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Ein Treffen für Toleranz: Muslime treffen auf Homosexuelle

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Im Sonntags-Club in Prenzlauer Berg treffen zwei Welten auf einander - die sich aber besser verstehen wollen.

Im Sonntags-Club in Prenzlauer Berg treffen zwei Welten auf einander - die sich aber besser verstehen wollen.

Foto: Sergej Glanze / Glanze/Berliner Morgenpost

Schwule und Lesben luden Muslime zum Gespräch nach Prenzlauer Berg ein. Eine Annäherung scheint tatsächlich möglich.

Berlin. Wer bei einer Internetsuche die Worte „Homosexualität“ und „Islam“ eingibt, stößt auf folgende Sätze: „Schwul und Muslim – das geht nicht“, „Homosexuelle Beziehungen sind im Islam traditionell verpönt“ oder „In vielen islamischen Ländern werden Homosexuelle verfolgt“. Wer sich für die Lehre des Nobelpreisträgers Albert Einstein interessiert, wird sich möglicherweise an diesen Satz erinnern: „Es ist leichter, einen Atomkern zu zertrümmern als ein Vorurteil.“

Na, das kann ja heiter werden, könnte man also denken, wenn man zu einer Diskussion mit Muslimen auf der einen und Schwulen, Lesben und Bisexuellen sowie Trans- und Intersexuellen (LGBTI) auf der anderen Seite geladen ist. Und tatsächlich: Schon die Vorstellungsrunde verlangt den muslimischen Gästen einiges ab. Da ist Justine, eine vielleicht 60-jährige Frau, die den muslimischen Gästen mit der größten Selbstverständlichkeit erklärt, einen Gesprächskreis für trans-geschlechtliche Gruppen zu leiten. Da ist Peter, der „vorrangig“ schwul lebt, aber darauf hofft, dass die „ganze Welt in 100 Jahren eine bisexuell kultivierte Gesellschaft sein wird“.

Herzlich willkommen also im Sonntags-Club, einem Begegnungscafé an der Erich-Weinert-Straße in Prenzlauer Berg, in dem nicht nur, aber doch vor allem Menschen verkehren, deren Selbstverständnis und Lebensweise zu der über Jahrhunderte gepflegten Vorstellung, dass ein Mann ein Mann ist und eine Frau eine Frau und dass beide doch bitte schön nur das jeweils andere Geschlecht zu begehren haben, in einem beträchtlichen Spannungsverhältnis steht.

Die Gäste sind keine liberalen „Vorzeige-Muslime“

Die Gäste an diesem Abend: Männer, die mehrheitlich Bart tragen, Frauen, die ohne Ausnahme Kopftuch tragen. Nein, es sind keine „Vorzeige-Muslime“, die sich selbst als „liberal“ oder „reformorientiert“ bezeichnen würden. Im Gegenteil: Sie kommen aus Moscheegemeinden wie dem IZDB in Wedding oder der Dar-Assalam-Moschee in Neukölln, die Beobachter als konservativ oder orthodox, je nach Sichtweise vielleicht sogar als „fundamentalistisch“ bezeichnen würden.

Doch die Realität ist mitunter vielschichtiger, als es die Expertise so mancher „Islamismusexperten“ glauben lassen mag, schwieriger zu begreifen sogar, als es nach der Lektüre eines Verfassungsschutzberichtes scheint. Im Sonntags-Club offenbart sich das, als eine junge Muslimin mit akkurat sitzendem Kopftuch von ihrer Überzeugung berichtet, dass die Wissenschaft die Korrektheit der Botschaften Allahs schon noch erkennen werde. Im Koran habe Gott den Gläubigen zum Beispiel verboten, Schweinefleisch zu essen. Nun endlich, Jahrhunderte später, habe auch die Wissenschaft den Sinn dieses Verbotes erkannt: Schweinefleisch sei ungesund.

Die Wissenschaft bestätigt, was die Religion vorgibt: Ein von der Aufklärung überzeugter Atheist würde eine solche Position wohl als rückwärtsgewandt betrachten und vermuten, dass ein Mensch, der sie vertritt, für Vorurteile gegen Menschen mit vermeintlich gottlosen Lebensweisen und Sexualpraktiken besonders anfällig ist. Doch die Muslimin mit dem bemerkenswerten Verständnis von der Rolle der Wissenschaft berichtet zugleich, in einer Apotheke zu arbeiten, in der sie ihre Erfüllung darin gefunden habe, HIV-positive schwule Männer zu beraten. Auch ihr Chef sei schwul. „Ihm fällt mein Kopftuch inzwischen gar nicht mehr auf, und ich denke kaum noch daran, dass er schwul ist“, sagt sie.

Treffen dieser Art haben an Toleranz gewonnen

Redet miteinander, sei es am Arbeitsplatz oder anderswo, und schon ist die Bedeutung religiöser oder ideologischer Dogmen vergessen! Ist es immer so einfach? Leider nicht. Das wird deutlich, als die Gesprächsteilnehmer von Diskriminierungserfahrungen berichten. Als schwuler Lehrer in einer Brennpunktschule begegne er vielen muslimischen Migranten. Jeden Tag sogar. Auf dem Pausenhof höre er dabei häufig den Ruf „Du Schwuchtel!“, berichtet ein vielleicht 40 Jahre alter Stammgast des Sonntags-Clubs. Eine Muslimin sagt, dass sie wegen ihres Kopftuchs „so im Schnitt ein- bis zweimal pro Monat“ beleidigt werde – vor allem wenn sich ein Terroranschlag ereignet habe.

Geteiltes Leid ist halbes Leid: Die Erfahrung, als Mitglied einer vermeintlich „nicht normalen“ oder als bedrohlich empfundenen Minderheit beleidigt, bedroht oder gar geschlagen zu werden, eint die LGBTI-Community mit vielen Muslimen. „Sorgen vor Minderheiten sind ja verständlich“, sagt ein muslimischer Mann. „Was ich nicht mag, ist, wenn man sich auf dieser Sorge ausruht und gar nicht erst versucht, mit den anderen ins Gespräch zu kommen.“

Gott hat die Menschen, die „Völker“ und „Stämme“, geschaffen, damit sie einander kennenlernen. So steht es im Koran. Doch an den Sinn dieser Worte darf man wohl auch glauben, wenn man kein Muslim ist. Bernhard Heider jedenfalls glaubt daran. Als Geschäftsführer des Vereins Leadership Berlin hat er mittlerweile viele Begegnungen von Muslimen mit Schwulen und Lesben organisiert. Die ersten Treffen vor einigen Jahren hätten für viel Aufregung gesorgt, erzählt er. Eine der ersten Veranstaltungen in einer Moschee habe man nach Protesten verschieben müssen. „Heute berichten mir Imame, dass sich darüber kaum noch jemand aufregt“, sagt Heider. Und: „Wir sollten lernen, bei allen Schwierigkeiten auch die positiven Entwicklungen zu sehen.“

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