Nachdem Ministerpräsident Matthias Platzeck im stickigen Brandenburger Landtag eine Viertelstunde lang über seine 24 Jahre Politik in Brandenburg gesprochen, den Fortschritt seines Bundeslandes gelobt und Frau, Familie und Weggefährte gedankt hat – erinnert ihn die erste Frage der Journalisten daran, dass es nicht nur ein „emotionaler Tag“ für ihn ist und er seinem Nachfolger Dietmar Woidke auch viel Arbeit hinterlässt: „Wer wird Sie im Aufsichtsrat des Flughafens BER vertreten?“
Platzeck lächelt und sagt: „Schön, dass wir auch darüber reden.“ Dann erklärt er, dass Woidke nicht in den Aufsichtsrat gehen wolle und man „da noch eine Lösung finden werden müsse“. Als Journalisten dann noch Nachfragen haben, wird Woidke ungehalten und beginnt mit: „Ich habe doch schon gesagt, dass...“ Platzeck greift ein, sagt ruhig: „Wir werden uns darüber Gedanken machen.“
Für einen Augenblick geht es nicht um den emotionalen Zustand des Mannes, der sechseinhalb Wochen „mit sich gerungen hat“, wie Platzeck sagt. Sondern es geht auch um die schwerwiegenden Konsequenzen, die seine Entscheidung hat: Platzeck wird als Ministerpräsident und SPD-Landesvorsitzender in einem Monat zurücktreten. Auch den BER-Aufsichtsratsvorsitz will er abgeben. Nur sein Landtagsmandat, das will Platzeck erst mal behalten. Zumindest bis zu den Wahlen im Herbst 2014.
Die Entscheidung hat er lange geheim gehalten und hat sie den SPD-Mitgliedern erst am Nachmittag um 17 Uhr im Landtag verkündet, bei Erdbeertorte und Zupfkuchen.
Dabei hatte es doch noch vor wenigen Tagen geheißen, am Montag werde er an seinen Arbeitsplatz zurückkehren – und wohl noch eine Weile weitermachen. Wie zur Untermauerung lud die Staatskanzlei am Sonntag zur traditionellen Sommerreise mit dem Ministerpräsidenten für Donnerstag ein. Keiner konnte ahnen, dass es seine Abschiedstour werden wird.
Als am Montag dann Journalisten und Kamera-Teams auf dem Hof der Staatskanzlei auf den zurückkehrenden Platzeck warteten, saß dieser zu Hause in seiner Wohnung in Potsdam-Babelsberg – und telefonierte. Mit Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Mit den Linken, die seit 2009 in Brandenburg mitregieren. Sogar mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU).
Schweren Herzens zu diesem Schritt entschieden
Kurz darauf, um 10 Uhr, wurde eine Einladung für eine Sitzung um 17 Uhr verschickt. Da war klar: Platzeck hat eine Entscheidung getroffen. Nur welche? Noch hofften viele in der Partei, er werde vorerst Ministerpräsident bleiben und nur einen Verzicht auf eine erneute Spitzenkandidatur erklären.
Doch Platzeck wollte keine halben Sache. Er wolle glaubwürdig bleiben, begründete er später seinen Rückzug zum jetzigen, für die Partei denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Keine taktischen Spielchen wegen der Bundestagswahl im September.
Am späten Vormittag meldeten die ersten Medien, dass Platzeck zurücktreten werde. Um 12 Uhr gab es eine Telefonschaltkonferenz mit dem Fraktionsvorstand und den SPD-Landesministern. Dabei teilte Platzeck mit, dass er aufhören werde. Als Ministerpräsident und als SPD-Landeschef.
Er habe sich schweren Herzens dazu entschieden, während seines Urlaubs hart mit sich gerungen. Es gehe ihm gesundheitlich wieder einigermaßen gut. Doch könne er sein Amt nicht mehr „ohne Wenn und Aber“ ausüben. Seinen Nachfolger Dietmar Woidke habe er als Umweltminister, späteren SPD-Fraktionschef und Innenminister sehr schätzen gelernt.
