Die CD-Auswahl präsentiert außerdem: The Gaslight Anthem folgen Bruce Springsteen, Herbie Hancock rettet die Welt und Johnny Flynn den Folk.

The Gaslight Anthem: American Slang (Side One Dummy)

Zeitgleich mit dem dritten Album des Quartetts The Gaslight Anthem aus New Jersey bringt Bruce Springsteen eine DVD heraus, die ihn im Hyde Park zeigt beim „London Calling Festival“ 2009. Der aufgeregte junge Musiker, der ihn bei „No Surrender“ unterstützt, heißt Brian Fallon. Er singt bei The Gaslight Anthem aus Bruce Springsteens Nachbarschaft. Als Fallons Band im Hyde Park auftrat, selbstverständlich vorher, leistete der Boss bereits seinem Bewunderer Gesellschaft. Bei „The ’59 Sound“, dem Titelstück der zweiten Platte.

Fallon und der Boss haben tatsächlich einiges gemeinsam: Herkunft, Stimme, Hang zum Pathos. Fallon ist gelernter Tischler. Er besingt vor vorgeschobenem Kinn die sogenannten kleinen Leute, und er pflegt dabei die große Geste. Ursprünglich betrachte er seine Band als Punkkapelle, dann als Nachwuchs-E-Street-Band. Zuletzt hat er sich sogar von den Memoiren Eric Claptons dazu inspirieren lassen, sein Gitarrenhandwerk zu verfeinern. All das ist dem ehrgeizigen neuen Album anzuhören. Allerdings klingt Brian Fallons Rockband immer noch am überzeugendsten, wenn sie so schnell spielt, dass es gleichgültig ist, ob sie gut spielt. Wenn ein Song zwar bossgemäß „Stay Lucky“ heißt, sich aber keineswegs nach Springsteen anhört, sondern nach seriösem Punk. Drei Punkte von fünf.

Miley Cyrus: Can’t Be Tamed (Hollywood)

Emanzipation, Teil zwei: Dass Miley Cyrus nicht als Hannah Montana altern und am Ende sterben möchte, ist verständlich. Disney hat die letzte Staffel seiner haarsträubenden Mädchenserie abgedreht. „Hannah Montana“ ist, wie Fernsehproduzenten sagen, auserzählt. Es ging im Groben um ein Landmädchen aus Tennessee, das sich in Hollywood als Popidol für Minderjährige missbrauchen ließ. Billy Ray Cyrus war daran beteiligt, Mileys Country singender Vater. Vor zwei Jahren deutete sie mit dem Album „Breakout“ erste, zaghafte Beteuerungen an, aus ihrem Käfig auszubrechen zu wollen. Sie verfasste ihre Lebenserinnerungen mit dem Titel „Miles To Go“. Mit 17 stellt sie nun das Album „Can’t Be Tamed“ vor. Der Schlachtruf, sie sei unbezähmbar, irritiert den Zuhörer dann aber doch. Auch die Begründung fällt ihr schwer. Entstellt von der beliebten Studiosoftware Auto-Tune plärrt Miley Cyrus, dass Roboter zu bedauern sind, dass Rosen Dornen haben und dass Narben bleiben werden. Sie wäre gern Lady Gaga. Wenn sie Glück hat, werden Mädchen ihre Platte mögen. Wer sich für erwachsen hält, wird Miley Cyrus für Hannah Montana halten, für das leibhaftige Grauen. Keinen einzigen Punkt.

Herbie Hancock: The Imagine Project (Sony)

Herbie Hancock feierte vor kurzem seinen 70. Geburtstag. Nachträglich schenkt er sich selbst ein Album, das beweist, dass auch ein Revolutionär im Alter milder wird, zum Kitsch neigt und an Wunder glaubt. Zur Weltverbesserung hat er die Welt bereist und Musiker um sein Klavier geschart, die ohne ihn kaum zueinander fänden: Wayne Shorter und Anoushka Shankar, Manu Katché und die Chieftains. Von James Morrison muss man Sam Cooks „A Change Is Gonna Come“ erleiden. Seal und Pink knödeln “Imagine” von John Lennon, India Arie fällt in den Reigen ein, Jeff Beck begleitet sie auf der Gitarre. Hauptsache, es hilft, die Welt wird kleiner, und der Jubilar ist glücklich. Zwei Punkte von fünf.

Johnny Flynn: Been Listening (Transgressive)

Unter allen Käuzen, die zur Zeit den Folk beherrschen, singt keiner so anrührend wie Johnny Flynn. Geboren in Johannesburg, in Großbritannien aufgewachsen, fiel ihm, als er 13 war, eine Bob-Dylan-Platte in die Hände, womit sein Berufswunsch feststand. Er studierte zunächst Schauspiel und war mit der Shakespeare Company auf Reisen. Nun verkörpert er einen verrückten Folksänger. Dabei beruft er sich auf Hermann Hesse und Cat Stevens. Auf die Wanderprediger des Wilden Westens und die Musikanten aus den Elendsvierteln von Südafrika. Man muss von alledem jedoch nichts wissen, um „Been Listening“ zu mögen. Ein herausragendes Folkalbum. Vier Punkte von fünf.

Oasis: Time Flies... 1994-2009 (Big Brother)

Oasis heißt jetzt Beady Eye. Liam Gallagher hält so die Überreste seiner Band zusammen, die sein Bruder Noel 2009 „mit einiger Trauer und großer Erleichterung“ verlassen hatte. Es läuft alles anders als geplant. Mitte der Neunziger, als sich nicht nur Oasis selber für die größte Popband seit den Beatles hielten, hieß es: Hitsammlungen von Oasis werde es nie geben, allenfalls als Nachruf.

Dann erschien 2006 die Sammlung „Stop The Clocks“. Noel Gallagher wählte verschiedene Songs der ersten beiden Alben aus, das dritte ignorierte er, die folgenden waren aus Anstand mit je einem Song vertreten. Doch Oasis musizierten weiter, unverdrossen zankend.

Heute liegt die Band im kalten Bruderkrieg auf Eis. Und niemand weiß, ob man die zweite Hitsammlung als Zeichen einer endgültigen Auflösung verstehen muss oder als Hinweis darauf, dass Noel Gallagher sich kaum um sein Geschwätz von gestern schert. Er packt nun vier CDs in eine Schmuckschatulle. Er verziert die Box mit 14 Jahre alten Fotos von den Menschenaufläufen beim Festival von Knebworth. Anschließend ging es bergab. Erwähnenswert ist, dass „Whatever“ sowie „Lord Don’t Slow Me Down“ diesmal Verwendung finden, die zwei Singles ohne Album. Schade ist, dass keine B-Seiten zu finden sind, die bei Oasis auch gern Beatles-Seiten waren wie „I Am The Walruss“ oder „Helter Skelter“.

„Ich halte Noel für den besten Songschreiber seiner Generation“, lobt ihn der Beatles-Produzent George Martin. Dass Liam Gallagher Oasis jetzt unter dem Namen Beady Eye fortführt, verspricht zwar in den Plattenläden einen Platz in Beatles-Nähe. Aber vielleicht will sein Bruder auch mit ihren Vorbildern nichts mehr zu schaffen haben. (Außerhalb der Bewertung.)