Alleinerziehend

Wenn Väter plötzlich die Mutterrolle übernehmen

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Jeanette Bederke

Foto: Klaus-Dietmar Gabbert

Jochen König gehört zur kleinen Gruppe alleinerziehender Väter. Über Besuche beim Kinderarzt und wie er das Studium in Frankfurt (O.) mit Kind meistert, hat der 32-Jährige ein Buch geschrieben.

„Wir fahren um ein Uhr in der Nacht mit dem Taxi ins Krankenhaus. Um kurz vor 20 Uhr wird Fritzi geboren. Die 19 Stunden dazwischen gehören zu den schrecklichsten Stunden meines Lebens. … Ich habe Fritzi auf dem Arm. Sie ist blutüberströmt und hustet Fruchtwasser. Das Fruchtwasser bildet zusammen mit dem Blut Blasen vor ihrem Mund. Gesund sieht das nicht aus… Ich spüre plötzlich eine riesige Verantwortung. Für die nächsten beiden Jahrzehnte werde ich für diesen Menschen in meinem Arm verantwortlich sein.“

So beschreibt Jochen König in seinem Buch „Fritzi und ich“ seine erste Begegnung mit der gleichnamigen Tochter. Der damals 27-Jährige hatte sich für das Kind entschieden. Während Fritzis Mutter lieber ihrem Beruf nachgehen und sich nicht um den Nachwuchs kümmern wollte, bekannte sich der junge Mann bereits vor der Geburt der Kleinen zu seinem Vatersein und zog das Mädchen allein auf.

Zusammengelebt hatte er ohnehin nie mit Fritzis Mutter, später ging die Beziehung ganz in die Brüche. Über die ersten Lebensjahre mit Fritzi in Berlin und seine Angst, keine „gute Mutter“ zu sein, hat der inzwischen 32-Jährige das von Herder verlegte Buch geschrieben, das er als Tagebuch begann, um den Alltag mit der kleinen Tochter nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Spontane, wenn auch bewusste Entscheidung

„Väterbücher“ gibt es sicher viele, „das liegt irgendwie im Trend“, sagt König, der selbst von Freunden viele solcher Neuerscheinungen geschenkt bekommt. Seines sei aber schon etwas Besonderes, weil er eben nicht nur als Teilzeit-, sondern als Rund-um-die-Uhr-Vater lebe. „Viele meiner Artgenossen berichten von ihren zwei, drei Monaten Elternzeit. Für mich ist es allerdings nicht nur ein mehrmonatiger Ausflug, sondern seit mehr als vier Jahren meine Lebensrealität.“

Dahinter verbirgt sich allerdings kein lange gehegter Wunsch, sondern eine recht spontane, wenn auch bewusste Entscheidung. „Ich hatte einfach Lust drauf, auch wenn ich zumindest ahnte, dass das kein Zuckerschlecken wird“, sagt der jungenhafte Mann schmunzelnd.

Für den Zivildienst war er einst aus seiner hessischen Heimat nach Berlin gekommen. Später studierte er dort Sozialpädagogik, arbeitete in Jugendprojekten, und dann kam Fritzi. König ging eineinhalb Jahre in Elternzeit. Was er da erlebte, war für ihn so prägend, dass er sich nicht vorstellen konnte, anschließend wieder 40 Stunden in der Woche arbeiten zu gehen.

300 Studenten mit Kindern an der Universität in Frankfurt (O.)

Aus dem Freundeskreis bekam er nicht viel Hilfe, da war König der Erste mit Kind. Und die Großeltern von Fritzi leben auch nicht in Berlin. „Ein weiteres Studium erschien mir flexibler“, sagt der Buchautor. Nicht etwa eine Universität in der Hauptstadt suchte er sich aus, sondern die Viadrina in Frankfurt (Oder), weil ihn der Studiengang Kulturwissenschaften interessierte.

„Ich wohne in Friedrichshain, Fritzis Kita ist um die Ecke. Dann bin ich schnell am Ostbahnhof und steige in den Regionalexpress.“ König wurde vor drei Jahren zu einem der vielen Studentenpendler, die charakteristisch für die Hochschule an der Oder sind. Seinen Master in soziokulturellen Studien will er in einem Jahr machen.

Leicht ist das Studium mit Kind nicht, zumal er freiberuflich noch Geld verdienen muss. An der Universität betreuen Familienbeauftragte aktuell etwa 300 Studenten mit Kindern, sagt Mitarbeiterin Susann Senkpiel. „Die meisten sind zu zweit mit Kind, andere alleinerziehende weibliche Studenten. Jochen ist da als Vater schon der Exot.“

Endlose Abfolge von Tagen ohne Abwechslung

Laut einer Statistik des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter gibt es deutschlandweit etwa 1,6 Millionen Familien, in denen nur ein Elternteil da ist. Rund 90 Prozent dieser Alleinerziehenden sind Mütter, Tendenz steigend. Von den alleinerziehenden Vätern sind mehr als 60 Prozent älter als 45 Jahre. König hat seine inzwischen viereinhalb Jahre alte Tochter nur selten an der Universität dabei – zu anstrengend erscheint ihm die Zugfahrt mit Kind.

Ohnehin sei es schwierig, stets alles abzustimmen. Kleinkinderabteil, Väterzentrum, Elternabende im Kindergarten, Besuche beim Kinderarzt, Kinderstühle in der Mensa, die endlose Abfolge von Tagen ohne Abwechslung – davon erzählt sein Buch. „Jeder Tag ist gleich. Das Ganze nun schon seit sieben Monaten. Aufwachen. Wickeln. Füttern. Wickeln … Spazieren gehen. Und nun auch noch der Herbst. … Nicht nur mir macht spazieren gehen bei schlechtem Wetter nicht mehr so viel Spaß. Jacke und Mütze anziehen sind auch nicht gerade Fritzis Lieblingsbeschäftigungen“, heißt es in dem Buch.

„Dass sie es meistern, wird von den Müttern in unserer Gesellschaft einfach erwartet“

Die Mutter des Kindes hat die Tochter vor allem an den Wochenenden. Dann kann sich der junge Vater auch mal um sich selbst kümmern. „Hatte ich früher mal Zeit für mich, habe ich sie zum Ausschlafen, Wäschewaschen und Wohnungaufräumen genutzt. Heute kann ich auch mal wieder mit Freunden feiern gehen“, erläutert der 32-Jährige. Bereut hat er seine Entscheidung für Fritzi noch nie, wie König sagt. „Ein Kind großzuziehen ist allerdings zwischen Schreianfällen und Fieberattacken anstrengender als ich dachte, und ich fühlte mich oft überfordert.“

„Sie schreit. Ich bin überfordert. Ich weiß nicht mehr, was ich noch mit ihr machen soll. Auch ich fange an zu weinen. Nicht ganz so laut wie Fritzi. Wir sitzen nebeneinander auf dem Fußboden, und uns laufen die Tränen über unsere Wangen“, schreibt König in dem Buch. „Bei Trennungen bleiben die Kinder meist automatisch bei den Frauen. Über dieses schwere Leben verliert keiner ein Wort, dass sie es meistern, wird von den Müttern in unserer Gesellschaft einfach erwartet“, kritisiert er. Schon einige von ihnen hätten ihm auf Facebook geschrieben oder den Jung-Autor auf Lesungen angesprochen – weil sie sich in Situationen, die König beschreibt, wiedergefunden haben.

„Fritzi und ich“ ist im Herder-Verlag erschienen. Das 192 Seiten umfassende Buch kostet 14,99 Euro