Berlin. In und um Berlin sind in den vergangenen Wochen Dutzende Verkehrsschilder verschwunden. Klimaschützer reklamieren für sich, die Verkehrszeichen abmontiert zu haben, um auf den betroffenen Abschnitten strengere Geschwindigkeitsbegrenzungen durchsetzen. Nun liegen erstmals konkreten Zahlen für Berlin vor. Nach Angaben der Polizei gegenüber Berliner Morgenpost sind allein in Berlin um den Jahreswechsel 43 Schilder verschwunden. Schwerpunkt ist den Zahlen nach der Bezirk Pankow. Extinction Rebellion bestätigte jetzt, mit der Aktion fortfahren zu wollen.
„Seit Anfang des Jahres werden Schilder, die das Ende der Geschwindigkeitsbegrenzung anzeigen, abmontiert. Diese Maßnahme wird so lange weitergehen, bis es solche Schilder auf deutschen Autobahnen nicht mehr gibt oder die Regierung ihren Job endlich selbst in die Hand nimmt“, sagt Aktivistin Amelie Meyer.
Die Aktivisten rufen dazu auf, auf Autobahnen, Landstraßen und auch in der Stadt Verkehrsschilder und etwaige Zusatzzeichen zu entfernen, die ein Tempolimit aufheben oder eine Geschwindigkeitsbegrenzung einschränken, zum Beispiel auf die Nachtstunden. „Überall, wo es eine CO2-Einsparung bringt“, sagt Extinction-Rebellion-Sprecher Florian Zander.
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Berlin: Die meisten Verkehrsschilder fehlen in Pankow
Nach Zahlen der Polizei Berlin verzeichnet die Behörde allein in der Hauptstadt zwischen dem 30. Dezember 2022 und dem 5. Januar 2023 43 Fälle, 23 davon im Bezirk Pankow und hier vor allem im Ortsteil Prenzlauer Berg. In Charlottenburg-Wilmersdorf fehlen 13 Schilder, der Rest wurde in den Bezirken Mitte und Tempelhof-Schöneberg entfernt.
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Nach Aussage des Sprechers erfolge das Abmontieren dezentral durch Aktivisten. Eigene Angaben, wie viele Schilder in ganz Deutschland oder in Berlin entfernt wurden, könne er deswegen nicht machen. Jedoch sei es gelungen, deutschlandweit auf mehr als 1500 Autobahnkilometern durch das Fehlen der Schilder ein Tempolimit „einzuführen“.
Die Klimaschützer wollen damit gegen die Politik der Bundesregierung und allen voran Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) protestieren, der sich bislang weigert, ein bundesweites Tempolimit auf Autobahnen einzuführen.
Statt wie beim ersten Gipfel der Automobil- und Mobilitätswirtschaft am 10. Januar im Bundeskanzleramt hinter verschlossenen Türen mit der Wirtschaft zu reden, sollte direkt mit Bürgern gesprochen werden. „Wenn die Regierung es trotz Klimakrise nicht schafft, so etwas einfaches wie ein Tempolimit umzusetzen, dann gibt es keinen Zweifel mehr daran, dass unser System in dieser Krise auf voller Länge versagt“, so Meyer weiter.
Extinction Rebellion sieht Mehrheit der Bevölkerung auf ihrer Seite
Nach Angaben von Extinction Rebellion wünscht sich eine Mehrheit der Bevölkerung ein Tempolimit. Deswegen hat es sowohl für die Forderung danach als auch konkret für die Aktion Unterstützung gegeben, so Sprecher Zander. Während Ortsgruppen autonom entscheiden könnten, ob sie weiter Schilder abmontieren, solle dazu im Vorfeld politischer Entscheidungen auch wieder gezielt aufgerufen werden, wie zuletzt um den Jahreswechsel und zum Mobilitätsgipfel der Bundesregierung Mitte Januar.
Nach neuen Berechnungen im Auftrag des Umweltbundesamtes, könnten die Einsparungen durch striktere Tempolimits höher ausfallen, als bislang bekannt. Demnach würde ein generelles Tempolimit von 120 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen die Treibhausgasemissionen in Deutschland um 4,2 Prozent senken. Werde auch die Höchstgeschwindigkeit außerorts auf 80 Kilometer pro Stunde begrenzt, wären sogar 5,1 Prozent oder das Äquivalent von acht Millionen Tonnen CO2 pro Jahr möglich.
Auf den Kraftstoffverbrauch senkend wirke sich dabei nicht nur die geringere Geschwindigkeit aus, sondern auch die Wahl kürzerer Routen, die nicht so schnell befahren werden dürften. Wegen der längeren Fahrzeiten auf Autobahnen ist laut Umweltbundesamt ist damit zu rechnen, dass auch die Nachfrage nach klimaschonenderen Alterativen wie Fernbus oder Bahn steigt.
In Berlin hat unterdessen eine beauftragte Firma damit begonnen, die Schilder wieder anzumontieren, etwa an der Bornholmer Straße in Pankow. Teilweise haben Passanten dabei die Polizei gerufen, weil sie erneut ein Entfernen der Schilder befürchteten, so die Behörde.
Polizei in Berlin ermittelt wegen Amtsanmaßung
Die Polizei in der Hauptstadt ermittelt derweil gegen Unbekannt, hat bislang sechs Verdächtige identifiziert. Das Entfernen der Verkehrsschilder erfüllt dabei den Tatbestand der Amtsanmaßung, so eine Pressesprecherin auf Anfrage der Berliner Morgenpost. Laut Strafgesetzbuch droht eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe.
Die Bundesregierung hat angekündigt, juristische Schritte gegen die Verantwortlichen einzuleiten „Solche Taten sind kein Protest mehr, sie sind schlicht strafbar“, sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Oliver Luksic (FDP), gegenüber der „Rheinischen Post“. Die Autobahn GmbH des Bundes werde daher in allen Fällen Anzeige erstatten.
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Unterdessen wandte sich Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) mit dem Appell, auf Gewalt zu verzichten, an die Aktivisten. Mit Bezug zu Lützerath sagte der Bundesminister in der „taz“: „Gerade Klimaschutz handelt davon, Freiheit und Leben in einer Demokratie zu schützen. Und Gewalt ist kein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung.“