er will Songschreiber werden.
"Mir ging es um die Texte. Weil ich ein Wortmann bin. Ich liebte George Brassens, Gilbert Bécaud, Charles Aznavour, später Dieter Süverkrüp und Wolf Biermann. Reinhard Mey war mir aber zu weich. Ich wollte schon ein Kerl sein." Als Pressemann bei der Musikfirma CBS trifft er Kris Kristofferson.
"Das war ein Erweckungserlebnis. Er war ein Kerl. Gefährlich. Stand einfach so auf der Bühne. Nur Cash war gefährlicher. Aber Kristoffersen hatte diese Zeile: 'Freedom's just another word for nothing left to lose ...' Und da wusste ich: Solche Songs wollte ich schreiben." Gabriel hat Kristoffersons "Me and Bobby McGee" ins Deutsche gebracht. Da heißt die Zeile: "Freiheit ist ein Abenteuer, das wie Feuer brennt." Richtig gefährlich ist das nicht. Gabriel kann es eigentlich besser.
"Country ist eine Geschichtenmusik", sagt er. "Deshalb musst du sie deutsch singen." Es sind Geschichten aus dem realen Leben, nicht dieses "Es hängt ein Pferdehalfter an der Wand", oder "Siebentausend Rinder" der deutschen Countrymusik der 50er-Jahre. Gunter Gabriel schrieb Songs über Fernfahrer ("Er fährt 'nen 30-Tonner Diesel ..."), über Gleisbauer ("Intercity Linie Nummer vier"), über die Schwierigkeit, mit dem, was man hat, zurechtzukommen ("Hey Boss, ich brauch' mehr Geld").
Es sind oft kleine Romane. Gabriels Fernfahrer will seiner Frau erzählen, dass er den Job schmeißt und ab jetzt zu Hause bleibt. Nur noch 100 Kilometer, dann ist er zu Hause. Aber als er ankommt, ist die Wohnung leer. Solche Lieder waren in den sozialkritischen späten 70er-, frühen 80er-Jahren die Musik zum Film Deutschland West.
Und wo gab es so etwas sonst in der deutschen Popmusik: "Neben mir saß einer, der hatte zehn Glas Bier und war völlig hinüber. Der hat erzählt von damals, dem Bauernhaus bei Königsberg. Vergilbte Familienfotos. Der Krieg. Die Nazis. Die Sozis. Und jetzt die linken Langhaarigen. Was soll bloß aus Deutschland werden? Wenn's nach ihm ginge, hieße es einfach: Rübe ab. O. k., dem kann keiner mehr helfen." Nachzuhören in dem Lied "Fünf Uhr morgens".
Später rutschte er ein bisschen ab ins Schlagerhafte: "Komm unter meine Decke" und so. Aber Gabriel sah sich immer als Rebell. Er identifiziert sich mit Amerika: "Die Amerikaner hatten ja ihre Heimat verlassen. Deshalb sind sie so gut drauf. Hier geblieben sind die Spießer. Deren Musik ist die Volksmusik."
Dabei hat Gabriel seine Liebe zu Deutschland bekannt, als die Feuilletons noch nichts von "entspanntem Patriotismus" wussten, und eine Gitarre in den Farben Schwarz-Rot-Gold spielt: "Schwarz wie die Kohle im Revier / Rot wie die Lippen der Mädchen hier / Gold wie der Weizen und das Bier", wie es etwa in dem Lied "Deutschland ist..." aus dem Jahr 1982 heißt. Deutschland war in dem Song übrigens nicht nur "die Elbe bei Cuxhaven", sondern auch "Goethes Haus in Weimar". Und weiter: "Deutschland ist nicht nur in Paragrafen" - ein Hieb gegen den Verfassungspatriotismus und zugleich ein Hochlied auf die Demokratie: "Was wird aus diesem Land / Das liegt ganz in unserer Hand".
Überhaupt bietet die deutsche Countrymusik eine Möglichkeit, patriotisch ohne nationalistisch zu sein. Man ist ja pro-amerikanisch; der antiwestliche Affekt hat hier keine Chance. Und man ist Rebell, kein Mitmarschierer. Die Südstaatenfahne verkündet etwas vom Stolz der Verlierer, von der "Kultur der Niederlage"; hier feiert sich eine Internationale der Underdogs, die Bier und Schweinenackensteaks mögen und eben auch ihr Land.
