Reinickendorf
Neue Pläne für Tegel

„Stadtentwicklung braucht einen langen Atem“

| Lesedauer: 11 Minuten
Jens Anker
Philipp Bouteiller vor dem Plan für die Zukunft Tegels. In das Terminal-Sechseck soll die Beuth Hochschule ziehen.

Philipp Bouteiller vor dem Plan für die Zukunft Tegels. In das Terminal-Sechseck soll die Beuth Hochschule ziehen.

Foto: Reto Klar

Wenn der Flughafen Tegel schließt, beginnt ein neues Zeitalter auf dem Gelände. Der Chef der Tegel-Projekt GmbH verrät seine Pläne.

Berlin. Viele Menschen sehnen ja die Eröffnung des Flughafens BER in Schönefeld herbei. Aber für niemanden dürfte die damit verbundene Schließung des Flughafens Tegel eine derartige Befreiung bedeuten wie für Philipp Bouteiller. Der Geschäftsführer der landeseigenen Tegel Projekt GmbH plant seit sieben Jahren für die Zeit nach dem Ende des Flugbetriebes. Kaum ein Entwicklungsvorhaben ist in Berlin derart lange vorbereitet worden wie die Urban Tech Republic, ein Wissenschafts- und Gewerbegebiet auf dem Noch-Flughafengelände. In den Räumen der Tegel-Projekt an der Lietzenburger Straße erklärt Bouteiller, wie er und seine Mannschaft sich auf den Endspurt vorbereiten.

Berliner Morgenpost: Herr Bouteiller, die Arbeit der Tegel Projekt GmbH nimmt 18 Monate vor der geplanten Eröffnung des neuen Flughafens BER und der anschließenden Schließung Tegels an Fahrt auf. Ihr Etat wurde auf 24 Millionen Euro erhöht und sie wollen das Personal von 36 auf 47 Mitarbeiter erhöhen. Was planen Sie schon heute konkret in Tegel?

Philipp Bouteiller: Für die Tegel Projekt GmbH gibt es ein gemeinsames, politisch übergeordnetes Ziel – und das heißt Baubeginn 2021. Wir sind nicht ein isoliertes Projekt, sondern eine Vielzahl von Einzelprojekten. Wir haben die Urban Tech Republic mit dem dazugehörigen Forschungscampus, auf der anderen Seite haben wir mit dem Schumacher Quartier ein sozial und funktional durchmischtes, ökologisch herausragendes Leuchtturmprojekt für Wohnen. Diese übergeordneten Projekte unterteilen sich in viele Teilprojekte. Je mehr die Planungen voranschreiten, desto komplexer werden sie. Das erklärt den Zuwachs an Personal und Budget. Es kamen auch neue Aufgaben hinzu.

Welche waren das?

Ursprünglich sollten im Schumacher Quartier nur 1500 Wohnungen entstehen, jetzt sind es über 5000. Das verändert die Planungen für die soziale Infrastruktur und den Bildungscampus im Quartier. Wir wollen hier auch neue Technologien und städtebauliche Ideen erproben. So soll das Innere des Wohnquartiers autofrei bleiben, Garagen werden sich am Siedlungsrand befinden. Eine andere wichtige Maßnahme: Das Regenwasser wird dort nicht einfach abfließen, sondern gesammelt und langsam wieder abgegeben. Das ist wichtig angesichts der zunehmenden Starkregen-Ereignisse und hat positive Auswirkungen auf das Mikroklima. Wir machen uns auch Gedanken über die Öko-Diversität. Deshalb haben wir eine Studie in Auftrag gegeben, die zum Ziel hat, möglichst viele Tier- und Pflanzenarten gezielt anzusiedeln. Und erst Ende letzten Jahres haben wir die Konzession für die künftige hochinnovative Wärme- und Kälteversorgung des Areals vergeben. Es gibt also viele Aspekte, die wir bearbeiten müssen, bevor mit dem eigentlichen Bau begonnen werden kann.

Wie genau können Sie denn planen? Der Flugbetrieb läuft ja noch?

Vermessungsarbeiten sind auch bei laufendem Betrieb möglich und wir hatten jetzt ja einige Jahre Zeit, um uns ein Bild von der Lage vor Ort zu machen. Wir haben die kompletten Bestandspläne des Flughafens digitalisiert. Dabei haben wir auch Diskrepanzen festgestellt. Einige unterirdische Kanäle liegen zum Beispiel ein paar Meter neben dem Ort, an dem sie eigentlich liegen sollten. Wenn man so etwas erst in der Bauphase entdeckt, wird es richtig teuer. Da kommt uns die längere Planungszeit zugute und das führt zu einer höheren Planungsqualität.

