Berlin. Die Beteiligung der Öffentlichkeit am Lärmaktionsplan ist vor kurzem zu Ende gegangen. Das sind die größten Ärgernisse in Berlin.
Lärm bleibt in einer Stadt nicht aus. Aber wenn er überhand nimmt, schadet er, kann sogar krank machen. Um sich über die empfundene Belastung durch Lärm in Berlin einen Überblick zu verschaffen, hat die Senatsverwaltung für Umwelt und Verkehr den Lärmaktionsplan gestartet.
Über sechs Wochen konnten Berlinerinnen und Berliner mitteilen, wo sie der Lärm besonders stört. Satte 2161 Lärmprobleme haben Berlinerinnen und Berliner gemeldet. Und obwohl sich diese übers gesamte Stadtgebiet verteilen, ist es – kaum verwunderlich – vor allem die Innenstadt, die mit gefühlten Lärmbelästigungen vorn liegt: Den Spitzenplatz belegt Friedrichshain-Kreuzberg mit 408 Problemstellen, gefolgt von Mitte mit 305. Auf dem letzten Platz: das genügsame Marzahn-Hellersdorf mit gerade einmal 16 Problemstellen, wie etwa lauter Lkw-Verkehr auf der verschlissenen Dahlewitzer Straße.
Im Rahmen der Online-Beteiligung wurde insbesondere verkehrsbedingter Lärm, etwa durch Auto-Poser und Motorräder oder rasante Fahrten über Kopfsteinpflaster diskutiert. Die Teilnehmer nannten besonders lärmbelastete Streckenabschnitte in ihren Bezirken und formulierten Vorschläge zu lärmmindernden Straßenbelägen oder zu möglichen Regelungen für Durchgangsverkehre oder Tempo-Beschränkungen.

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Lärm in Berlin: Friedrichshain-Kreuzberg will flächendeckende Beruhigung
Der problematischste Ort ist, basierend auf der der Bürgerbeteiligung, die Frankfurter Allee. Viele Anwohner wünschen, dass sie zur Tempo-30-Zone wird und auch Friedrichshain-Kreuzbergs Bezirksstadträtin für Verkehr, Grünflächen, Ordnung und Umwelt, Annika Gerold (Grüne) sieht das so: „Für die Frankfurter Allee wurde von der BVV bereits im Jahre 2022 beschlossen, dass sich der Bezirk bei der zuständigen Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt für die Einführung von Tempo 30 und sogenannte Lärmblitzer einsetzen wird. Diese Forderung wird von mir geteilt.“ Nur eine flächendeckende Verkehrsberuhigung, wie sie der Bezirk im Nebenstraßennetz umsetze, eine Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs und wirksame Geschwindigkeitskontrollen können zur Vermeidung von Verkehrslärm in allen Kiezen beitragen, findet Gerold.
Das würde dann auch Abhilfe in der Ebertystraße schaffen, die Problemplatz zwei belegt. In der Wohnstraße, die von der Landsberger Allee abgeht und sehr oft als Abkürzung genutzt wird, ist es den Anwohnern rund um die Uhr zu laut.
Überraschung auf Platz drei
Die beiden Innenstadt-Probleme sind fast erwartbar. Anders sieht es in Reinickendorf aus. Der Bezirk im Norden Berlins landete insgesamt mit 65 Problemmeldungen auf dem vorletzten Platz, er hat also zweitwenigsten Problemstellen. Allerdings liegt das Waldseeviertel mit der Schildower Straße, die von vielen Pendlern genutzt wird, mit 50 zustimmenden Bewertungen von Usern als Problemfall auf Platz 3 in ganz Berlin. Ein Nutzer namens „Waldseeviertel“ meint: „Die Verkehrsdichte ist unzumutbar geworden, die Sicherheit ist gerade für Kinder, ältere Menschen und auch Tiere nicht mehr gegeben.“ Ein Nutzer mit dem Pseudonym „arl“ findet: „Skandalös ist auch das Verhalten der beteiligten Kommunalpolitiker - keiner hat den Mumm zur Entscheidung (die Grünen auch nicht) und die Anwohner leiden unter Lärm und permanenter Gefährdung.“ und „ELD“ klagt: „Wir fühlen uns von der Politik allein gelassen.“
