Im Interview auf Morgenpost Online zeigt sich Skandal-Rapper Sido geläutert und erklärt, warum er nicht mehr provozieren muss.
Sido bittet zum Gespräch in ein Kreuzberger Studio. Das Album seiner Freundin Doreen, Gewinnerin der Castingshow "Popstars" vor ein paar Jahren, soll aufgenommen werden. Mit Sido und Doreen kommen eine Menge anderer Menschen und Hunde in die enge Studio-Wohnung. Sidos kleines braunes Schoßhündchen trägt ein schwarzes Sweatshirt mit Glitzerapplikation. Sido will über seine neue DVD "Sido MTV Unplugged" sprechen. Über Lena Meyer-Landrut will er nicht sprechen, wurde vorher mitgeteilt. Aber dann macht er es doch. Ungefragt.
Morgenpost Online: Herr Sido, Sie sitzen während des Konzerts auf der DVD die meiste Zeit auf einer Parkbank, zu ihrer Rechten stehen eine Flasche Schnaps und Nasenspray. Wofür ist das Nasenspray?
Sido: Damit ich atmen kann.
Morgenpost Online: Hatten Sie Schnupfen?
Sido: Nein, angefangen habe ich damit mal auf einer Tour.
Morgenpost Online: Aha, Sie sind also süchtig.
Sido: Ja, ich bin wirklich süchtig nach Nasenspray. Wenn ich das nicht nehme, kriege ich keine Luft.
Morgenpost Online: Was hat genau Sie am Unplugged-Format gereizt?
Sido: Das ist einfach eine große Nummer. Für einen Künstler ist das wie ein Ritterschlag, eine riesengroße Ehre. Ich bin einer von fünfzig Künstlern auf der ganzen Welt, die die Möglichkeit dazu hatten. Und der Siebte in Deutschland.
Morgenpost Online: Kurt Krömer und Stephan Remmler haben einen Gastauftritt bei Ihnen. Wer hat die beiden ausgesucht?
Sido: Die habe ich ausgesucht. "Hey Du!" hat ja im Original einen Berliner Refrain, da war Kurt Krömer prädestiniert. Außerdem kennen wir uns. Und Stephan Remmler habe ich auf die Liste geschrieben, weil er meine Karriere geprägt hat. Ich habe immer seine Musik gehört. Seine Berliner Attitüde mag ich sehr.
Morgenpost Online: Bei einem Song werden Sie tatsächlich von einem Kinderchor begleitet. Haben Sie sich das auch selbst ausgedacht?
Sido: Ja, und auch die Idee mit der Parkbank, auf der alle Künstler unterschrieben haben, ist von mir.
Morgenpost Online: Was haben Sie hinterher mit der Bank gemacht?
Sido: Die steht bei Universal, der Plattenfirma. Ich habe ja noch kein Haus. Man verspießert, wenn man ein Haus hat. Man kann gar kein Haus haben, ohne zum Spießer zu werden. Irgendwann ist es okay, wenn man ein Spießer wird. Aber ich bin noch zu jung dafür.
Morgenpost Online: Das Konzert ist frei von fiesen Disses. Selbst K.I.Z. sind bei Ihrem Gastauftritt nett und bleiben auf der Bank sitzen. Ist Hip-Hop doch nur ein großes Gepose, und am Ende sind alle Rapper brav?
Sido: Natürlich. Wir sind alle nett.
Morgenpost Online: Aber am Anfang Ihrer Karriere waren Sie eher der Bad Boy.
Sido: Ich war rüpelmäßig, ich halte mich auch immer noch für einen Rüpel. Aber auch ein Rüpel kann höflich und zuvorkommend sein und respektvoll mit Menschen umgehen. Für uns Hip-Hopper ist es an der Zeit - und das haben wir mit Aggro Berlin immer etwas vernachlässigt - zu zeigen, dass Hip-Hop auch eine Musikrichtung ist und nicht nur eine Jugendkultur, die Jugendlichen ermöglicht, andere runterzumachen. Darum sind K.I.Z., wenn sie mit mir arbeiten, etwas bedachter. Die merken, dass ich mir einen Kopf mache und wollen mich nicht enttäuschen. Eigentlich war für ihren Auftritt geplant, mehr zu tanzen, aber mit denen kannst du einfach nichts planen.
