Berlin. Um 5.30 Uhr anstellen, das ist keineswegs zu früh: Was sich seit dieser Woche morgens vor dem Sozialamt Pankow ereignet, kostet ukrainische Flüchtlinge Geduld und Nerven. Hunderte erscheinen teilweise schon vor dem Morgengrauen in der Fröbelstraße, um Auszahlungen für ihren Lebensunterhalt zu beantragen. In zwei langen Schlangen unterteilen sich jene, die einen neuen Antrag stellen wollen und jene, die ausgefüllte Unterlagen wieder einreichen. Gleich nachdem sie in Berlin bei Freunden, bei der Familie oder in Heimen eine Unterkunft gefunden haben, brauchen Frauen, Mütter, Kinder Geld, um sich zu versorgen.
Doch das Beispiel Pankow zeigt: Die Antragstellung bei den bezirklichen Sozialämtern wird zum Engpass. Am Montag haben sich laut einer Einschätzung von Sozialstadträtin Cordelia Koch (Grüne) noch etwa 150 Ukrainer eingefunden. Am Mittwoch erschienen wohl bereits mehr als dreimal so viele Antragsteller. Und so droht der Behörde, die Menschen mit einem ersten Unterhalt versorgen muss, die Überlastung.
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Bezirksamt Pankow will Flüchtlinge im BVV-Saal empfangen
Anna, eine junge Frau, die sich aus dem Bombenhagel in ihrer ukrainischen Heimat zu Verwandten nach Berlin flüchtete, stand am Mittwoch von 7 bis 10 Uhr an, nur um die graue Mappe mit den Antragsunterlagen zu bekommen. „Es wirkt nicht so gut organisiert. Hier warten müde Menschen, manche sind unruhig und wütend“, sagte Anna zur Situation. Viele in der Schlange hätten noch länger warten müssen.
Und wer sich morgens in der Fröbelstraße die Lage ansieht, erfährt, was das bedeutet. Manche Geflüchtete wärmen sich an heißem Tee, den Mitarbeiter des Pankower Sportamts ehrenamtlich servieren. Kleine Kinder urinieren an die Wände – denn Toiletten gibt es jenseits der verschlossenen Türen des Sozialamts nicht. Wenn sich die Pforte öffnet, werden von Mitarbeitern einzelne Namen in die Menge gerufen.
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Verhinderung einer zweiten Lageso-Krise hat oberste Priorität
Ansprechpartner sind für die Ukrainer auf der Straße die meiste Zeit nicht greifbar. Erst nach Stunden spricht sich herum, dass man zunächst versuchen soll, ein deutsches Bankkonto zu eröffnen, bevor man die Auszahlung beantragt.
Eine ähnliche Lage droht auch in Charlottenburg-Wilmersdorf: Etwa ein Dutzend Flüchtlinge aus der Ukraine standen am Mittwochmorgen vor dem Rathaus an der Otto-Suhr-Alle. Sie wollten Anträge auf Sozialleistungen stellen, erfuhren dann aber, dass an diesem Tag keine Sprechstunden dafür angeboten werden. Bereits am Vortag bildete sich schon vor der Öffnung um neun Uhr eine lange Schlange vor dem Eingang des Rathauses. „Der Andrang ist enorm hoch“, bestätigt der Sozialstadtrat Arne Herz (CDU). Allein am vergangenen Dienstag seien rund 300 Anträge bearbeitet worden.
In Spandau befürchtet Stadtrat Gregor Kempert (SPD), dass man erst die Spitze des Eisbergs sieht. „Von schätzungsweise 30.000 Flüchtlingen, die täglich in Berlin ankommen, kommen etwa zehn Prozent nach Spandau“, sagt er. Die Aufgabenflut sei mit seinem Personal so kaum bewältigen. „Wir benötigen die Hilfe des Landes und hoffen auf Zusagen, dass unsere Finanzierung gesichert wird“, so Kempert. Nur so sei man in der Lage, mehr Stellen für die Registrierung der Flüchtlinge zu schaffen.
Frieren vor verschlossenen Türen, kaum Informationen, kein Ort für die Notdurft: Es sind Szenen, die Stadträtin Koch in Pankow schnellstmöglich beenden will. Ab kommendem Montag soll der BVV-Saal im Verwaltungskomplex des Bezirks an der Fröbelstraße in Prenzlauer Berg als beheizter Wartebereich geöffnet werden, kündigt sie an. Klohäuschen seien bereits bestellt und sollen in Kürze im Wartebereich stehen. „Und wir arbeiten daran, dass im Sozialamt mehr Leute schneller durchgeschleust werden.“ Dazu müsse man weitere Mitarbeiter in zusätzlichen Räumen mit den entsprechenden IT-Systemen ausstatten.
Das Abstellen des Krisenzustands vor dem Sozialamt hat jetzt in Pankow oberste Priorität. Eine dramatische Lage, wie sie 2015 vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) für Empörung sorgte, soll sich in keinem der Bezirke wiederholen. „Es ist eine sehr belastende Situation auch für die Mitarbeiter. Auch sie sind ab 5.30 Uhr vor Ort“, sagte Koch am Mittwoch. „Alle haben verstanden, worum es geht.“ mit cb und dm
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