Berlin. Gleich hinter dem Hauptbahnhof, in der Grünanlage neben der Gedenkstätte „Ehemaliges Zellengefängnis Moabit“, haben obdachlose Menschen ein wildes Lager entwickelt. 2018 tauchten dort die ersten Zelte auf, zuerst nur im Sommer. Mittlerweile stehen dort auch kleine Holzhütten.
Es ist ein eher unwirtlicher Ort, eben dort, wo die Autos aus dem Tiergarten-Tunnel an die Oberfläche drängen. Die Bewohner des Camps haben sich einen Platz ausgesucht, an dem Berliner eher selten vorbeikommen. Es gibt wenige Anwohner, ein paar Büromitarbeiter verbringen hier ihre Mittagspause, ansonsten kommt, besucht er nicht gezielt die Gedenkstätte, kaum jemand vorbei.
Spaziergänger melden Müll und Ratten
Rund 25 Männer, Frauen und Kinder haben sich dort Verschläge gebaut, damit sie zumindest ein Dach über dem Kopf haben. Sie bleiben meist nur vorübergehend, mal sind es mehr, mal weniger. Spaziergänger beschweren sich hin und wieder über den Müll, auch Ratten seien gesehen worden. Im Februar hatte es dort sogar gebrannt.
Im Bezirksamt Mitte hat man längst reagiert. Nicht nur, dass Arbeiter des Straßen- und Grünflächenamts dort dreimal in der Woche den Müll abholen. In dieser Woche ist der für Soziales zuständige Stadtrat damit beauftragt, „so schnell wie möglich geeignete Unterbringungsmöglichkeiten im Bezirk zu identifizieren“.
Man wolle den im Camp lebenden Menschen Unterkünfte anbieten, in denen sie möglichst in ihren Familienverbänden zusammenleben können, heißt es im Bezirksamt. „Wir haben insbesondere das Wohl der in dem Camp befindlichen Kinder im Blick, denen wir eine sichere Umgebung in geschützten Räumen anbieten müssen.“
Es ist nicht der erste Vorstoß des Bezirksamts. Mitarbeitende der Mobilen Sozialberatung des Sozialamtes sowie Vereinen wie „Gangway“ waren in der Vergangenheit regelmäßig mit den Bewohnern und Bewohnerinnen im Kontakt. Sie kamen mit Dolmetschern und dem Verein „Mingru Jipen“, der die Emanzipation und Integration von in Berlin neu ankommenden oder hier lebenden Roma und Sinti unterstützt.
Bewohner lehnen Hilfe ab
Doch weiter kam man nicht. Die Bewohnerinnen und Bewohner hätten alle ihnen unterbreiteten Angebote zur Unterbringung oder zur Leistungsbeantragung abgelehnt. „Aufgrund mangelnder Kooperationsbereitschaft endete die Zusammenarbeit“, heißt es trocken im Bericht des Sozialamts.
Tagsüber unter der Woche ist das Camp leer, die Bewohner sind an ihren Arbeitsstätten. Am Wochenende kommt Leben hinein, die Parkbänke sind belegt, vor allem derzeit, bei den ersten wärmeren Sonnenstrahlen. Fragt man bei den Bewohnern nach, ob sie hier, im öffentlichen Park, völlig unbehelligt Feuer machen und wohnen können, stößt man auf kritische Distanz, gemischt mit Misstrauen. „Hier okay“, antwortet ein Bewohner bestimmt. „Hier okay.“
Inzwischen ist im Bezirk Mitte nicht mehr nur das Sozialamt gefragt. Eine erste ämterübergreifende Abstimmungsrunde hat stattgefunden, mit Teilnehmenden aus dem Straßen- und Grünflächenamt, dem Ordnungsamt, dem Amt für Soziales, dem Jugendamt, der bezirklichen Präventionskoordination sowie der Bezirksbeauftragten für Partizipation und Integration.
Versuche in der Stadtmission
Im Sommer 2021 war der Gruppe angeboten worden, in einer Einrichtung der Berliner Stadtmission unterzukommen, die durchgehend geöffnet war, zu jeder Uhrzeit betreten und verlassen werden konnte. Manche hatten dieses Angebot angenommen.
In der Einrichtung hatte ihnen die Arbeiterwohlfahrt (AWO) verschiedene Angebote gemacht, darunter Sprachkurse, dem Beantragten von Dokumenten, der Arbeitssuche, vor allem aber dabei, eine betreute Unterkunft zu finden und die Kinder in die Schule zu schicken.
Das Fazit von AWO und Stadtmission: „Die Betroffenen waren nicht bereit, sich auf diese Angebote einzulassen. Unserer Einschätzung nach überwiegt der Wunsch nach Freizügigkeit im Wechsel zwischen Rumänien und Deutschland zum Zwecke des Geldverdienens.“
Neukölln kürzt Weg zur Räumung mit Verbotszonen ab
Andere Bezirke wollen inzwischen – weil die Zahl der Camps zunehme – kürzere Wege gehen. Neukölln hat kürzlich einen „Leitfaden für den Umgang mit Obdachlosigkeit im öffentlichen Raum“ veröffentlicht. Darin sind – neben Maßnahmen zur Selbstverpflichtung des Bezirks zur Hilfe – erstmals auch Verbotszonen definiert, an denen solche Lager nicht mehr geduldet werden sollen: auf Spielplätzen, im Umfeld von Kitas und Schulen, in Grünanlagen und Friedhöfen. Die zweckwidrige Nutzung sei dort „in der Regel unverzüglich zu beenden“, heißt es dort.
Bezirk Mitte kündigt indirekt Räumung an – für Baumaßnahmen
Doch auch das Bezirksamt Mitte wird – ohne Verbotszonen – vermutlich bald räumen, auch wenn man es dort nicht ankündigt und zunächst Sozialstadtrat Carsten Spallek (CDU) auf die Suche nach einer Unterkunft geht. Geplant sei, die Bewohner und Bewohnerinnen bis Mai alternativ unterzubringen. Dann, im Mai, seien auf dem Gelände zusätzliche Baumaßnahmen geplant.
Man halte es für eine „moralische Verpflichtung“, die Menschen davon „zu überzeugen, dass der Umzug in eine Unterkunft für alle Beteiligten die lebenswertere und vernünftigere Alternative sei“ als das gefährliche Leben auf der Straße. Das Bezirksamt habe aber auch die Verpflichtung, Sicherheit im öffentlichen Raum zu gewährleisten und gesundheitliche Gefahren abzuwehren, „die sich zum Beispiel aus unhaltbaren Hygienebedingungen ergeben“. Auch widerspreche die Nutzung der Grünanlage als wildes Lager dem Grünanlagengesetz.
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