Mal Free-Jazz, mal Blues, mal Chanson, mal Bar-Piano: Die US-Sängerin Melody Gardot hat am Freitagabend in Berlin mit Vielseitigkeit, Koketterie und laszivem Charme das Publikum begeistert.
Als treuesten Begleiter stellt sie ihren Gehstock vor. Er stamme aus dem 19. Jahrhundert, aus Italien. Der Stock hilft Melody Gardot, wenn sie auf ihren hohen Absätzen über die Bühne stöckelt. Wenn sie Klassiker wie „Caravan“ und „Love Supreme“ singt oder eigene Songs über die Seitensprünge und den Regen, über das, was einem so passiert. Im blauen Schummerlicht des Admiralspalastes trägt sie ihre Sonnenbrille.
Dafür, dass es sich um einen Liederabend, der als Jazzkonzert verkauft wird, handelt, ist der Zuspruch überwältigend, der ihr aus dem Gestühl entgegenschlägt. Die Gäste seufzen, trampeln und stimmen sogar bei schwierigen Liedern ein.
Am Flügel sitzt nicht nur die 25-jährige Amerikanern in goldenem Kleid und mit blonder Mähne, sondern auch ihre Geschichte. Als sie 18 war, studierte sie in Philadelphia Mode und verdiente sich den Unterhalt als Kneipenpianistin. Eines Morgens, als sie über eine grüne Ampel radelt, überfuhr sie ein Geländewagen. Der Fahrer floh, und Melody Gardot blieb schwer verletzt zurück. Im Krankenhaus wurde sie halbwegs wiederhergestellt. Ein Arzt empfahl ihr, liegend das Gitarrespielen zu erlernen und das Singen zu vertiefen, um die Hirnfunktionen anzuregen.
Manches nahm sie mit dem Laptop auf, brannte CDs davon und machte Mitpatienten damit eine Freude. Einer Rundfunkangestellten fielen ihre „Bedroom Sessions“ in die Hände. Sie wurden im Nachtprogramm gesendet, und ergriffene Hörer riefen an. Am Ende unterschrieb Gardot bei einer Plattenfirma, froh am Stock gehen zu können, aber auch begeistert von der Aussicht auf einen Beruf, den ihr das Schicksal überraschend zugewiesen hatte.
Weltweit wurde sie gefeiert, wenn sie ihren Schmerzen und den Sehstörungen trotzte und mit ihrer Jazzband oder einem Sinfonieorchester auftrat.
Sie begrüßt Berlin mit einer Hardbop-Ouvertüre, bei der sie beherzt in ihren offenen Flügel greift und an den Saiten reißt. Ihr Bläser unterhält die Zuschauer, indem er gleichzeitig zwei Saxophone spielt. Auch der Bassist, der Schlagzeuger und der Cellist brillieren mit Bravourstücken. Sie stützen Melody Gardot bei ihren Songs, die flüsternd bis vibrierend von ihr vorgetragen werden.
Sie ist nicht die einzige junge Sängerin mit Jazzsongs heutzutage. Allerdings vermisst das aufmerksamere Publikum bei Norah Jones oder Diana Krall das Lebensdrama, das den Jazz beglaubigt und ihn unterscheidet von der Milchkaffee-Musik. Bei Melody Gardot wird die Geschichte mitgehört. Und wenn sie sich am Mikrofon windet wie Marilyn Monroe beim Präsidentengeburtstag, hat der Jazz auch wieder eine ernst zu nehmende Diva.
Ganz allein mit ihrem Gehstock stampft sie schließlich mit den Pumps und stimmt „No More, My Lord“ an, einen Blues. Sie sagt, der Blues sei aus dem Schmerz geboren worden. Wie sie selbst, die Sängerin Melody Gardot.