BER-Debakel

Warum soll Tegel eigentlich nicht offen bleiben?

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Viktoria Solms

Hartmut Mehdorn hat mit seinem Tegel-Vorstoß eine wichtige Debatte angeheizt. Für den Erfolg des BER gibt es für ihn keine Denkverbote.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) würde es niemals offen zugeben. Aber angeblich soll die Kanzlerin insgeheim ganz gut damit zurechtkommen, dass sich die Eröffnung des Flughafens BER noch eine Weile hinzieht. Offiziell wünscht sie dem neuen Flughafenchef Hartmut Mehdorn natürlich „viel Glück“ und dass er dem Projekt „neuen Schwung“ verleiht.

Doch bis zur BER-Eröffnung kann Merkel die Regierungsmaschine vom Flughafen Tegel aus starten lassen. Dorthin braucht sie vom Kanzleramt aus gerade mal 20 Minuten. Der Weg in den Südosten der Stadt zum BER wäre deutlich länger.

So ähnlich denken viele Berliner. Zumindest wenn sie nicht in der Einflugschneise von Tegel wohnen. Dort sind die Anwohner mit ihrer Geduld bald am Ende. Doch vor allem die Bewohner im Westen der Stadt und in Mitte freuen sich bei jeder Fahrt nach Tegel, dass sie nicht nach Schönefeld müssen. Der Weg ist kürzer und das Taxi billiger.

Der neue Flughafenchef Hartmut Mehdorn hat daher einen Nerv getroffen, als er an seinem ersten Arbeitstag eine längere Öffnung von Tegel ins Spiel brachte. Ob er dabei an eine Zwischenlösung dachte oder Tegel vielleicht doch ganz geöffnet lassen will, ist schon fast unerheblich.

Mehdorn hat damit von Anfang an klargemacht, dass es für ihn keine Denkverbote gibt. Ihm reicht es nicht, den Flughafen BER ans Netz zu bringen. Er will ihn auch erfolgreich machen. Und dafür zieht er alles in Betracht.

„Absurder Vorschlag“ der „Krawallnudel“

Dass er sich damit nicht beliebt macht, muss ihm klar gewesen sein. „Herr Mehdorn täte gut daran, sich um die Fertigstellung des BER zu kümmern, statt mit Schnapsideen zu kommen“, sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Ramona Pop. Andere bezeichneten Mehdorn als „Krawallnudel“ und seinen Vorschlag als „völlig absurd“ oder „grottig“.

Doch es gab auch Unterstützung. Nach Ansicht von Frank Steffel (CDU), Bundestagsabgeordneter für den Bezirk Reinickendorf, solle Brandenburgs Ministerpräsident und Aufsichtsratschef Matthias Platzeck (SPD) mit seiner ablehnenden Haltung nicht sofort die Autorität des neuen Flughafenchefs untergraben und Mehdorn „in Ruhe seine Arbeit machen lassen“. Das einzige Ziel müsse es sein, dass Berlin eine leistungsfähige Anbindung an die Welt bekommt. „Bei diesem Chaos darf es keine Denkverbote geben“, so Steffel.

Ähnlich sieht das der Flughafenexperte Dieter Faulenbach da Costa: „Mehdorn hat schon am ersten Tag hinter den Nebel der Entrauchungsanlage geschaut und die wirklichen Probleme des BER entdeckt.“ Zwar komme Mehdorn planerisch zur falschen Lösung. Doch auch Faulenbach da Costa ist der Ansicht, dass man die Frage nach „der Zukunftsfähigkeit des Standorts früher oder später beantworten muss“. Genau diese Diskussion habe Mehdorn mit seinem Vorstoß angeregt.

Tatsächlich spricht der geltende Planfeststellungsbeschluss aus dem Jahr 2004 erst einmal dagegen. Darin steht, dass der BER der einzige internationale Großflughafen in der Hauptstadtregion sein soll. Der Beschluss wurde anschließend auch vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt. Zudem soll Tegel nach Eröffnung des BER geschlossen werden.

Der CDU-Abgeordnete Stefan Evers bezeichnete Mehdorns Vorstoß daher auch als „rechtlichen Blödsinn“. Um Tegel überhaupt offen halten zu können, reiche nicht nur ein Beschluss der Flughafengesellschaft, sondern man brauche ein neues und zeitlich aufwendiges Planfeststellungsverfahren, so Evers. Dabei könnten seiner Ansicht nach neue Schwierigkeiten entstehen. „Vermutlich wäre der BER längst am Start, bis das Panfeststellungsverfahren abgeschlossen ist“, sagt Evers. „Bis dahin passiert in Tegel erst einmal gar nichts, und der Standort liegt brach, da kein Plan für die Nachnutzung gemacht wird.“

Ausgangssituation völlig verändert

Allerdings ist besagter Planfeststellungsbeschluss bereits mehr als acht Jahre alt. Zählt man die Jahre der Vorbereitung und Prüfung dazu, liegen manche Erkenntnisse über ein Jahrzehnt zurück. Seither ist an den Berliner Flughäfen viel geschehen. Damals dachte man, dass der BER erst viele Jahre nach seiner Eröffnung an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit kommen würde.

Doch sorgten unter anderem die Billigflieger für ein überdurchschnittliches Wachstum, indem sie Touristen aus allen Ecken Europas zu günstigen Preisen nach Berlin beförderten. Nun muss der BER wahrscheinlich noch vor der Eröffnung erweitert werden. Denn im vergangenen Jahr fertigten die beiden alten Berliner Flughäfen zusammen 25 Millionen Passagiere ab. Geplant wurde der BER für 27 Millionen.