Die Beelitzer "Lesung" kommt dann nicht über das Vorwort hinaus; es ist mehr ein Konzert, gewürzt mit Anekdoten aus Gabriels Leben und Frotzeleien: "Das ist ein toller Pulli. Wo hast du den her? Von Kik?" Und die Stimmung ist tatsächlich toll, wie Gabriel es vorhergesagt hat:
Man klatscht - auf der Eins, Deutschland ist nun einmal auch Klatschen auf der Eins, das mit dem swingenden Off-Beat, das können wir ebenso wenig wie eleganten Fußball - schon beim ersten Song. Gabriel ist ein begnadeter Entertainer. Er steht allein mit seinem tschechischen Gitarristen auf der Bühne; heute sind nicht die neuen Songs gefragt, sondern die alten Hits: "Hey Boss", "Komm unter meine Decke", "Dies Land ist mein Land" (der alte Woody-Guthrie-Song), "Deutschland ist ..."
Hier unterbricht Gabriel, um die Leute daran zu erinnern, dass er einmal ganz unten war. Als er seine Steuern nicht bezahlen konnte, hielt er bei einer Talkshow seine Telefonnummer in die Kamera. Jeder konnte ihn privat mieten. Daraus wurde seine "Wohnzimmertour", über 450 Auftritte überall im Land. "Weil man etwas machen muss. Weil man den Arsch hochkriegen muss." Er fragt einen Mann in der ersten Reihe: "Was machst du?" Er ist Frührentner. "Nein, ich meine, was machst du? Rente ist Scheiße. Ich mache weiter, bis ich umfalle."
Hamburg, 16. Januar
Die Laeiszhalle in Hamburg: Neobarock, Blattgold, ausverkauft: 1400 Leute. Gunter Gabriel ist nervös, man merkt es an seiner Atemlosigkeit. Denn er stellt sein neues Album vor, "und die ganzen Bosse waren da. Die erwarteten was." Es wird ein Triumph.
Gabriel wird mit Jubel empfangen, wie der zurückgekehrte verlorene Sohn der Stadt. Die Band ist frisch und jung, die Spielfreude gewaltig. Allerdings klatscht man auch in Hamburg auf der Eins. Das Publikum wirkt zwar wie eine Illustration der demografischen Katastrophe, überall weiße Haare, ist aber gut gelaunt. Manche sind in feiner Abendgarderobe und rümpfen die Nase über eine Handvoll etwas streng riechender Obdachloser, die Gabriel auf die Gästeliste gesetzt hat. "Deutschland ist ..."
Drochtersen, 17. Januar
Nach Drochtersen müssen wir uns durch einen Schneesturm hindurchkämpfen. Der Ort liegt hinter Stade an der Unterelbe, zwischen Obst, Milch und Industrie - dem stillgelegten Kernkraftwerk, Dow Chemical, Airbus. Hier veranstaltet die Gemeinde seit 22 Jahren immer an einem Sonntag im Januar "den längsten Frühschoppen Deutschlands" mit Truck Stop , Deutschlands erfolgreichster Countryband.
Wir folgen den Schildern zur Mehrzweckhalle. Der Parkplatz ist schon voll, und durch den Schnee stapfen Männer mit Cowboyhut, Schnurrbart, Jeans und Cowboystiefeln zielgerichtet zur Halle, einem schlichten Betonbau aus Helmut Schmidts Konjunkturpaket.
Vor der Halle steigt der Dampf aus Bratwurst- und Fischbuden auf; hinter der Halle steigt ebenfalls Dampf auf; da stehen Cowboys in Reih und Glied und pinkeln gegen die Wand. Das Bier treibt. Es ist 11.30 Uhr, der Frühschoppen geht noch bis 17.30 Uhr.
Drinnen ist eine andere Welt. Der Saal ist gerappelt voll, 2000 Leute, fast alle in Cowboy- oder Cowgirl-Outfit. Wer sich anpassen will, kann sich an einem Stand mit Cowboyhüten und -hemden, Fransenjacken, Patronengürteln und Stiefeln eindecken, außerdem mit US- und Südstaatenfahnen und diversen Devotionalien.
