Zwölf Kinder besuchen die Willkommensklasse der Hans-Fallada-Grundschule in Neukölln. Sie heißen Maria, Rebecca, Ligia, Abel oder Emanuele. Sie sind sechs oder sieben Jahre alt und stammen alle aus Roma-Familien. Als sie Anfang des Schuljahrs in diese spezielle Klasse aufgenommen wurden, konnten sie kein Deutsch. Sie wussten nicht, wie man eine Schere oder einen Stift halten muss, soziale Regeln waren ihnen fremd.
Inzwischen ist das anders. Die meisten haben lesen und schreiben gelernt, den Umgang mit Zahlen und auch, wie man sich in einer Gruppe verhalten sollte. Im kommenden Schuljahr können sie deshalb in die Regelklassen der Schule wechseln. Besonderen Sprachunterricht haben sie dann nur noch stundenweise.
Draghici Damian, Roma-Beauftragter der rumänischen Regierung, lächelt, als er hört, was die Kinder schon alles gelernt haben. Er ist heute zu Besuch in der Willkommensklasse. Die Kinder begrüßen ihn höflich mit einem deutschen „Guten Tag“. Dann unterhält er sich mit ihnen in ihrer Muttersprache. Begeistert reden alle durcheinander. Es gehe ihnen gut, versichern die Kinder dem Politiker und erzählen stolz, dass sie jeden Tag zur Schule gehen.
Unterstützung durch Sprachmittler
Neuköllns Bildungsstadträtin Franziska Giffey (SPD) hat den Roma-Beauftragten Damian in die Hans-Fallada-Grundschule eingeladen. Er soll sich vor Ort davon überzeugen, was Neukölln für die Bildung der Roma-Kinder tut, aber auch, welche Probleme es gibt.
Inzwischen sind mehr als 800 Kinder aus Rumänien und Bulgarien an den Schulen des Bezirks, die meisten von ihnen Roma. Giffey ist überzeugt, dass noch viel mehr Roma-Kinder in Neukölln leben. „Wir haben viele Kinder, die nirgendwo gemeldet sind. Nur durch Zufall entdecken wir immer wieder einige von ihnen.“
Auch in anderen Berliner Bezirken nimmt die Zahl der Roma-Schüler zu. Laut Bildungsverwaltung waren im Schuljahr 2011/12 an den Schulen 713 Schüler mit bulgarischer und 496 Schüler mit rumänischer Herkunft gemeldet. Zu Beginn des laufenden Schuljahrs stiegen diese Zahlen auf 1004 bulgarische und 694 rumänische Schüler. 200 zusätzliche Lehrerkräfte wurden seit 2011 eingestellt.
Auch die Zahl der Willkommensklassen ist von 61 auf 183 gewachsen. Im April dieses Jahres hat Berlin einen Aktionsplan zur Einbeziehung ausländischer Roma verabschiedet. In dem Plan sind verschiedene Ziele zur Integration der Roma festgelegt, darunter auch die Verbesserung von Bildungs- und Ausbildungschancen für Kinder und Jugendliche.
An der Fallada-Grundschule lernen gegenwärtig 90 Roma-Kinder. Neben den Schülern aus der Türkei und arabischen Ländern sind sie mittlerweile die drittgrößte Gruppe. Schulleiter Carsten Paeprer sagt, dass die Integration dieser Kinder vor allem deshalb klappt, weil inzwischen drei Sprachmittler und zwei rumänische Erzieher die Arbeit der Lehrer unterstützen.
Auch die Zusammenarbeit mit den Eltern habe auf diese Weise verbessert werden können. Ein großes Problem sei allerdings der Umgang der Kinder untereinander. Türkische und arabische Kinder würden die Roma-Kinder ausgrenzen und versuchen, sich als die Stärkeren zu positionieren.
Der Zuzug von Roma-Familien nach Neukölln ist ungebrochen. „Seit Januar haben wir weitere 68 Kinder aufgenommen“, sagt Stadträtin Giffey. Jeden Monat müsse sie eine neue Willkommensklasse aufmachen. Sie geht davon aus, dass noch mehr Menschen aus Rumänien und Bulgarien kommen werden, wenn von 2014 an Arbeitserleichterungen für EU-Bürger gelten. „Wir müssen uns darauf vorbereiten“, sagt sie.
Giffey ist kürzlich nach Rumänien gereist. Sie wollte sehen, wie die Roma dort leben. „Wir können uns zwar hier an den Schulen ein Bild machen, doch den anderen Teil dieses Bildes können wir nur in Rumänien sehen“, sagt die Bildungsstadträtin. Man müsse aber beide Teile des Bildes kennen, um die Lage richtig einschätzen zu können.
Bei ihrem Besuch in Rumäniens Hauptstadt Bukarest und deren Umgebung hat sich Giffey auch dafür interessiert, wie der rumänische Staat mit den Roma umgeht, ob europäische Hilfen in Anspruch genommen und warum viele Fördergelder nicht abgerufen werden. Diese Fragen will sie nun auch mit Draghici Damian besprechen. Der betont bei seinem Besuch an der Hans-Fallada-Schule, dass die Situation der Roma in Rumänien verbessert werden muss. „Es ist nicht gut für die Zukunft unseres Landes, wenn noch mehr Menschen abwandern.“
Hilfen vor Ort notwendig
Franziska Giffey erzählt, dass sie ein Dorf in der Nähe von Bukarest besucht hat. Dort gebe es eine nette kleine Grundschule. „In einer Klasse waren 20 Plätze leer. Wie sich herausstellte, sind die fehlenden Kinder alle hier an der Fallada-Grundschule.“ Die Lehrerinnen dort hätten sie gefragt wie es ihren Schülern in Neukölln gehe, ob sie zurechtkämen, was sie lernten. „Sie waren sehr besorgt und auch traurig, dass so viele Kinder mit ihren Familien nach Deutschland gezogen sind“, sagt Giffey.
Die Stadträtin bezeichnet die Lage in Rumänien als sehr ambivalent. Die Schere zwischen Arm und Reich sei groß. Die meisten Roma gehörten zur ärmeren Schicht der Bevölkerung und würden stark diskriminiert. Solange sich daran nichts ändert, würden die Leute das Land verlassen, sagt Giffey. „Es ist egal, ob wir hier in Deutschland spezielle Programme für sie auflegen oder nicht, sie kommen auf jeden Fall, weil sie hier bessere Chancen für ihre Kinder sehen.“
Rumänien und Deutschland müssten gemeinsam etwas dafür tun, die Situation der Roma in ihren Heimatländern zu verändern, sagt Giffey. „Aber Neukölln allein kann das nicht leisten, das muss auf Bundesebene geschehen.“