Berlin. In Hermsdorf kämpfen drei Initiativen gegen den Verkehr und auch gegeneinander. Eine Nachricht aus dem Bezirksamt vereint die Gegner.

Es war ein Schock für die Anwohner des Waldseeviertels, als Reinickendorfs Verkehrsstadträtin Julia Schrod-Thiel (CDU) im Verkehrsausschuss nebenbei erwähnte, dass nach der Sanierung im kommenden Jahr wieder der LKW-Verkehr durch ihr Viertel donnern würde. Derzeit verbieten Verkehrsschilder Lastkraftwagen über 3,5 Tonnen die Durchfahrt. Grund ist der schlechte Zustand der Straße und nicht etwa, dass es sich um eine Wohnstraße handelt. Auch wenn durch sie rund 6000 Autos am Tag fahren.

Malte Schümann, Gründer der Bürgerinitiative „Gegen den Durchgangsverkehr“ im Waldseeviertel, ist erschüttert über diese Pläne und fragt sich, wie das funktionieren soll. „Die Straße wird nach dem Umbau einen Meter schmaler, die Durchfahrt einer Buslinie ist vorgesehen, eine zweite soll auch kommen. Eine Fahrradstraße wird es nicht, aber die Hochbordradwege (auf dem Bürgersteig) werden entfernt – der LKW-Verkehr ist eine Gefährdung aller Radfahrenden.“

Streit um Verkehr im Waldseeviertel tobt seit Jahren

Während in Berlin nach kurzer Diskussion relativ widerspruchslos Parkplätze zu Vorgärten werden sowie Fahrradspuren und Kiezblocks errichtet werden, verläuft der Verkehrsumbau außerhalb des S-Bahnrings langsamer und mit mehr Widerständen. Der Kampf um die Ruhe im Waldseeviertel tobt seit Jahren. Denn die Schildower Straße, die durchführt, ist für viele, die aus Richtung der Brandenburger Gemeinde Glienicke-Nordbahn kommen oder dorthin wollen, ein Schleichweg. Sie geht in Hermsdorf ab von der B96, die dort Berliner Straße heißt.

Bis zu 6000 Autos fahren pro Tag durch die kleine Straße am Rande von Berlin.
Bis zu 6000 Autos fahren pro Tag durch die kleine Straße am Rande von Berlin. © Florian Boillot | Florian Boillot

Drei Bürgerinitiativen sorgen sich jede auf ihre eigene Art um den Fluss des Verkehrs im idyllischen Waldseeviertel: Die einen wollen am liebsten eine Verkehrsberuhigung. Das sind oft die Leute, die in der Schildower Straße wohnen. Die anderen wollen keine Sperrung, weil sie dann befürchten, dass der Verkehr durch die Seitenstraßen fließt. Das sind oft die, die in den Seitenstraßen wohnen. Und die dritten wollen keine Sperrung, weil sie freie Fahrt ins Umland nach Glienicke Nordbahn und zurück wollen. Sie wohnen oft nicht in der Schildower Straße oder den Seitenstraßen. Und alle wollen mehr Sicherheit für Verkehrsteilnehmer, speziell für Radfahrer. Alle zufriedenzustellen, ist für die Politik zumindest nicht leicht.

Jetzt sprechen alle Bürgerinitiativen mit einer Stimme

Doch nach der Hiobsbotschaft aus dem Verkehrsausschuss sprechen die drei Initiativen, zumindest, was den LKW-Verkehr angeht, mit einer Stimme. In den vergangenen Wochen haben sie an einer Mitteilung gefeilt. Nun haben sie diese nach einigem Zögern veröffentlicht und sie schreiben darin: „Einen LKW-Durchgangsverkehr im Waldseeviertel lehnen wir gemeinsam mit Nachdruck ab. Er erhöht Lärmbelästigung sowie Gefährdungspotenzial für den Fahrradverkehr der Schildower Straße und dürfte auch den Busverkehr beeinträchtigen. Außerdem wäre mit zusätzlichem Ausweichverkehr durch PKW in Nebenstraßen zu rechnen.“ Die Straßenverkehrsordnung biete ausreichend Möglichkeiten, den LKW-Durchgangsverkehr im Waldseeviertel zu untersagen, sagt Malte Schümann. Er verweist auf Paragraf 45, wonach die Straßenverkehrsbehörden „die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten“ können.

