Modellprojekt

Günstiger Wohnen: Ein Leuchtturmprojekt für mehr Wohnraum

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Birgit Lotze
Kleine Privatwohnungen, viel geteilte Fläche: Mehr als Hundert Menschen sollen in das Gebäude an der Ecke Gotenburger- und Prinzenstraße einziehen.

Kleine Privatwohnungen, viel geteilte Fläche: Mehr als Hundert Menschen sollen in das Gebäude an der Ecke Gotenburger- und Prinzenstraße einziehen.

Foto: anne lampen architekten / oh

In Wedding mieten sieben soziale Träger gemeinsam ein Haus, um Wohnen günstig zu machen – ein Modell für ganz Berlin?

Berlin.  Ist Wohn- und Gewerberaum knapp, wie in Berlin, stehen auch gemeinnützige soziale Träger vor großen Herausforderungen. Vor allem, wenn sie Wohnungen für Menschen benötigen, die betreut werden müssen. An der Gotenburger Straße im Soldiner Kiez in Wedding entsteht unter der Regie des landeseigenen Wohnungsunternehmens Degewo ein Gebäude, das als Modellprojekt für Berlin dienen könnte, um bezahlbare und bedarfsgerechte Wohnungen für Menschen mit Beeinträchtigungen zu schaffen.

Noch ist es im Rohbau. Mehr als 100 Menschen – mit ganz unterschiedlichen Problemlagen – sollen dort auf mehr als 3000 Quadratmetern künftig wohnen. Für das Projekt haben sich sieben soziale Träger unter dem Dach der Kiezquartier GmbH zusammengetan, darunter die Vereine Berliner Starthilfe, Prowo und Lebenswelten. Ziel ist es, den Raum möglichst optimal auszunutzen, ohne dass sich die Organisationen und vor allem die Menschen, die betreut werden, gegenseitig im Weg stehen.

Durch Zusammenarbeit den Auswüchsen des überhitzten Marktes entgegenstellen

In einem Zelt im künftigen Garten des Gebäudes haben sich am Freitag rund 70 Menschen auf einer Fachtagung versammelt, auf der Zukunftsmodelle diskutiert und das Gebäude vorgestellt wurde. Das Zauberwort, hieß es, sei Zusammenarbeit. Sie schütze vor den Auswüchsen eines überhitzten Marktes. Eine bislang in Berlin einzigartige gemeinsame Offensive von Politik, Wohnungsunternehmen und sozialen Organisationen hätte ein Leuchtturmprojekt an der Gotenburgerstraße möglich gemacht. Darauf müsse man aufbauen, die kooperative Zusammenarbeit fortsetzen. Wie Bausenator Christian Gaebler (SPD), einer der Teilnehmer auf dem Podium, sagte, sie sei im Modellprojekt erfolgreich erprobt worden und solle nun verbessert und verstetigt werden.

Im Rohbau erkennt man Gemeinschaftsflächen wie Küchen und Aufenthalts- sowie Besprechungsräume, die sich teils mehrere Träger teilen. Das senke nicht nur die Baukosten, sondern stärke auch den integrativen Aspekt des Projektes, sagte Stefan Lutz, Geschäftsführer von Kiezquartier GmbH bei einem Rundgang durchs Haus. Kiezquartier koordiniert die Träger. Um auch Distanzen schaffen zu können – Lutz nannte Gruppen mit Cleananspruch, also auf Vollentzug, als Beispiel – wurde das Gebäude mit zwei Treppenhäusern konzipiert.

Ein neuer sozialer Brennpunkt soll vermieden werden

Björn Hammer, Teamleiter Projektrealisierung bei Degewo, wies beim Rundgang darauf hin, dass man einen sozialen Brennpunkt unter allen Umständen vermeiden wollte. Stefan Lutz berichtete, dass die sozialen Träger anfangs sehr skeptisch gewesen seien, man habe viel um das optimale Raumprogramm gerungen, sagte Lutz.

Durch die vielen verschiedenen Grundrisse sieht jede Etage anders aus, die sieben Träger hätten in Workshops einen „Maßanzug“ konzipiert, wie es auf der Tagung hieß. Natürlich sei alles barrierefrei, jedoch auch unter diesem Aspekt unterschiedlich. Ein psychisch Erkrankter benötige eine andere Gestaltung als ein Rollstuhlfahrer, zum Beispiel Rückzugsräume.

In den oberen Etagen des Modellprojekts setzt man auf sogenannte Cluster-Wohnungen, kleine Appartements mit Küchenzeile. Küche und Bad werden gemeinsam genutzt. Eine Mutter-Kind-Einrichtung in einem der unteren Stockwerke besteht aus kleinen Appartements mit jeweils zwei Zimmern und einer kleinen Kochnische. Jeweils zwei Mütter und ihre Kinder teilen sich ein Bad.

58 Wohnungen und WGs für mehr als 100 Menschen

Insgesamt sind in dem fünf- bis siebenstöckigen Neubau der Architektin Anne Lampen 47 Wohnungen mit einem Zimmer und elf Wohngemeinschaften mit zwei bis neun Zimmern vorgesehen. Angegliedert sind eine Kita mit 60 Plätzen und Spielplatz und eine Produktionsschule für schuldistanzierte Jugendliche.

14,7 Millionen Euro wurden für den Bau ausgegeben. 3000 Euro pro Quadratmeter. Das sei viel, sagt Rainer Uhlig, der das Projekt für Degewo betreut. „Doch dann wieder angemessen.“ Das Generalmieter-Modell habe ja Vorteile: „Hätten wir sieben Mietverträge, hätte jeder Träger eigene Aufenthalts- und Besprechungsräume beansprucht. Jetzt haben Sie auf den Fluren schöne Räume etabliert – komplett verglast und offen.“ Generalmieter Kiezquartier hat einen Vertrag über 50 Jahre unterschrieben. „Das Maximum an Perspektive“, sagte Stefan Lutz. „Aber es muss langfristig funktionieren.“

2014 war das Projekt praktisch aus der Not geboren: Auch da schon fehlte es an Räumen. Im September 2022 war Spatenstich. So lange dauerte die Abstimmung der Träger untereinander. Auch mussten erst die Bedarfe in Wedding festgestellt werden – um diese tatsächlich zu erfüllen, hätte man aber ein Hochhaus bauen müssen, hieß es am Rande der Veranstaltung. Zunächst war nicht klar, welche Gesellschaftsform die beste ist. Und es dauerte lange, bis das Grundstück an der Ecke Gotenburger- und Prinzenstraße, früher ein beliebter Bauwagen-Spielplatz und Vorhaltefläche für einen Schulneubau, unter Dach und Fach war.

Modell Gotenburger Straße soll Schule machen

Bei der Fachtagung im Rohbau wurde herausgestellt, dass das Modell Gotenburger Straße Schule machen sollte, möglichst in jedem Bezirk solle ein solches Sozialhaus Platz bekommen. Jede der landeseigenen Wohnungsgesellschaften solle mindestens ein solches Projekt schaffen. Ein Nachfolgeprojekt ist bereits in Gang gesetzt: Degewo setzt die gewonnenen Erfahrungen am Bohnsdorfer Weg in Treptow-Köpenick ein und will auch künftig solche Projekte mitentwickeln.

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