Mehdorn dachte daher auch an eine Entlastung für den BER, wenn Tegel in den ersten Jahren vielleicht noch geöffnet bleibt. So könnte man laut Mehdorn dort beispielsweise Charterflieger abwickeln, die von großen Reiseveranstaltern befüllt werden und beliebte Urlaubsziele ansteuern. Der Umsteigeverkehr spielt dabei kaum eine Rolle. Die Flieger werden hauptsächlich mit Passagieren gefüllt, die ihre Reise in Berlin starten und beenden.

Viele Geschäftsreisende, die mit ihrem eigenen Flieger unterwegs sind, würden sogar jubeln, sollte Tegel offen bleiben. Sie befürchten, dass es auf dem BER für ihre Firmenjets zu eng werden könnte. Ihnen würde es schon reichen, nur die nördliche Startbahn in Tegel weiter zu nutzen. Dafür spricht sich unter anderem der Verband der Geschäftsflieger GBAA aus.

Teile des Terminals könnten an Firmen vermietet werden. Sie würden die unmittelbare Nähe zum Flughafen als großen Vorteil ansehen, da sie und ihre Geschäftspartner quasi vom Büro in den Flieger steigen könnten. Möglicherweise könnte die Stadtnähe sogar manche Regierungsmitglieder dafür begeistern, dass die Bundeswehr die Flugbereitschaft statt am BER in Tegel stationiert.

Dennoch gibt es einige Fakten, die klar gegen eine weitere Öffnung von Tegel sprechen. Vor der Eröffnung des BER sind 225.000 Berliner Bürger von Fluglärm betroffen. Dagegen werden nach derzeitiger Schätzung 65.000 Anwohner den Fluglärm unmittelbar zu spüren bekommen, wenn der BER am Netz ist. Wie viele es genau sind, lässt sich derzeit kaum sagen, da es auch von den gewählten Flugrouten abhängt. Hierüber gibt es noch immer keine endgültige Klarheit. Insgesamt werden zumindest zahlenmäßig weniger Bürger vom Lärm betroffen sein als vorher. Auch wenn das für die Betroffenen kein Trost ist.

Initiative droht mit Klage

Zudem liegt Tegel mitten im Wohngebiet. In manchen Wohnungen scheppern die Fenster, wenn ein großes Flugzeug darüber hinwegzieht. Sollte ein Flieger abstürzen, wären nicht nur Passagiere, sondern auch Menschen auf der Straße in Lebensgefahr. Monika Matalik wohnt in unmittelbarer Nähe des innerstädtischen Flughafens und engagiert sich in der Bürgerinitiative Fluglärm-Tegel.

Sie wäre notfalls sogar bereit, rechtlich gegen eine Offenhaltung von Tegel vorzugehen. „Es gibt einen rechtskräftigen Beschluss, und für dessen Einhaltung würde ich auch klagen, falls es sein muss“, sagt sie. „Wegen der Sicherheitsmängel und wegen mangelnden Katastrophenschutzes ist Tegel langfristig nicht als innerstädtischer Flughafen geeignet.“

Sobald der erste Flieger vom BER abhebt, gibt es nach Ansicht von Brandenburgs Verkehrsstaatssekretärin Kathrin Schneider für eine dauerhafte Offenhaltung von Tegel rechtlich keinerlei Grundlage: „Es gibt einen gemeinsamen Landesentwicklungsplan für Berlin und Brandenburg, in dem verbindlich festgelegt ist, den Flugbetrieb in der Region auf den Flughafen BER in Schönefeld zu konzentrieren.

Außerdem gibt es seit Jahren einen bestandskräftigen Schließungsbeschluss für Tegel.“ Anwälte hätten daher bei einer längeren Öffnung von Tegel sicherlich genügend zu tun. Nicht nur Anwohner in Tegel würden sehr wahrscheinlich klagen. Auch die Bewohner rund um Schönefeld hätten neuen Stoff, um den BER-Standort im Süden der Stadt juristisch anzuzweifeln.

Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck reagierte daher auch einigermaßen gequält auf den Vorstoß seines neuen Flughafenchefs. Mehdorn sei erst sieben Stunden im Amt, sagte er nach Mehdorns Ansprache im Potsdamer Landtag. Da müsse man es ihm nachsehen, dass er noch nicht alles ganz überblicken kann.

Mehdorn plappert nicht

Ganz so, als hätte er es nicht mit einem erfahrenen Manager, sondern mit einem Schuljungen zu tun, der seinem Sitznachbarn Bonbons ins Haar geklebt hat. Aus Mehdorns Umfeld ist etwas ganz anderes zu hören. Mehdorn habe die Äußerung keineswegs bereut, im Gegenteil. Mit der heftigen Reaktion habe er gerechnet.

Alles andere wäre unwahrscheinlich. Mehdorn, der seinen Posten im Verwaltungsrat von Air Berlin am Dienstag wie angekündigt niedergelegt hat, um Interessenskonflikte mit seinem neuen Arbeitgeber zu vermeiden, wird im Juli 71 Jahre alt. In seiner früheren Funktion als Bahnchef hat er sich genügend Gegner gemacht, um mit Kritik umgehen zu können. Er weiß, welche Wirkung eine gezielte Bemerkung haben kann. Sie rutscht ihm nicht versehentlich heraus.

Von allen Gesellschaftern müsste Platzeck dafür eigentlich am meisten Verständnis aufbringen. Schließlich hat er erst wenige Wochen vorher eine ähnliche Welle ausgelöst, als seine rot-rote Regierungskoaltion das Volksbegehren für ein strengeres Nachtflugverbot angenommen hat. Überraschender war Mehdorns Vorschlag auch nicht.

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