Morgenpost Online: Bekannt geworden sind Sie mit dem "Arschficksong", jetzt treten Sie mit einem Kinderchor und Adel Tawil von Ich + Ich auf. Was soll uns diese Wandlung sagen?
Sido: Der Typ von damals, der den "Arschficksong" gemacht hat, der musste sich noch behaupten und zeigen, dass er der Krasseste ist und bei jeder Gelegenheit seine sechs Eier auspacken. Ich habe jetzt andere Prioritäten. Inzwischen hat doch eh jeder sein Bild von mir. Entweder man findet mich krass, oder man denkt, ich sei ein Idiot. Dafür muss ich nicht mehr kämpfen.
Morgenpost Online: Was sind Ihre neuen Prioritäten?
Sido: Dass der Song gut wird. Dass er irgendeine gute Aussage hat. Und dass die Leute eine gute oder bedächtige Zeit haben.
Morgenpost Online: Muss man als Rapper irgendwann Kompromisse machen?
Sido: Alles was ich doof finde, mache ich nicht.
Morgenpost Online: Wie ist es, wenn man plötzlich die gleichen Fans hat wie die Prominenten, über die man sonst lästert?
Sido: Das passiert, glaube ich, nicht. Dafür sorge ich ja, wenn ich sage: "Lena Meyer-Landrut mag ich nicht".
Morgenpost Online: Aber die Single "Der Himmel soll warten" ist doch auf ein ähnliches Publikum ausgelegt.
Sido: Von der Stimmung her mag der Song vielleicht angepasst sein. Mit Adel Tawil hört man gleich auch Ich + Ich, aber meine Texte sind nicht angepasst. Ich rappe: "Der Tod soll sich die Emos holen". Das ist nicht angepasst, nur eben so verpackt. Aber das ist doch das Schlaue, damit deine Leute auch deine Musik kaufen.
Morgenpost Online: Und der Rest der Welt auch.
Sido: Das ist okay, mit dem Vorwurf, massenkompatibel zu sein, kann ich voll leben. Für mich ist es eine Freude, dass ich einen Weg gefunden habe, mit meiner Art, Texte zu schreiben, trotzdem in alle Ohren zu kommen. Ich musste mich nicht verstellen, es nur anders verpacken. So wurden Fabeln erfunden. Man hat Tiere sprechen lassen, obwohl es eigentlich um Menschen ging. Ich habe auch einfach nur einen Weg gefunden, meine unangepassten Texte angepasst zu verpacken.
Morgenpost Online: Erwartet die Öffentlichkeit nicht, dass Sie andere dissen?
Sido: Die Leute müssen nicht immer all das auch bekommen, was sie von mir erwarten. Das lieben sie ja auch an mir, dass ich nichts mache, nur weil es jemand von mir erwartet. Ich pöble, wenn mir nach Pöbeln ist.
Morgenpost Online: Was kommt nach der DVD?
Sido: Ich möchte musikalisch etwas ganz anderes machen.
Morgenpost Online: Soso.
Sido: Ich schreibe mit meiner Band, mit der ich auch live unterwegs bin, gerade Punksongs, und ich singe dazu. Ich rede aber nicht im Rahmen von Sido darüber. Ich würde jetzt nicht sagen, wie die Band heißt und was wir genau machen. Das ist undercover.
Morgenpost Online: Gehen wir mal davon aus, Sie versuchen gerade nicht, mich reinzulegen: Warum Punkmusik?
Sido: Green Day, also die älteren Sachen und so Surf-Punk, mag ich sehr gerne. Das letzte Lied auf der DVD, "Aldi-Tüte", das ist ein Lied von meiner Punk-Band. Ich hatte keine bessere Zugabe, also haben wir eine Unplugged-Version von diesem Surf-Punk-Song gemacht.
Morgenpost Online: Wann können wir mit dem Punk-Album von Sido rechnen?
Sido: Ich sag nicht, wann man damit rechnen kann, nicht wie die Band heißt, nichts. Das gibt es irgendwann, und dann weiß man es oder man weiß es nicht. Das ist mir das Wichtige. Die Zeit, in der Sido groß wurde, die Zeit vor "Mein Block", das war die beste. Das ist die beste Zeit eines jedes Künstlers, wenn es gerade anfängt zu brodeln. Vielleicht kann man das künstlich wieder erlangen.
Morgenpost Online: Sie könnten sich eine neue Maske aufsetzen.
Sido: Bestimmt nicht.