Die Flughafengesellschaft muss die Anwohner besser vor Fluglärm schützen als bisher geplant. Das entschied das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg und löst damit weitere Millionen-Mehrkosten aus.

Gegen halb zehn am Abend verbreitete sich die Meldung, die für die Anwohner des künftigen Hauptstadtflughafens ein Aufatmen bedeutet. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg entschied, dass die Betreiber sie besser vor Fluglärm schützen müssen, als dies bisher eingeplant war. Damit steigen auch die Kosten um Millionen. Das Gericht hatte den Betreibern schon im vergangenen Jahr vorgeworfen, die Regeln systematisch verfehlt und Anwohnern zum Beispiel nur unzureichende Schallschutzfenster bewilligt zu haben.

Der Fluglärm darf also in Zukunft die normale Gesprächslautstärke von 55 Dezibel in den 14.000 betroffenen Wohnungen am Tag nicht überschreiten. Das Schallschutzprogramm des Flughafens ist damit zu klein bemessen und muss nun möglicherweise um weitere 286 Millionen Euro aufgestockt werden. Einer der wohl wichtigsten Sätze des Vorsitzenden Richters Roger Fieting am Abend war: Der Planfeststellungsbeschluss sei in der Frage des Schallschutzes eindeutig. Denn genau darum ging es am Nachmittag bei der Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg: um Maximalwerte, die Gaußsche Normalverteilung und die Frage, ob Null wirklich immer auch Null bedeutet. Wer zumindest vordergründig keine Rolle mehr spielte, waren die Anwohner des BER. Schon zu Beginn der Verhandlung im dritten Stock des alterwürdigen Gerichtsgebäudes an der Hardenbergstraße hatte Richter Fieting erklärt, dass sein Gericht den Planfeststellungsbeschluss sehr strikt auslege.

Mehdorn kritisiert Urteil

Der Bürgermeister der am stärksten vom Flughafen betroffenen Gemeinde, Ortwin Baier aus Blankenfelde-Mahlow, sprach nach dem Urteil von einem guten Tag für die Region. „Was mich ärgert, ist, dass wir das vor Gericht erstreiten mussten.“ Nun müsse das neue Schutzniveau schnell umgesetzt werden. Rückenwind verspüre er auch bei seiner Forderung nach einem strikten Flugverbot von 22 bis 6 Uhr. Weniger froh war Flughafenchef Hartmut Mehdorn über das Urteil des Gerichts. Das Schutzniveau sei schon jetzt sehr hoch, sagte er. Die Forderung des Gerichts sei in weiten Teilen lärmphysikalisch nicht umsetzbar. „Es hat zur Folge, dass für viele Anwohner gar keine Schutzmaßnahmen realisiert werden können, sondern sie mit Entschädigungen vorlieb nehmen müssen“, sagte Mehdorn.

Dieses Verfahren greift, wenn die Kosten für den Schallschutzanspruch 30 Prozent des Verkehrswertes eines Hauses übersteigen. Dies trifft nach Ansicht der Flughafenplaner auf die Mehrzahl der Häuser zu. Deren Besitzern überweist der Flughafen eine Entschädigung, über die diese frei verfügen können.

Im Sommer des vergangenen Jahres hatte dasselbe Gericht bereits geurteilt, dass etwa 25.000 Anwohner Anspruch auf weitaus besseren Schallschutz haben, als ihnen die Flughafengesellschaft zugestehen will. Damals rügten die Richter, dass die „Auflagen beim Lärmschutz systematisch verfehlt“ worden seien. Die Flughafengesellschaft müsse das im Planfeststellungsbeschluss vorgesehene Schallschutzprogramm umsetzen.

>>>So laut ist Ihr Kiez: Der Flugroutenradar der Morgenpost<<<

Das sehe vor, dass in Wohngebäuden der Lärmpegel von 55 Dezibel in Räumen bei geschlossenen Fenstern tagsüber nicht überschritten werde. Die Flughafengesellschaft hatte den Beschluss allerdings so interpretiert, dass es sechsmal am Tag lauter als 55 Dezibel sein dürfe. Nachts ist das nämlich laut Planfeststellungsbeschluss erlaubt. Die Flughafengesellschaft argumentierte daher, dass der Schutz in der Nacht ja wohl der strengste sein müsse. Daher könne der Schallschutz am Tag gar nicht noch enger ausgelegt werden.

Bei der Verhandlung am Donnerstag ging es daher vor allem darum, wie man das Schallschutzprogramm für den Tag zu verstehen hat. Ursprünglich hatte das Gericht die Versammlung für zwei Tage angesetzt. Doch Fieting machte gleich am Anfang klar, dass er wenn möglich noch am Donnerstag ein Urteil fällen wolle. Das sorgte in den Reihen der Anwohner für vorsichtigen Optimismus.

Kompromissangebot reichte Klägern nicht

Der Aufsichtsrat und die Geschäftsführung des BER hatten im August einen Kompromiss angeboten. Demnach sollte es im Durchschnitt etwas weniger als 0,5 Überschreitungen des Grenzwerts geben. Doch das reichte den Klägern nicht aus. Sie bestanden darauf, dass der Lärmpegel von 55 Dezibel kein einziges Mal am Tag überschritten wird.

Die Flughafengesellschaft hätte zum gegebenen Zeitpunkt einen Planänderungsantrag stellen sollen, wenn sie den Planfeststellungsbeschluss anders auslegt, argumentierten die Anwälte der Anwohner. Das hielten die Anwälte der Gegenseite für unnötig, da sie die strittigen Punkte ja in ihrem Sinne verstanden. Null könne in diesem Fall nicht eine mathematische Null bedeuten, so Rechtsanwalt Klaus-Peter Dolde, der das Brandenburger Infrastrukturministerium vertrat. Damit meinte Dolde, dass es einen gewissen Spielraum für die Auslegung gibt.

Bürger fühlten sich betrogen

Der Bürgermeister von Blankenfelde-Mahlow, Ortwin Baier, warf dem Flughafen vor, in den Häusern jahrelang unzureichende Schallschutzfenster eingebaut zu haben. Die Bürger würden betrogen. „Es ist menschenunwürdig, was die hier treiben.“ Der Flughafen hatte dagegen zuletzt betont, verglichen mit anderen Airports erhielten die Anwohner einen exzellenten Schallschutz.

Für Christine Dorn von der Bürgerinitiative Süd-Ost hat die Flughafengesellschaft dagegen die Probleme „viele Jahre unter die Decke gekehrt“. Die Verantwortlichen hätten offenbar gedacht, dass sie damit durchkämen. „Für den Normalbürger war es ja gar nicht zu verstehen und nachzuprüfen, was ihm in den Verträgen angeboten wurde“, sagte Dorn.

>>>So laut ist Ihr Kiez: Der Flugroutenradar der Morgenpost<<<