Woidke hat den ersten Stresstest bestanden
Später in der Pressekonferenz wird Platzeck witzeln, dass Woidke schon den ersten Stresstest bestanden habe: „Ich habe ihn aus dem Kreuzfahrturlaub zurückgeholt“, sagt er, „das Abbrechen eines Urlaubs kann er also schon.“ Erst am Dienstag war der 51-Jährige mit der Familie von Hamburg aus mit dem Kreuzfahrtschiff nach Norwegen gestartet.
Bereits seit Längerem galt der Lausitzer als möglicher Nachfolger Platzecks. Er hat ihn zunehmend auch bei wichtigen Terminen als Regierungschef vertreten. Doch dass es so schnell gehen wird, war angeblich auch für ihn nicht absehbar.
In der SPD-Führungsrunde bei der Telefonkonferenz am Mittag war angeblich keiner, der Platzecks Entscheidung nicht respektierte. Auch sein Vorschlag, Woidke als Nachfolger auszurufen, fand Zustimmung. Sollte Woidke im August wie geplant im Landtag zum Ministerpräsidenten gewählt werden, will er Fraktionschef Ralf Holzschuher zu seinem Nachfolger an der Spitze des Innenministeriums berufen. Die Landtagsfraktion soll der langjährige SPD-Generalsekretär Klaus Ness führen. Die Abgeordnete Klara Geywitz wird nach dem Willen Woidkes Generalsekretärin, erstmals eine Frau in diesem Amt.
Dass Platzeck auch den BER-Aufsichtsratsvorsitz abgeben wird, teilte er Klaus Wowereit schon am Vormittag mit. Wer diesen heiklen Posten übernimmt, soll spätestens bis Oktober geklärt sein. Woidke deutete aber an, dass es jemand mit „Fachverstand“ sein werde.
Nach der Telefonkonferenz fuhr Platzeck erst zur Parteizentrale an der Potsdamer Alleestraße, ins Regine-Hildebrandt-Haus, dann in die Staatskanzlei. Inzwischen war es früher Nachmittag geworden. Um 17 Uhr begann dann die Sondersitzung mit der gesamten Fraktion und dem Landesvorstand oben im Landtag. Die Stimmung war gedrückt. Platzeck sagte: „Ich wäre gerne mit einer anderen Botschaft gekommen.“
Mehr als 20 Jahre in politischen Ämtern
Eine Brandenburger SPD ohne Platzeck – für die meisten noch gar nicht vorstellbar. Mehr als 20 Jahre lang war er in Brandenburg in politischen Ämtern, seit 2002 als Ministerpräsident. Mit ihm gewann sie – wie schon zuvor mit Manfred Stolpe – alle Landtagswahlen. Im November 2009 wurde Platzeck zum dritten Mal an die Spitze der Regierung gewählt.
Trotz des Fiaskos mit dem Pannenflughafen BER war er immer noch der beliebteste Politiker Brandenburgs. In Umfragen hatte er allerdings ein Drittel seiner Beliebtheitswerte im Vergleich zu seinen Glanzzeiten eingebüßt. Eine Mehrheit traute auch ihm nicht zu, die Probleme am neuen Hauptstadtflughafen in Schönefeld zu lösen. Bislang sind sie auch noch nicht gelöst. Noch immer steht kein Eröffnungstermin fest.
Die meisten waren entsetzt, als Platzeck sich im Januar 2013 dazu entschieden hatte, auch noch den BER-Aufsichtsratsvorsitz zu übernehmen. Doch er sah sich als bisheriger Vize in der Pflicht. Berlins Regierender Bürgermeister Wowereit hatte den Posten nach mehreren geplatzten Eröffnungen hingeworfen.
Der Kümmerer. Da war er wieder. Gedrückt hat Platzeck sich nie. Das brachte ihm bei der Oder-Flut 1997 auch den Beinamen „Deichgraf“ ein. Auch 1998 fühlte er sich in der Pflicht. Platzeck löste damals den glücklosen Potsdamer Oberbürgermeister Horst Gramlich (SPD) ab. Die Jahre im Rathaus gehörten wohl zu seinen härtesten.
Die Stadt war hoch verschuldet, es musste rigide gespart werden. Schon damals konnte Platzeck Menschen für seine Ziele gewinnen, schon damals war er nicht so belastbar, wie es das Amt erfordert. Kreislaufprobleme machten ihm immer wieder zu schaffen. Seinen Bluthochdruck soll er nie ganz in Griff bekommen haben. Trotz Sport und „einigermaßen gesunder Ernährung“, wie er mehrfach betont hat.