Das Waldseeviertel ist seit Jahren eine bekannte Verkehrs-Problemzone. Der Verein Changing Cities und Anwohner, allen voran der Mathematiker Michael Ortmann, der sich bei Demonstrationen auch schon als menschlicher Poller verkleidet hat, um auf die Lage aufmerksam zu machen, fordern eine Beruhigung. Für Michael Ortmann ist die Sache klar: „Man braucht sich nicht zu wundern, dass die Straßen im Zentrum von Berlin so voll sind, wenn jede noch so kleine Straße am Stadtrand mit Pendlern geflutet wird. Eine Reduktion des motorisierten Durchgangsverkehrs im Waldseeviertel hat positive Implikationen für die ganze Stadt.“
Verkehrsstadträtin sieht keinen Grund für Alarm
Reinickendorfs zuständige Verkehrsstadträtin Julia Schrod-Thiel (CDU) ist mit der Thematik vertraut und wohl auch angesichts von Reinickendorfs guter Platzierung fern von jedem Alarmzustand. „Es handelt sich um keine wissenschaftliche oder fachliche Untersuchung sondern um ein Stimmungsbild der Anwohnerinnen und Anwohner“, antwortet sie kühl auf Morgenpost-Anfrage. Eine erste Einordnung der gesammelten Ergebnisse obliege der für den Lärmaktionsplan zuständigen Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt. Und die findet: „Es ist immer möglich, dass sich im Rahmen einer Beteiligung besonders aktive Bürger oder organisierte Gruppen einbringen, um ihr Thema nach vorne zu bringen. Aber durch das kontinuierliche Monitoring und Bewerten der Eingaben lässt sich dies üblicherweise schnell identifizieren.“
Wie dem auch sei, Lärm ist auch dort ein ein Problem, wo man es kaum erwartet: nämlich auf dem Wasser. Erstaunlich viele Einzel-Meldungen gibt es auch zu Partys auf Booten und Partyflößen. (Franky26: „So nervig, diese Bässe.“). Dazu gibt es den Gaststättenlärm etwa in der Stargarder Straße, Freiluftpartys im Treptower Park, oder nächtlicher Raser mit 150 km/h am nächtlichen Ostpreußendamm in Lichterfelde.
Die S-Bahn sorgt für Krach am Ostkreuz
Ein Lärm-Problem sticht aus der Masse heraus: Der Nutzer „Olistrut“ schreibt: „Der neu gebaute Abzweiger von Stadtbahn auf Ringbahn am Ostkreuz verfügt über keinerlei Schallschutz.“ Insbesondere die auf die Stadtbahn einbiegenden (abwärts fahrenden) Bahnen seien extrem laut und der Lärm strahle über den Annemirl-Bauer-Platz auf die Wohnbebauung an der Sonntag- und Helmerdingestraße. Der Nutzer wünscht sich niedrigen Schallschutz entlang der Rampe und/oder Schalldämmmatten in den Gleisen.
Um Berlins älteste U-Bahn geht es hingegen in der Skalitzer Straße. Diese sei zu laut, finden Anwohner. Und noch ein weiteres Problem komme hinzu, schreibt ein Nutzer: „Es kommt nicht selten vor, dass der Alarm minutenlang andauert, da die Einsatzfahrzeuge im Stau vor der Ampel am Schlesischen Tor stehen. Es ist dann auf der Straße kaum möglich eine verständliche Unterhaltung zu führen.“
Senatorin Schreiner freut sich über den geteilten Ärger
Der zum Teil ungefilterte Ärger der Bürger wertet Verkehrs- und Umweltsenatorin Manja Schreiner (CDU) als ein Erfolg: „Die enorm hohe Teilnahme zeigt, wie relevant das Thema Lärm in einer Großstadt für die Menschen ist – und dass viele im Alltag mit einer Geräuschkulisse konfrontiert sind, die krank machen kann. Deshalb ist der Lärmaktionsplan ein so wichtiges Werkzeug für eine gesündere Stadt. Er sieht konkrete Maßnahmen vor, um die urbane Lärmbelastung zu senken und die Metropole für alle lebenswerter zu machen.“
In den kommenden Wochen wertet die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt die Eingaben aus. Sie dienen als Grundlage, um für den Lärmaktionsplan 2024 – 2029 konkrete Maßnahmen gegen den Lärm zu entwickeln. Auf Basis des vorherigen Lärmaktionsplan hat die Senatsverwaltung unter anderem das „Tempo-30-Konzept nachts“ erarbeitet, das nächtliche Geschwindigkeitsbegrenzungen für das Hauptstraßennetz vorsieht. Es befindet sich aktuell in der finalen Prüfung.
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