Gibt es bereits Erkenntnisse über bestehende Altlasten auf dem Flughafengelände?

Erste Stichproben haben nichts anderes erbracht, als das, was man auf so einem Gelände erwarten kann. So genau können wir das aber noch nicht sagen, da wir ja nicht bei laufendem Betrieb Bohrungen an der Startbahn vornehmen können.

Wie genau sind die Pläne für die Urban Tech Republic, wissen Sie schon, wer da einmal tätig sein wird?

Zum Teil ja. Es gibt ein starkes Interesse an diesen Flächen. Das hängt einerseits mit dem bestehenden Flächenmangel in Berlin zusammen, andererseits aber auch mit dem klaren Profil, das wir kommunizieren. Es gibt eine Reihe von Unternehmen, die Teil des Urban-Tech-Clusters werden wollen.

Können Sie konkreter benennen, wer sich dafür interessiert?

Das sind Unternehmen, die die Nähe zur Beuth Hochschule suchen, die nach Tegel kommt, oder die mit den Start-ups zusammenarbeiten wollen, die sich dort ansiedeln werden. Dabei handelt es sich zum Beispiel auch um Unternehmen der Mobilitätsbranche, die Teststrecken für autonomes Fahren mit angrenzenden Werkstätten suchen. Für die ist es reizvoll, schnell Gebäude nutzen zu können, die man fast unverändert lassen kann. Deshalb richten wir auch entsprechende Testgelände auf dem Gelände ein.

Wie sollen die aussehen?

Bei einer Teststrecke für autonomes Fahren geht es nicht so sehr darum, möglichst lange, runde Strecken zu haben, sondern möglichst breite Strecken, auf denen man komplexe Situationen des Innenstadtverkehrs simulieren kann.

Am Lausitzring entsteht gerade die größte Teststrecke für autonomes Fahren in Europa. Kommt Tegel da nicht zu spät?

Das eine schließt das andere nicht aus. Die Unternehmen wollen möglichst nah an den Forschungseinrichtungen und an den Talenten sein. Das können wir bieten. Mobilität ist ohne komplexe Software und Künstliche Intelligenz nicht mehr denkbar, und dafür braucht es das Ökosystem von etablierten Wissenschaftlern, jungen Start-ups und mutigen Unternehmern, das wir hier planen.

Die Erfahrung aus der Nachnutzung des Flughafens Tempelhof lehrt, dass Politik oft sehr wankelmütig ist. Fürchten Sie, dass sich die Wünsche und Pläne für Tegel noch einmal ändern, wenn der Flughafen erst einmal geschlossen ist?

Wir verfolgen das Projekt ja schon sieben Jahre und ich kann sagen, dass uns das bislang nicht widerfahren ist. Es besteht eine große Verlässlichkeit. Das frühzeitig vergrößerte Wohngebiet übrigens war sowohl planerisch als auch immobilienwirtschaftlich geboten.

Stehen Sie in Kontakt mit der Beuth Hochschule, die eine zentrale Rolle spielen soll, um deren Wünsche und Vorstellungen zu erfahren?

Ja, und die Bedarfe der Beuth Hochschule haben wir natürlich in die Planungen aufgenommen. Wichtig ist, dass sie in das Gesamtprojekt integriert ist und kein Solitär sein wird. Die Hochschule wird in das jetzige Terminal A, das Hexagon ziehen. Die Planungen sind so weit, dass wir das für jeden Raum genau bestimmen können. In das Terminal B nebenan kommt das Technologie- und Kongresszentrum.

Machen sie sich Sorgen, dass sie all den Platz für Unternehmen und Start-ups auch mit Leben füllen können?

Nein. Das Interessante an der derzeitigen Situation ist, dass wir in Berlin schon fast so viele Arbeitsplätze in Start-ups wie in der Industrie haben, jeweils etwa 100.000. Und die vielen neuen Unternehmen finden nicht alle Platz in Mitte. Berlin hat ja eine großartige Entwicklung genommen. Wir haben mittlerweile auch mehrere Start-ups in der Stadt, die mit mehr als einer Milliarde Euro bewertet werden, sogenannte Unicorns. Dass Berlin sich zu einer echten Metropole entwickelt, hat vor zehn Jahren noch niemand geglaubt.