Vielleicht hat Manfred Stolpe auch deshalb mit der Übergabe an den langjährigen Kronprinzen so lange gewartet. Im Juni 2002 gab er auf dem Parteitag in Wittenberge seinen Rücktritt bekannt. Als keiner damit rechnete. Nach fast zwölf Jahren im Amt. Nur eine Woche später wurde Platzeck als sein Nachfolger vereidigt. Platzeck sollte fast genauso lange wie Stolpe im Amt bleiben.
Nach seiner Wahl musste er sich den Respekt erst erarbeiten. Auch beim Koalitionspartner CDU. Der Potsdamer Arztsohn war vor allem ein Frauenliebling. Ein politischer Sonnyboy. Er suchte immer den Kontakt. Durch ein Lächeln. Ein Händedruck genügte ihm nicht. Schulterklopfen, Umarmen, all das gehörte zu Platzeck. Deshalb mochten sie ihn auch so, seine Wähler.
Bald war klar, dass sich unter ihm etwas ändern wird in Brandenburg. Platzeck erklärte die kleine DDR, wie Stolpe das Land einmal nannte, quasi für beendet. Fördergeld sollte nicht mehr gießkannenartig im Land verteilt werden. Der „nette Herr Platzeck“ ist er dennoch geblieben, hat sein Wohnhaus aus DDR-Zeiten nie verlassen. Die „Marke Platzeck“ stand stets mehr für ein sympathisches Gesicht und aufmunternde Worte als für konkrete Politik.
Übergang begleiten
Doch wenn es sein musste, griff er auch durch. Das bekamen selbst langjährige Weggefährten wie Rainer Speer zu spüren. Ihn drängte Platzeck 2010 nach einer Unterhaltsaffäre zum Rücktritt als Innenminister. Das Zerwürfnis zwischen den beiden hat sicherlich auch tiefe Spuren bei ihm hinterlassen. Ebenso wie der schlechte Start seiner rot-roten Koalition. Die erste in Brandenburg. Platzeck holte gegen den anfänglichen Widerstand seiner Partei nach der Landtagswahl 2009 die Linken in die Regierung – und schickte die CDU nach zehn Jahren in die Opposition. Eine Stasi-Enthüllung nach der anderen bei den Linken belastete das neue Bündnis schwer, doch mittlerweile ist es ruhig geworden um Rot-Rot.
Mit Woidke sieht die CDU ihre Chancen steigen, in die Regierung zurückzukehren. Der Platzeck-Nachfolger war der erste Unterbezirkschef, der vor einem Bündnis mit der Stasi-belasteten Linken gewarnt hatte. Unter ihm wird die SPD bis nach der Landtagswahl im Herbst 2014 aber dennoch keine Koalitionsaussage machen. Das stellte Woidke am Montag bereits klar. „Die Koalition ist stabil“, sagte er. „Wir haben viel miteinander erreicht.“
Dass Platzeck sein Landtagsmandat vorerst behalten will, ist ein Signal dafür, dass er den Übergang begleiten möchte. Er will Woidke auch im Wahlkampf 2014 unterstützen. Er könnte das brauchen, denn laut Umfragen kennen ihn nicht einmal die Hälfte der Brandenburger. Platzeck sagt schon jetzt über ihn: „Er steht mit beiden Beinen auf märkischem Boden.“ Vor allem ist er wahrscheinlich robuster als der scheidende Ministerpräsident.
Matthias Platzeck hingegen ist nie eine dicke Haut gewachsen. Trotz seiner Erfahrung im harten Polit-Betrieb. Auf der Pressekonferenz im stickigen Saal erzählt er davon: Sein Auto wurde zum Büro, er war oft sieben Tage in der Woche unterwegs. Unter 80 Stunden Arbeit pro Woche sei es schwer zu machen. Er erfindet sogar ein neues Wort: „Dieses Amt verlangt die Hintenanstellung aller anderen Dinge.“
So war das auch damals, als Platzeck auch noch das Amt des SPD-Bundeschefs übernommen hatte. Zwei Hörstürze und ein Zusammenbruch im April 2006 zwangen ihn nach nur fünf Monaten zum Rücktritt. Es war seine schwierigste Entscheidung gewesen – bis zu diesem Montag.