Großflughafen

Gutachten sagt am BER verheerende Zustände voraus

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Viktoria Solms

Foto: Patrick Pleul / dpa

Der Airport ist demnach auf zu klein und zu knapp geplant worden und wird hohe Verluste einfahren. Der Flughafen weist die Vorwürfe zurück.

Zwei Stunden werden knapp, um pünktlich durch die Abfertigung zu kommen. Zu knapp, vermutlich. Denn im Terminal stehen die Leute Schlange vor den Check-in-Schaltern. Mitarbeiter der Airlines laufen zwar mit elektronischen Geräten herum, an denen die Fluggäste mobil einchecken können. Doch das Gedränge geht danach weiter.

Vor den Sicherheitskontrollen kommen sich die Menschen erneut in die Quere. Die einen wollen sich am Kiosk noch ein Brötchen kaufen. Die anderen stehen bei der Schleuse an, um ihr Handgepäck durchleuchten zu lassen. Der Platz dazwischen ist eng, denn wo eigentlich Platz wäre, bilden sich Schlangen. Hinter der Schleuse dann eilen die Passagiere zu ihrem Gate. Dabei hätten sie sich hier ruhig Zeit lassen können. Einige Gepäckstücke sind nicht rechtzeitig am Flugzeug eingetroffen, die Gepäckbänder sind überlastet. Der Flieger startet erst mit erheblicher Verspätung.

In den vergangenen Monaten haben sich viele Berliner über die Zustände am überfüllten Flughafen Tegel beschwert. Doch dieses Szenario spielt nicht an einem der beiden alten Berliner Flughäfen, sondern am BER, dem laut eigenen Angaben „modernsten Flughafen Europas“. In einem Gutachten, das der Flughafenexperte Dieter Faulenbach da Costa im Auftrag der Brandenburger CDU-Fraktion erstellt hat, sagt er für den Passagierbetrieb zum Teil verheerende Zustände voraus.

Die Planungsmängel am BER seien so gravierend, dass „die Servicestandards unter denen von Tegel liegen werden“. Eine ordnungsgemäße Passagierabfertigung sei „nicht möglich“. Kurz gesagt: Für Faulenbach da Costa ist der BER zu klein, zu eng und vermutlich ein dauerhafter Verlustbringer. Sollte er mit seiner Analyse recht haben, wäre der BER von Grund auf falsch geplant worden. Für den Berliner Regierenden Bürgermeister und Vorsitzenden des Aufsichtsrats, Klaus Wowereit (SPD), wäre das ein erneutes Desaster.

Viele Flüge in die Nacht verlagern

Bislang schien es das größte Problem zu sein, den neuen Hauptstadtflughafen fertig zu bekommen. Die Brandschutzanlage bereitet nach wie vor Schwierigkeiten, zudem sind im Terminal teilweise gravierende Umbauarbeiten notwendig. Sogar der vierte Starttermin am 27.Oktober 2013 steht unter Vorbehalt. Doch selbst wenn der Termin eingehalten wird, stellt sich nun die Frage, ob der BER überhaupt in der Lage sein wird, ein internationales Drehkreuz zu werden. Genau darauf ist aber beispielsweise die angeschlagene Air Berlin angewiesen. Bis zu 50 Air-Berlin-Flugzeuge sollen pro Tag am BER landen und innerhalb einer Stunde wieder starten. Doch Faulenbach da Costa bezweifelt, dass die Passagiere in so kurzer Zeit umsteigen können. Und dass es ihr Gepäck rechtzeitig in den nächsten Flieger schafft.

Für Dieter Dombrowski, Fraktionschef der Brandenburger CDU, offenbart das Gutachten ein Schreckensszenario. Er entnehme der Studie, so Dombrowski, dass der Flughafen keinerlei Reserven haben werde. Verspätungen seien vorprogrammiert. Das wiederum werde laut Dombrowski dazu führen, dass sich viele Flüge in die Nacht verlagerten. Dies dürfte nicht nur die Brandenburger Kämpfer für das Volksbegehren zum Nachtflugverbot alarmieren, die noch bis 3.Dezember um Unterschriften werben.

BER wird laut Gutachten Milliardenverluste anhäufen

In Auftrag gegeben hat das Gutachten die Brandenburger CDU-Fraktion. 17.000 Euro hat sie die Untersuchung gekostet. Aufmerksamkeit war ihr damit garantiert. Denn Faulenbach da Costa weist schon seit Jahren auf die seiner Ansicht nach bestehenden Mängel am BER hin. So war er unter anderem 2004 als Gutachter für den Bürgerverein Brandenburg-Berlin (BVBB) tätig, zu dem sich Anwohner des BER zusammengeschlossen haben. Sie hatten von Anfang an gegen einen Großflughafen in Schönefeld protestiert und dagegen geklagt. Bislang jedoch ohne Erfolg. Zudem berät Faulenbach da Costa weltweit Airport-Manager bei der Entwicklung und Planung von Flughäfen.

