Rotes Rathaus-Kolumne

Drei Monate haben alle an die Grenzen gebracht

| Lesedauer: 4 Minuten
Kräftezehrend - die politische Spitze sehnt die Osterfeiertage herbei.

Kräftezehrend - die politische Spitze sehnt die Osterfeiertage herbei.

Foto: Maurizio Gambarini / FUNKE Foto Services

Berlins Landespolitiker haben sich erschöpft und erleichtert in die Osterfeiertage gerettet, schreibt Jens Anker.

Berlin.  Man muss es wohl so deutlich sagen: Zum Schluss haben sich die einen erleichtert, die anderen erschöpft in die Osterfeiertage gerettet. Wen auch immer man aus der landespolitischen Szene in den letzten Tagen kontaktierte, hustete ins Telefon, schonte die überanspruchte Stimme oder meldete sich knapp aus einem Urlaubsort.

Die ersten drei Monate des Jahres haben die Akteure an die Grenzen gebracht. Der Wahlkampf war hitzig und anstrengend. Es fing schon mit dem Streit um die Silvesterkrawalle an. Dann die Wahl mit dem überraschenden Ausgang.

Franziska Giffey wirkt erleichtert

Schließlich folgte noch der Poker um die künftige Regierungskonstellation. Bleibt es bei Rot-Grün-Rot, trotz der Wahlverluste für die SPD, wagt CDU-Spitzenmann ein Bündnis mit den Grünen, oder läuft es doch auf eine Koalition mit der SPD hinaus?

Letzteres scheint nun das Bündnis für die kommenden dreieinhalb Jahre zu sein, sofern die SPD-Mitglieder dem ausgehandelten Koalitionsvertrag zustimmen. Bei der CDU ist der Beschluss eines Parteitages nur Formsache.

Aber diese spannende Zeit hat bei allen Beteiligten Spuren hinterlassen. Der scheidenden Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) scheint eine Last von den Schultern zu fallen. Die Monate im Zentrum der Kritik, auf der politischen Bühne oder, noch viel heftiger in den sogenannten sozialen Medien, waren kraftraubend. Seitdem sie sich mit ihrem Votum für eine Koalition als kleinerer Regierungspartner mit der CDU durchgesetzt hat, wirkt Giffey fast erleichtert.

Auch Wahlsieger Kai Wegner ist erschöpft

Aber es ist ihr die Anstrengung der vergangenen Monate deutlich anzusehen, wenn sie auf einer der zahlreichen Pressekonferenzen nach Sondierungs- oder Koalitionsgesprächen den anderen das Reden überlässt und nachdenklich ins Nichts zu blicken scheint.

Beim Wahlsieger Kai Wegner sieht es nicht anders aus. Seine hohe Stirn glänzt heller als sonst im Scheinwerferlicht, die Augen sind kleiner, die Fältchen an den Seiten etwas tiefer. Kaum jemand hatte ihm zugetraut, am Ende mit zwei Regierungsoptionen dazustehen. Das ist ihm ein kleines Kunststück gelungen – aber auch er sehnt die Osterruhe herbei nach rund 100 Tagen Volldampf.

Für SPD-Chef Raed Saleh geht es nach Ostern nahtlos weiter

Auch SPD-Chef Raed Saleh ist sichtlich müde. Er musste sehen, seine Partei nach dem schlechten Wahlergebnis beieinander zu halten. Die Augenringe sind ein wenig dunkler geworden in den letzten Wochen. Jetzt gibt es aber nur ein paar Tage Pause, denn nun gilt es die SPD-Mitglieder vom ausgehandelten Vertrag und vor allem der freiwilligen Aufgabe des Roten Rathauses zu überzeugen.

Drei Wochen lang haben die Sozialdemokraten Zeit, über das Ergebnis abzustimmen. Die Votum ist kein Selbstläufer. Es hat sich Widerstand formiert, vor allem die Nachwuchsorganisation Jusos macht Stimmung gegen eine Neuauflage der Koalition mit der SPD.

Am Wahlergebnis hängen auch persönliche Schicksale

Es ist aber nicht das bloße Arbeitspensum, was die Beteiligten in den letzten Wochen so beansprucht hat. Hinter den mitunter zähen Verhandlungen und Entscheidungen stehen auch persönliche Schicksale. Mancher rutscht unverhofft ins Parlament, andere scheiden ebenso unvermittelt aus, ein paar Stimmen hier und ein paar da verändern ganze Lebensläufe. Das gilt nicht nur für die erste Reihe, sondern auch für die zweite und dritte. Persönliche Referenten sind ebenso betroffen wie Sprecher oder Referatsleiter im Roten Rathaus.

Wenn das Ganze alle fünf Jahre geschieht, dann können sich die Beteiligten darauf einstellen. Diesmal ging das ganze Theater schon nach eineinhalb Jahren von vorn los, weil die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und in den Bezirken auf Geheiß des Verfassungsgerichtshofes wiederholt werden mussten.

Niemand, den man in diesen Tagen spricht, auch nicht die Wahlsieger, die davon profitiert haben, wünschen sich, einen derartigen Stress erneut zu erleben. Die Kräfte sind aufgebraucht. Aber Entspannung ist nicht in Sicht. Nach er Regierungsbildung müssen sich sieben bis acht neue Senatoren und ihre Mannschaft einarbeiten, der Haushalt muss verabschiedet werden – und ein paar Probleme jenseits des politischen Geschäfts gibt es auch noch zu lösen.