Wir sind eine gelassene Familie. Hysterie ist uns fremd. Als Hans neulich hustete, ergriff uns allerdings doch leichte Panik – bestimmt Ebola. Als multikulturelle Stadt ist Berlin gefährdeter als Bielefeld. Gut, dass die Piloten streiken und der Großflughafen keine Langstrecken ermöglicht. Angst haben wir trotzdem, seit Karl, der Große, uns neulich in einem viertelstündigen Ebola-Referat alles über Symptome, Inkubationszeiten und Ansteckungswege erklärte.
Woher mag der Junge sein Fachwissen beziehen? Die Schule hat spätestens bei der Pest im Mittelalter aufgehört. Ganz einfach: Karl hatte „Plague“ auf sein Handy geladen, ein heiteres Game. Der Spieler sucht sich eine Seuche aus, entscheidet über Verbreitungswege und -gegenden mit dem Ziel, die Menschheit möglichst schnell auszurotten. Ein Zähler gibt an, wie viele Millionen Opfer bereits gesammelt sind. Das Problem ist Grönland: weit weg, zu kalt für Seuchen, zu wenig Menschen, um sich ordentlich anzustecken.
Netterweise hatte Karl seinem kleinen Bruder Hans dieses pädagogisch wertvolle Game umgehend erklärt. Die Chefin schnaubte „menschenverachtend“, schnappte nach dem Handy und hätte „Plague“ sofort gelöscht, wenn sie gewusst hätte, wie. Ich wiederum brachte Milde ins Spiel. Schließlich hat das Kind in 13 Jahren Schule weniger über Geografie, Medizin und Hygiene gelernt als in einer Woche Handyspiel.
Wie lehrreich digitales Spielen ist, erfuhren wir wenig später von Hans, der plötzlich über die Lage in Syrien vortrug und den Diktator Assad verdammte, der Giftgas gegen die eigenen Bürger einsetzte. Und woher hatte er seine Weisheiten? Von Youtube natürlich. Die Videoplattform nimmt uns die Erziehung ab, weil dort Dinge gezeigt werden, die Eltern einfach nicht drauf haben, zum Beispiel, wie man aus den Bauklötzen von Minecraft einen Hubschrauber bastelt. Das Lehr-Video war mit sachlich einwandfreien Kommentaren zu Syrien unterlegt, die Hans schneller auswendig gelernt hatte als einen Song von Helene Fischer.
Die Chefin und ich überlegen, ob wir auch einen heiteren Youtube-Kanal eröffnen. Im Keller habe ich noch ein Bibo-Kostüm. Das finden die Jungs bestimmt lustig.
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