Nun können sich die Gegner des BER zumindest in diesem Gutachten bestätigt sehen. Denn darin wird eines ganz deutlich: Der BER wird es sehr schwer haben, die Erwartungen zu erfüllen. Laut der Studie wird der neue Hauptstadtflughafen in den ersten zehn Betriebsjahren voraussichtlich fast zwei Milliarden Euro Verlust anhäufen. Grund sind offenbar Planungsfehler, die Jahre zurückliegen. Die Zahl der Fluggäste hat sich in Berlin besser entwickelt als erwartet. Der BER wird daher schon bald nach seiner Eröffnung rund 27 Millionen Passagiere pro Jahr befördern müssen. Dazu sollte er laut Plan auch in der Lage sein. Doch genau das bezweifelt Faulenbach da Costa. Er kommt in seiner Untersuchung zu dem Schluss, dass am BER nur bis zu 17 Millionen Fluggäste „weitgehend störungsfrei“ abgefertigt werden können. Bei einer so geringen Passagierzahl würde sich der Airport betriebswirtschaftlich jedoch nicht rechnen.

Flughafengesellschaft hält Sorge für unbegründet

„Das Gutachten wirft ein weiteres Schlaglicht auf die bislang unbeantwortete Frage, was der von der öffentlichen Hand betriebene Flughafen BER die Steuerzahler in den kommenden Jahrzehnten kosten wird“, sagte Axel Vogel, Fraktionschef der Brandenburger Grünen. Es bestätige die Vermutung, dass der BER „dauerhaft rote Zahlen schreiben und die öffentlichen Haushalte massiv belasten wird“. Andreas Otto, der für die Grünen im Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses sitzt, versteht das Gutachten als Anregung, „diese Fragen in den anstehenden Sitzungen zu klären“. Die Fehler am BER reichten offenbar weit in die Vergangenheit zurück.

Bei der Flughafengesellschaft bezeichnet man die Sorge, der Flughafen könnte zu klein sein, dagegen als unbegründet. „Der Flughafen BER bringt gegenüber dem stark belasteten Tegel einen deutlichen Qualitätssprung“, sagte Flughafenchef Rainer Schwarz. Das gelte „für die An- und Abreise per Auto und Bahn genauso wie für sämtliche Prozesse im Terminal, angefangen vom Check-in über Boarding bis zur Gepäckausgabe“. Richard Meng, Sprecher des Berliner Senats, wies die These des Gutachtens ebenfalls als „falsch“ zurück. Gelassen reagierte auch die Regierungskoalition in Brandenburg. SPD-Fraktionschef Ralf Holzschuher verwies auf gegensätzliche Aussagen von Faulenbach da Costa und bezeichnete sein Gutachten als „Satire vom Feinsten“.

Ordnungsgemäße Passagier-Abfertigung „nicht möglich“

Faulenbach da Costa hält diesen Vorwürfen Zahlen entgegen. Derzeit sind am BER rund 120 Check-in-Schalter vorgesehen, die bisher vorhandenen 96 Schalter werden gerade um 22 aufgestockt. Im Vergleich zu anderen Flughäfen wären laut der Studie aber 224 Schalter notwendig. Ähnliche Mängel bestünden in der Gepäckhalle des künftigen Hauptstadtflughafens. Dort stehen acht Gepäckbänder für die Koffer der Fluggäste bereit, erforderlich wären laut Studie aber 20 Ausgabebänder. Eine ordnungsgemäße Passagierabfertigung sei unter diesen Bedingungen am neuen Hauptstadtflughafen „nicht möglich“. Laut der Studie sind die Kapazitäten am BER sowohl bei Check-in als auch Gepäckausgabe mehr als zwei Drittel geringer als an Deutschlands größtem Flughafen Frankfurt am Main.

Folglich sei das Wachstum am BER begrenzt. Faulenbach da Costa schließt daraus, dass der BER als einziger Großflughafen für Berlin und Brandenburg nicht den Anforderungen gewachsen sein wird. Möglicherweise müsse daher der alte Flughafen Schönefeld weiterhin genutzt werden. Eine andere Möglichkeit wäre, Billigflieger an nahe gelegene Flughäfen wie etwa Neuhardenberg und Cottbus zu verlagern. Am besten wäre es laut Gutachten aber, gleich mit einem Alternativstandort ab dem Jahr 2035 zu planen.