Reicht die verkehrliche Anbindung, so wie sie geplant ist, aus Ihrer Sicht aus?

Die Anbindung erfolgt jetzt ja überwiegend mit Bus und Individualverkehr. Die Busanbindung soll erhalten bleiben. Dazu planen wir schon länger eine neue ÖPNV-Trasse, die auch in das neue Straßenbahnkonzept passt. Das ist die momentan favorisierte Lösung. Außerdem werden verschiedene U-Bahn-Verlängerungen geprüft. Eine davon ist eine Ausfädelung der U6 bis zur Urban Tech Republic. Auch die Siemens-Bahn wird reaktiviert, endet aber vorerst in Gartenfeld. Eine Verlängerung in die unmittelbar nebenan liegende Urban Tech Republic wäre unbedingt wünschenswert.

In Ihrer direkten Nachbarschaft entsteht die Siemensstadt 2.0, der Campus von Siemens. Ist das nicht eine Konkurrenz für Ihr Projekt?

Nein, das stärkt unsere Aktivitäten zur Reindustrialisierung Berlins und gibt uns noch mehr kritische Masse. Interessant ist, was gerade insgesamt im Nordwesten Berlins passiert: Mit dem geplanten Innovationszentrum Siemensstadt 2.0, dem Quartier „Insel Gartenfeld“ für experimentelle Wohn- und Arbeitsformen und Berlin TXL haben wir drei Großprojekte, die sich in unmittelbarer räumlicher Nähe befinden und thematisch miteinander verflochten sind. Wenn man die privaten und öffentlichen Investitionen zusammennimmt, die da in den kommenden 20 bis 30 Jahren getätigt werden, dann kommt man schnell auf einen Betrag von vielleicht zehn bis zwölf Milliarden Euro. Das heißt, dort entsteht ein großer neuer vernetzter Entwicklungsschwerpunkt „Berlin Nordwest“, wie Senatorin Katrin Lompscher es neulich genannt hat. Das ist eine einzigartige Chance für Berlin.

Ändert sich durch diese Pläne im Nordwesten und den Bau des BER im Südosten das Koordinatensystem der Stadt?

Das war ja der Ausgangspunkt der Überlegungen: Wenn der Flughafen schließt, müssen wir die Wirtschaftskraft im Nordwesten erhalten, um die Arbeitsplätze zu kompensieren, die verloren gehen. Mit Berlin TXL können wir einen neuen Reindustrialisierungskern für Berlin schaffen.

Solche Bauprojekte mit den entsprechenden neuen Verkehrswegen benötigen Zeit. Hinkt die Stadt der Entwicklung hinterher?

Stadtentwicklung braucht einen langen Atem. Wenn man das alles von vornherein mitdenkt, ist das völlig in Ordnung. Deswegen führen wir die Diskussion über die Verkehrsanbindung jetzt. Man muss aber auch berücksichtigen, dass jetzt täglich 75.000 Menschen am Flughafen Tegel unterwegs sind, in der Urban Tech Republic werden es etwa 25.000 sein. Also deutlich weniger.

Was sind eigentlich ihre Planungen wert, wenn der BER aus welchen Gründen auch immer, doch nicht Ende 2020 öffnet?

Wir haben volles Vertrauen in Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup und daran, dass er den Flughafen im Oktober 2020 eröffnen wird. Es gibt für uns keinen Grund, daran zu zweifeln. Wichtig ist, dass Berlin dann auch mehr internationale Direktverbindungen bekommt. Wir merken in Gesprächen mit interessierten Unternehmen aus dem asiatischen Raum und den USA, dass sie bei der Entscheidung, sich in Berlin anzusiedeln, vor allem auch daran interessiert sind.

Zukunftsmacher im Wartestand:

Als Philipp Bouteiller vor sieben Jahren den Job als Chefplaner des Entwicklungsgebiets auf dem fünf Quadratkilometer großen Noch-Flughafengelände von Tegel antrat, sollte alles viel schneller gehen. Aber die Verzögerungen beim Bau des BER haben seinen Tatendrang gebremst. Aber der Kommunikationswirt und Doktor im Fach internationales Management und Sozialpsychologie der London School of Economics bleibt dran. Vor seinem Job bei Tegel Projekt war er Berater, unter anderem bei McKinsey. Zwischendurch gründete er selbst zwei Unternehmen.

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