Das Verhältnis Männer zu Frauen beträgt zwei zu eins. Die meisten Männer sind mittleren Alters und tragen stolz ihren Bierbauch zur Schau; aber es gibt auch viele junge Männer, die um Beck's-Kästen herumstehen, und auch junge Frauen.
Hier sind alle Altersgruppen in einer Subkultur vereint. Es wird geraucht, man ist ja Outlaw. "Cowboys dürfen das" steht auf vielen T-Shirts. Manche Frauen tragen in ihren Patronengurten die Tagesration Feigling oder Magenbitter. Manche Männer bedienen sich. Das wird lustig.
Als Vorgruppe spielen die Blue Mountain Boys and Julia aus "Drochtersen City". Die Boys sind um die 50, Julia etwa 20. Man spielt die Klassiker, Johnny Cash, Hank Williams, Creedence Clearwater Revival - drei Akkorde, Wechselbass. Vor der Bühne tanzen dicke Männer mit langen Haaren und Bart mit ebenso dicken Frauen Linedance, die moderne Version der alten Squaredance-Figuren. Seite, Seite, hinten kreuzen, hopp und vor und Partner drehen - alles ohne Kommando. Es ist eine seltsame Grazie darin.
Truck Stop werden mit Getöse empfangen. Sie sind die Stars der Szene, man weiß nicht genau warum. Routiniert spielen sie ihre Hits wie "Ich möcht so gern Dave Dudley hör'n", drei Akkorde, Wechselbass. Das Publikum grölt die Texte mit: "Wir sind nicht zu zügeln, sind wir fertig mit dem Bügeln. / Die Herrn im Haus sind wir, sind die Frauen mal nicht hier. / Ganz nach Cowboy-Art, nach Cowboy-Art, nach guter alter Cowboy-Art."
Das klingt eher nach guter alter Spießer-Art. Oder: "Wer kennt die Frau, die nichts anhat als den Gurt, auf dem Schild an der Straße von zu Hause in die Stadt, wo ich so oft langfahr?" Oder "Damenwahl". Oder "Darf mein Hund mit in den Himmel". Und so weiter. Gunter Gabriel hat gesagt, Volksmusik sei Spießermusik, Country sei da etwas anders. Vielleicht.
Ein Lichtblick ist Jill Morris, die als Special Guest für drei, vier Songs auf die Bühne kommt. Morris hat eine Stimme wie Tammy Wynette, sie singt "Stand By Your Man" und "I Never Promised You A Rose Garden"; der Saal tobt, auch die Band wirkt plötzlich wacher. Doch hinter der Bühne fällt ihr Lächeln von ihr ab, man merkt eine müde Frau, die noch schön ist, aber von Tag zu Tag älter wird und inzwischen weiß, dass sie es nicht mehr schaffen wird, ein Star zu sein.
Berlin, 21. Januar
Michael Niedzwetzki ist eine Hälfte des Duos Twango Guitars . Niedzwetzki ist ein Ostgewächs, seit 1985 professioneller Musiker, was bedeutet, dass er Noten lesen und so ziemlich alles vom Blatt spielen kann. Früher hat er bei den Lolly-Boys gespielt, der DDR-Version der Stray Cats, und bei Wilk and Friends, der ersten DDR-Countryband.
Seit einigen Jahren wird es immer schwieriger, mit einer Band Geld zu verdienen, "es sei denn, man ist Truck Stop. Die sind die Krösusse der Szene." Die Twango Guitars haben im Sommer einen Tourplan, der so aussieht: Blankenburger Country Linedance-Party, Dolgenbrodt Wiesenfest, Ökohof Auterwitz, Strausberger Stadtfest, Linedance Party Strausberg, Oberhavel-Bauernmarkt Schmachtenhagen. Da wird man nicht reich. Zehn Gigs pro Monat bei 500 Euro für einen Abend sind schon gut. Und Januar, Februar, März ist tote Hose.
