Serienvergewaltiger Werner K. lebt seit seiner Haftentlassung vor mehr als einem Jahr bei Verwandten im brandenburgischen Joachimsthal. Bislang wurde er rund um die Uhr von der Polizei kontrolliert. Doch ein Gericht hob die Überwachung auf. Bei den Bewohnern des Ortes kehrt nun die Angst zurück.

Monatelang war es ruhig um den Serienvergewaltiger Werner K. – jetzt sorgt der Fall des 56-Jährigen erneut für Aufregung. Seit seiner Haftentlassung im April vergangenen Jahres lebt K. bei Verwandten in Joachimsthal (Barnim). Nach heftigen Protesten von Anwohnern ordnete das Amtsgericht Frankfurt (Oder) eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung des als rückfallgefährdet eingestuften K. durch die Polizei an. In der Nacht zu Dienstag endete diese vom Amtsgericht Frankfurt (Oder) angeordnete Maßnahme zum Schutz der Öffentlichkeit. Einen Antrag der Polizei auf Weiterführung der Maßnahme lehnte das Gericht ab.

Die Richter begründeten ihre Entscheidung mit einem aktuellen psychiatrischen Gutachten über Werner K. Danach gebe es derzeit kaum Anhaltspunkte dafür, dass von K. eine Gefahr für Dritte ausgehe, wenn die Überwachung eingestellt werde, sagte ein Sprecher des Justizministeriums in Potsdam. Die Polizei will, wie sie am Dienstag mitteilte, die Überwachung dennoch vorerst „in deutlich kleinerem Umfang“, etwa durch verstärkte Streifenfahrten, fortführen. Man werde „flexiblere Formen“ der Überwachung beibehalten, hieß es im Justizministerium.

Geht jetzt alles wieder von vorne los?

Die Bewohner von Joachimsthal wussten nicht so recht, was sie von diesen Formulierungen halten sollten und was die Einstellung der Rund-um-die-Uhr-Überwachung für sie bedeutet. Die Nachricht hatte sich in Windeseile verbreitet. Viele Joachimsthaler reagierten fassungslos. „Geht jetzt alles wieder von vorne los?“, war eine viel gestellte Frage. Gritt Brobowski war im vergangenen Jahr Mitbegründerin einer Bürgerinitiative, die dagegen zu Felde zog, dass ein mehrfacher Sexualtäter sich frei und unkontrolliert im Ort bewegen kann. „Die Nachricht war für mich ein Schock. Jetzt habe ich wieder Angst um meine Kinder“, sagte die 38 Jahre alte zweifache Mutter.

„Ich verstehe nicht, wie die Behörden zu solch einer Entscheidung kommen konnten. Es weiß doch niemand genau, ob der Mann noch immer gefährlich ist oder nicht“, kritisierte Jürgen Krüger, ein Nachbar von Werner K., den Gerichtsbeschluss. Andere Nachbarn kündigten bereits an, sie würden ihre Kinder ab sofort nicht mehr allein auf die Straße und den nahe gelegenen Spielplatz lassen.

Sie ist plötzlich wieder da, die Angst, die im vergangenen Jahr im Ort spürbar wurde. „Wer garantiert uns denn, dass der nicht wieder zuschlägt, wenn er frei und unkontrolliert durch die Gegend spazieren kann?“, fragte eine erboste Mutter zweier Teenager. Zwei junge Frauen teilten spontan mit, sie würden ab sofort bei Dunkelheit nicht mehr über die Straße gehen, an der Werner K. wohnt. Nur vereinzelt werden Stimmen laut, die zu Besonnenheit und zum Abwarten aufrufen. Doch auf beiden Seiten wurden am Dienstag wieder Erinnerungen wach an die Geschehnisse im Frühjahr und Sommer 2008.

Demonstrationen und Mahnwachen

Rückblende: Im April 2008 wird Werner K. aus der Haft entlassen. Insgesamt 22 Jahre hat er wegen Vergewaltigungen und sexuellen Missbrauchs von Kindern hinter Gefängnismauern verbracht. Da er sich in all den Jahren beharrlich weigerte, sich einer Therapie zu unterziehen, sieht die Staatsanwaltschaft die dringende Gefahr eines Rückfalls und beantragt die nachträgliche Verhängung der Sicherungsverwahrung. Wegen eines Verfahrensfehlers weist der Bundesgerichtshof den Antrag zurück. K. ist frei und zieht zu Verwandten in das Haus seines Vaters in Joachimsthal.

Im Ort bricht ein Sturm der Entrüstung los. Die sofort ins Leben gerufene Bürgerinitiative ruft nahezu täglich zu Spontandemonstrationen vor dem Haus, in dem K. lebt, auf. Mahnwachen werden abgehalten, es gibt Unterschriftenaktionen mit der Forderung, K. müsse aus dem Ort verschwinden.

NPD will Kapital aus dem Fall schlagen

Die NPD versucht, aus der aufgeheizten Stimmung Kapital zu schlagen und demonstriert ebenfalls. „Todesstrafe für Kinderschänder“, lautet ihre Forderung. Eines Abends ziehen die Rechtsradikalen mit Fackeln vor das Wohnhaus des 56-Jährigen und grölen: „Gebt mir einen Stock, gebt mir einen Stein, wir schlagen ihm den Schädel ein.“ Das allerdings geht den Joachimsthalern zu weit. Werner K. wollen sie nicht im Ort, die Rechten, das machen sie sehr schnell deutlich, allerdings auch nicht.

Als K. sich schließlich doch bereit erklärt, eine Therapie zu machen, suchen die Behörden fieberhaft nach einer geeigneten Klinik oder Einrichtung. Dabei hagelt es Absagen. Zweimal werden sie dennoch fündig, beide Male bricht K. die Therapie ab und kehrt nach Joachimsthal zurück. Inzwischen sind längst die Überwachungsmaßnahmen der Polizei angelaufen. Rund um die Uhr überwachen jeweils zwei Beamte im Vier-Schichten-Betrieb das Haus oder verfolgen Werner K. in den seltenen Fällen, in denen er es verlässt. Die Kosten: 1,6 Millionen Euro.

Nach Monaten beruhigt sich die Situation. Die Dauerpräsenz der Polizei vermittelt den Bewohnern Joachimsthals ein Gefühl der Sicherheit. Werner K. hat inzwischen eine neue, diesmal ambulante Therapie begonnen und sie bis heute durchgehalten. Seine Therapeuten erklären, er verhalte sich inzwischen kooperativ und mache erkennbare Fortschritte.

Viele Bewohner von Joachimsthal trauen diesen Angaben nicht. Und Gritt Brobowski ist bereits aktiv geworden. Am Donnertsag treten die Mitglieder der Bürgerinitiative wieder zusammen, um ihr weiteres Vorgehen zu beraten.