Mamas & Papas

Wenn der Nachwuchs die Mode für sich entdeckt

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Hajo Schumacher

Foto: Bernd von Jutrczenka / dpa

Hajo Schumachers Familie kleidet sich zum Einkaufen so, dass sie im Schöneberger Alltag nicht auffällt. Dumm nur, wenn Sohn Hans plötzlich sein Stilbewusstsein entdeckt.

Wir sind eine modebewusste Familie. Zum Einkaufen legen wir Jogginghosen an, um im Schöneberger Alltag nicht aufzufallen. Highheels, falsche Fingernägel und wallendes Blondhaar überlassen wir den Mitbürgern aus München und Moskau. Dumm nur, wenn der Nachwuchs plötzlich seine Stilbewusstsein entdeckt. Von uns hat er das nicht.

Es begann mit der Einladung zu einem Kindergeburtstag. Schon Tage vorher verbarrikadierte sich Hans im Badezimmer. Merkwürdig: Was machte er dort? War seine Seifenallergie etwa abgeklungen? Es roch merkwürdig durchs Schlüsselloch, eine Mischung aus altem Gel und jenem Deo, das laut Reklame die Frauen irre macht, in Wirklichkeit aber den Benutzer blind.

Hans hatte akribisch gewütet. Im Bad stapelte sich ein halbes Dutzend Tiegel, zudem hatte er zwei Kämme, drei Bürsten und einen Fön aufgebaut, dazu eine Batterie Duftwässer, mit denen ein geübter Kammerjäger alle Ratten Berlins ins Wachkoma befördern könnte. Natürlich machte ich mir keine Sekunde Sorgen über die künftige sexuelle Orientierung unseres Sohnes – schließlich habe ich keinerlei Vorurteile –, sondern wagte ein offenes Gespräch unter Männern. „Möchtest Du mir etwas sagen?“, fragte ich also einfühlsam. Hans schob mich zur Seite, um freie Sicht auf den Spiegel zu haben, wo ein Foto von Justin Bieber klebte. Mein Sohn feilte an seinem Scheitel. Will mein Sohn etwa zu DSDS? Sollte ich meinen Kleinen von Bohlen anpöbeln lassen, damit er den Rest seines Lebens in Großraumdiscos auf dem Land herumzappelt?

Mit Disco lag ich schon ganz gut, allerdings wollte Hans sich zum Einstieg in städtischen Kleinraumdiscos versuchen. „Geburtstagsparty“, hatte mir die Chefin zugeraunt: „Mit Disco.“ Wie nett: Zu Rolf Zuckowski kann man bestimmt prima Polonäse machen. Hans hatte andere Vorstellungen. War im vergangenen Jahr noch ein Sänger mit Panda-Maske sein Held, hatte unser Kleiner nun auf Marteria umgeschwenkt, ein Berliner Rapper, der für kindgerechte Texte bekannt ist, zum Beispiel: „Alle ham nen Job, ich hab’ Langeweile“ und: „Halt mir zwei Fingern an’ Kopf und mache Pengpengpeng.“ Ja, das ist sie, unsere wunderbare Großstadtkultur, gewaltfrei, liebevoll und zukunftsorientiert.

Während Hans versuchte, die Gel-Klumpen in seiner Tolle mit dem Fön zu verflüssigen, stöberte ich durch die Fotoalben. Ha, das war es ja, mein Konfirmationsfoto: Mit viel Wasser und Kamm hatte meine Mutter die Haare vor gut 30 Jahren helmartig an den Schädel betoniert. Ich riss das Bild aus dem Album, ein Foto von Marteria aus der Morgenpost und klebte beide an den Spiegel, direkt über Justin Bieber. Hans guckte bewundernd: „Marteria hat ja voll Dein Styling geklaut“, stellte mein Sohn bewundernd fest. Ich nickte und schwieg. Manche Gerüchte muss man einfach mal stehen lassen.