Wie viele Bands arbeiten die Twango Guitars mittlerweile mit Bass und Drums von der Konserve. Das spart Personal. "Immerhin habe ich die selbst in meinem Studio eingespielt", sagt Niedzwetzki. "Es sind viele Scharlatane unterwegs, die holen sich vom Internet Midi-Files und singen drüber. Manchmal machen sie nicht einmal den Gesang-Track weg."
Und viele Clubs ließen sich das gefallen, "denn die Linedancer bestimmen jetzt die Szene, gerade in Brandenburg. Die haben nicht viel Ahnung von Musik, die wollen nur einen Rhythmus haben, das muss nicht einmal Country sein." Niedzwetzki geht's noch gold. Er hat eine Frau, die mitverdient, ein Eigenheim mit dem Studio im Keller, und außerdem spielt er noch in einer Bluesband, den Pistoleros, und einer Western-Swing-Band, Hannes and the Ballroom Kings. Über so ein Musikerleben müsste man einen Song schreiben, ähnlich wie "Sultans of Swing".
Erfurt, 29. Januar
Die Alte Oper ist nur zu drei Viertel voll. Vielleicht liegt's am Wetter. Immerhin sind etwa 500 Leute gekommen, um Tom Astor zu sehen, ein Urgestein der deutschen Countryszene. Angeblich hat er über vier Millionen Tonträger verkauft und 600 eigene Songs aufgenommen.
"Der hat eine Millionen-Villa", hat Gunter Gabriel gesagt, der mit Astor mal einen Song aufgenommen hat. "Ich wohne auf einem Hausboot." Das Publikum ist irgendwie Ohnsorg-Theater. Astors Band, sechs ziemlich junge - und hochkompetente - Musiker, trägt keine Countrykluft; Astor jedoch erscheint mit Hut und schwarzer Westernjacke.
Für einen Mann, der genauso alt ist wie Gunter Gabriel, nämlich 67, sieht er gut aus. Ein bisschen wie Charles Bronson, wenn man die Augen zusammenkneift. Und doch schon im Alter, wo man das Hemd lieber außerhalb der Hose trägt.
Gleich zu Beginn des Konzerts klatschen alle - auf der Eins - mit: "Wilde Gefühle" heißt das Lied. Es folgt seine Version des Klassikers "Banks Of The Ohio". Der heißt auf Deutsch: "Viel vergeigt und viel erreicht". Ein paar Coverversionen - von Johnny Cash, Don Williams und Kris Kristofferson: Deutsche Countrymusik bedient sich hauptsächlich beim guten, alten Wechselbass, C-Dur-Akkord drauf und fertig. Das liegt vielleicht an der Sprache. Die sägt mehr so auf und ab, das Englische singt eher.
In den vorderen Reihen wird mittlerweile geschunkelt, und während Tom Astor seinen Feminismussong "Mit einer starken Frau" singt, fragt man sich, was die Countryverkleidung mit dem Inhalt der Songs zu tun hat. In Amerika deutet sie immerhin eine regionale Verankerung an, eine Verbindung zum Land und zu den alten Werten Familie und Religion, Mannesehre und Selbstständigkeit, auch wenn die Tradition vor allem dadurch geehrt wird, dass man sie bricht: Ehebruch, Scheidung, Suff, Arbeitslosigkeit und verlorene Träume.
Country ist die Popmusik, die übrig bleibt, wenn man sich beim besten Willen nicht mehr einbilden kann, in der Disco anders zu wirken als lächerlich. Die Musik, in der man Gefühle ausdrücken kann, die im Pop verboten sind: Bitterkeit, Humor und ein bisschen Weisheit, aber nicht zu viel, sowie eine Menge Wut aufs Leben. In Deutschland wird sie allzu oft veralbert, verschlagert, vervolksmusiziert.
Er sei eine "Landratte" aus dem Sauerland, erzählt Tom Astor in der Garderobe. Dort hörte er, wie die ganze deutsche Nachkriegsgesellschaft, Volksmusik, Operette, etwas Klassik und Jazz. Als er bei AFN "Hillbilly" hörte, wie die Musik damals genannt wurde, gefiel ihm "das Urwüchsige, das Durchsichtige".