Michael Ortmann (rechts) setzt sich mit Anwohnern für Verkehrsberuhigung ein.
Michael Ortmann (rechts) setzt sich mit Anwohnern für Verkehrsberuhigung ein. © Susanne Kollmann | Susanne Kollmann

Schümann hat seine und die anderen beiden Initiativen an einen Tisch gebracht. „Drei Wochen, 20 Mails und zehn Telefonate“ habe es gedauert, sagt er. „Und viel Geduld und diplomatisches Gespür.“ Denn speziell die Bürgerinitiative für mehr Verkehrsberuhigung des Mathematikers Michael Ortmann, der in der Schildower Straße wohnt und mit fantasievollen bis krawalligen Aktionen für Aufsehen sorgt, und die Bürgerinitiative „Offene Nachbarschaft“ waren sich bisher spinnefeind.

Ortmann will generell eine Verkehrsberuhigung und keinen Durchgangsverkehr, die „Offene Nachbarschaft“ fordert freie Fahrt für Privatautos nach Glienicke-Nordbahn. Und so sagt Helmut Bodensiek von der „Offenen Nachbarschaft“ auch nach dem Schulterschluss mit Ortmann. „Das ist ein Punkt, wo wir uns einig geworden sind, aber nicht mehr.“

Bürgerinitiativen liegt offenbar an Zusammenarbeit

Und doch ist der Ton mittlerweile ein ganz anderer zwischen den Bürgerinitiativen. Früher nannte Michael Ortmann die „Offene Nachbarschaft“, die eine Sperrung für Durchgangsverkehr in Richtung Brandenburg mal mit der Neuerrichtung der Berliner Mauer verglichen hat, spöttisch „Größte Bürgerinitiative am Zonenrandgebiet“. Und auch im Morgenpost-Gespräch bekennt er. „Das waren eigentlich unsere Gegner.“ Aber auch Ortmann scheint an einer Zusammenarbeit zu liegen, seitdem nach der Wiederholungswahl die Verkehrspolitik in ganz Berlin und Reinickendorf nicht mehr in Grüner, sondern in CDU-Hand liegt. Und so schlägt er versöhnliche Töne an. „Es besteht ja nun durch eine gemeinsame Erklärung die Hoffnung, dass man später auch etwas gemeinsam auf die Beine stellt, was den Durchgangsverkehr durch das Viertel verringert.“

Für die nächste Bezirksverordnetenversammlung hat er sich Fragen an Bezirksstadträtin Julia Schrod-Thiel zurechtgelegt. Und er kündigt entschlossen an. „Wir bleiben weiter dran und sind auch dran, juristische Schritte zu prüfen.“

Die Schildower Straße sieht aus wie eine ruhige Wohnstraße. Aber sie ist es aufgrund des Verkehrs nicht.
Die Schildower Straße sieht aus wie eine ruhige Wohnstraße. Aber sie ist es aufgrund des Verkehrs nicht. © Florian Boillot | Florian Boillot

Verkehrsstadträtin Schrod-Thiel bemüht sich in ihrer Antwort auf die Morgenpost-Anfrage allerdings um Beruhigung der Lage. Ab nächstem Frühjahr stehe die Sanierung der Straße an, so die CDU-Politikerin, das geschehe auch auf Anregungen durch Anwohnerinnen und Anwohner. Dann werde man sehen. Und dann sagt sie den entscheidenden Satz. „Das Bezirksamt Reinickendorf befindet sich derzeit in der Prüfung, ob eine mögliche Sperrung der Schildower Straße für den Durchgangsverkehr von Lastkraftwagen mit einem Gesamtgewicht über 3,5 Tonnen rechtlich und verkehrstechnisch nach der gesamten Baumaßnahme umsetzbar ist.“ Das können sich die drei vereinten Bürgerinitiativen dann wohl als ersten gemeinsamen Erfolg auf die Fahnen schreiben.

Mehr Neuigkeiten aus Reinickendorf lesen Sie hier.