Der "Rock'n'Roll Train" ist über Berlin hinweg gestampft. Mit Macht und Feuerzauber bohrt sich eine massige Lokomotive am Dienstagabend Schlag 21 Uhr nach Jubel und La Olas auf die Bühne im mit 70.000 Menschen ausverkauften Olympiastadion - und dominiert für die nächsten mehr als zwei Stunden die Kulisse für eine der größten Rock-Shows aller Zeiten. Die Hardrocker Boon und Volbeat hatten zuvor mehr schlecht als recht auf das Event eingestimmt.
Es ist das letzte Konzert, das das australische Rock-Walzwerk AC/DC vorerst auf deutschem Boden geben wird. Sevilla und Bilbao noch, dann ist die fast zweijährige Konzertweltreise von AC/DC beendet. Eine Tour der Superlative. Die Tickets für die deutschen Konzerte der Tournee waren binnen 12 Minuten ausverkauft.
"It's good to be back", ruft Brian Johnson in die Menge. "Heute ist Party, und die beginnt genau jetzt!". Nach "Hell Ain't A Bad Place To Be" macht die harte Handwerkerkolonne mit "Back In Black" gleich ordentlich Druck, bevor mit "Big Jack" wieder ein neuer Song ins Repertoire geschummelt wird. Riesige Bildwände tragen die Aktion auf der Bühne bis auf die hintersten Ränge des Stadionrunds.
Das Olympiastadion wogt zwischen Staunen und Begeisterung. Es herrscht eindeutig Männerüberschuss im Publikum. Die klassischen, blinkenden Teufelshörnchen (mit Batterie für 5 Euro zu haben) sind beliebtes Accessoire. Die Mehrzahl der Besucher ist mit dieser unermüdlichen Haudrauf-Truppe und ihrer archaischen, phongetriebenen Musik groß geworden. AC/DC verlassen sich in ihrer Tourneeshow einzig und allein auf ihre Qualitäten. Kraftvoll, geradlinig und mit ungeheurer Energie inszenieren sie eine Hitrevue, die ihre ganze Karriere umspannt und die mit reichlich Pyrotechnik, aufblasbaren Riesenpuppen, einem monströsen Laufsteg und jeder Menge Showeffekte ausgestattet ist.
So schlicht und markant die Gitarren getriebenen Songs sind, so immens ist der Aufwand, der bei dieser 4,5 Millionen Dollar teueren Produktion getrieben wird. 31 Vierzig-Tonner-Trucks karren die technischen Aufbauten durch die Lande, 60 Tourtechniker und zusätzliche 120 lokale Aufbauhelfer sorgten in Berlin für den mehrstündigen reibungslosen Auf- und Abbau. Und damit die Lok, dieser zum Auftakt besungene "Runaway Train", pünktlich zum Showbeginn die Bühne durchstößt, legen sich neun Muskel bepackte Amerikaner hinter der Bühne mächtig ins Zeug. Alles in Handarbeit. Und das bei soviel High-Tech.
AC/DC wollten nie als Hardrock-Band verstanden werden. Stets waren es der Blues und der Rock'n'Roll, die mit kantiger Präzision und scharf geschliffenen Gitarren-Riffs Sex und Drugs und Lebenslust propagierten. Gitarrist Angus Young, der seit Bandgründung 1973 in einer Schuluniform über die Bühne rabaukt (die sich der 55-jährige inzwischen maßschneidern lässt), ist wie seine Mitmusiker ein zutiefst konservativer Musiker. Bloß keine Experimente, keine Überraschungen. Der einmal gefundene Stil, mit dem die Band schon Ende der 70er-Jahre im Kant-Kino in Berlin debütierte, ist konsequent konstant geblieben. Es liegt eben eine große Würde in der Einfachheit, wie Angus Young immer wieder betont.
Ansonsten herrschen als Dresscode auf der Bühne Jeans und Weste oder T-Shirt vor. An vorderster Front singt sich Brian Johnson bei Stücken wie "Thunderstruck" wie ein trunkener Dachdeckergeselle die Seele aus dem Leib. Auch mit 63 Jahren machen seine Stimmbänder das bewundernswert mit. Rhythmusgitarrist Malcolm Young, Bassist Cliff Williams und der kettenrauchende Schlagzeuger Phil Rudd arbeiten sich in stoischer Perfektion im Hintergrund ab.
Brian Johnson gehört seit 1980 zur seither unverändert besetzten Band. Damals folgte er dem unter tragischen Umständen nach durchzechter Nacht gestorbenen Bon Scott nach. Längst sind alle Diskussionen darüber, wer denn nun die bessere Stimme für AC/DC sei, verstummt. Johnson trägt das Vermächtnis mit Würde weiter. Und immer auch mit der dem Rock'n'Roll eigenen Portion an Infantilität, einem gewissen Unernst gegenüber der bürgerlichen Lebenswelt.
Hier geht es - darin sind sich alle einig - nicht um die hohe Kunst, sondern um Spaß, Phongewalt und bodenständiges Rock-Handwerk. AC/DC sind die Konsensband der lauten Fraktion, auf die sich Jung und Alt einigen können. Und bei denen neue Songs wie eben "Rock N' Roll Train", "Black Ice" oder "War Machine" nicht merklich anders klingen als die frühen Erfolge von "Whole Lotta Rosie" über "Highway To Hell" und "Back In Black" bis zu "Hells Bells". Und alle werden sie dem Publikum in dieser Mischung aus Oktoberfeststimmung und Open-Air-Festival serviert. Darauf ist bei AC/DC Verlass.
Angus Young hastet unstet übers Areal, kreiselt auf einer Hebebühne, macht seinen obligatorischen Striptease bei "The Jack" samt Unterhose mit AC/DC-Logo. Und irgendwann schaukelt Johnson auch an der massiven Höllenglocke. Mit "Let There Be Rock" geht dieser so gediegene wie gigantische Abend ins Finale, bevor AC/DC mit Kanonendonner zur letzen Hymne anheben: "For Those About to Rock (We Salute You)". Das Olympiastadion kocht in der Abenddämmerung. Was für eine Show.