Trotzdem machte Astor zunächst auf Schlager, schrieb Texte für Christian Anders und Co., bis er in den 80er-Jahren im Gefolge von Gunter Gabriel (die beiden sind in aufrechter gegenseitiger Verachtung verbunden) zur Countrymusik kam.
"Country hat ein falsches Image in Deutschland", klagt Astor. "Immer wenn ich im Fernsehen bin, steht da ein Strohballen herum und eine Schwingtür im Hintergrund. In Amerika ist sie Popmusik." Stimmt. Aber Astor hat seinen Teil dazu beigetragen, dass die Musik bei ihrer Einbürgerung so assimiliert wurde, dass sie alles Gefährliche und Abgründige verloren hat:
"Wir werden nicht älter, nur noch besser" heißt ein Song von ihm, und das Erfurter Publikum johlt, aber stimmt das auch? Astor selbst hat eine mittelmäßige Stimme, der er nicht zu viel zumutet. Er hat aber mal ein Duettalbum mit Stars aus Nashville aufgenommen. Ein Fehler, denn da merkt man dann doch den Abstand.
Rostock, 5. Februar
Isses denn nun möglich? Walter Kempowskis Heimatstadt ist in den letzten Jahren zu einer schicken Stadt geworden. Und nun empfängt Rostock Deutschlands schickste Countryband. The BossHoss füllen locker die Stadthalle. Das Publikum ist eine soziale und bildungsmäßige Klasse höher und mehrere Jeansgrößen schlanker als in Drochtersen, weiblicher und im Schnitt eine Generation jünger.
Die Jungen und Mädchen tragen weiße Stetson-Hüte, wie The BossHoss, aber man hat das Gefühl, die werden nur zu diesem Konzert getragen, zu anderen Konzerten kramt man andere Accessoires heraus. Hier geben sich nicht die Südstaatler der Nation ein Stelldichein; für The BossHoss und für ihr Publikum ist Country kein Lebensgefühl, sondern eine Attitüde.
Das hängt auch mit der Herkunft der siebenköpfigen Band zusammen. Alec Völkel und Sascha Vollmer gründeten sie 2004 in Berlin, der Hauptstadt der Ironie, um "Trash Country Punk Rock" zu spielen, was bedeutet, dass sie Punk-Coverversionen bekannter Songs - wie zum Beispiel des Langnese-Jingles "Like Ice In The Sunshine" - mit Country-Instrumentalbesetzung spielen und dabei weiße Stetsons, Sonnenbrillen, weiße Feinrippunterhemden und Levis tragen. Irgendwie ein Hauch von "Brokeback Mountain". Unwiderstehlich cool. "You're a Superstar at the Gay Bar" heißt es in einem ihrer Songs, und man glaubt es ihnen gern.
Ein Jahr nach der Gründung waren The BossHoss schon bei einem Major-Musiklabel unter Vertrag und Deutschlands bedeutendste - und einzige - innovative Countryband. Die Songtexte sind Englisch, obwohl sie mittlerweile kaum noch covern, sondern ihre eigenen Stücke schreiben.
Offensichtlich gehen sie davon aus, dass ihr Publikum sie versteht. Oder auch nicht. Denn die Texte sind recht albern: "I've been around the World searching for Truth", heißt es im Song "Omniscient Lover". Wer soll das glauben? Oder: "No Mercy for the fucked up Phonies, no Mercy for the fucked up Schnooks ... So will you join our big Revolution?" ("Stallion Battalion"). Und das ist leider nicht einmal ironisch gemeint.
Im Konzert sagen sie die Songs sogar auf Englisch an, mit einem Pseudo-Texas-Akzent, der einem die Fremdschamröte ins Gesicht treibt. Doch die Musik ist gut, zwar mehr oder weniger immer dasselbe, aber schnell und professionell. Die Mädchen wippen diskret mit dem Hintern, die Jungs flippen aus.
Endet so die deutsche Countrymusik? Als ironisches Zitat? Wäre schade. Denn ein Ersatz ist nicht in Sicht. Musik aus dem Volk, die nicht völkisch oder volkstümlich ist. Denn das Volk ist nun einmal, wie Bertolt Brecht schon wusste, nicht tümlich.