Sanierung und Verdrängung

Gentrifizierung: Bieterkampf um ein Haus in Kreuzberg

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Martin Nejezchleba
Reinhard Karst (l.) und Michael Baute wohnen beide schon seit Langem in dem Eckhaus

Reinhard Karst (l.) und Michael Baute wohnen beide schon seit Langem in dem Eckhaus

Foto: Reto Klar / REto Klar

An diesem Donnerstag wurde wieder ein Mietshaus versteigert. Das Mindestgebot: 5,2 Millionen Euro. Die Mieter fürchten Verdrängung.

Berlin. Dass das Haus, in dem Reinhard Karst seit 31 Jahren wohnt, verkauft wird, davon hat er durch die Wand seiner Küche erfahren. Er hört jedes Wort seiner Nachbarn, daran hat sich Karst gewöhnt. Auch an den Schimmel. Und die Kälte. Gegen die kann der Kohleofen im Winter nur wenig ausrichten. Aber was er da aus seiner Nachbarswohnung hört, daran will sich Karst nicht gewöhnen.

Sie reden über das, was sie schon von so vielen Häusern in Kreuzberg gehört haben. Über Luxussanierungen und über Investoren, die die Altmieter so lange mit Presslufthämmern, Baugerüsten und Anwälten nerven, bis sie aufgeben, Platz machen für höhere Mieten und mehr Rendite.

Auslöser für die Aufregung ist der Katalog der Deutschen Grundstücksauktionen AG. Am Donnerstag werden mehrere Immobilien versteigert. Als Nummer 26 wird aufgerufen: „Attraktiver Altbau. Baujahr ca. 1898 als Eckvorderhaus mit imposantem Eckturm“. Es ist das Haus Muskauer Straße/Ecke Eisenbahnstraße, in dem Karst und rund 80 weitere Kreuzberger wohnen: Handwerker, Hartz-IV-Empfänger, Richter und Ingenieure, Alleinerziehende und Familien. Altersspanne: ein bis 87 Jahre. „Nicht durchgreifend saniert“, steht im Katalog. Und: „Hier ist der Mythos Kreuzberg mit seinem multikulturellen Zusammenleben und einer Mischung aus Gastronomie, Kreativgewerbe und Wohnen anzutreffen. Trend zum Zuzug einkommensstarker Haushalte.“ Mindestgebot: 5,2 Millionen Euro.

„Jetzt wollt ihr uns verjagen? Nicht mit uns“

Reinhard Karst, ein 57 Jahre alter, kantiger Mann mit abgewetzten schwarzen Jeans, der sein Geld mit einem Teilzeitjob bei der Post verdient und sonst „ziemlich viel schreibt und liest“, er sagt: „Wir Kreuzberger haben den Kiez attraktiv gemacht. Wir haben das hier aufgebaut, jetzt wollt ihr uns verjagen? Nicht mit uns.“ Er will bleiben. SO36, das ist für Karst Heimat. Und dann ist da noch die Miete: Für 60 Quadratmeter, direkt gegenüber der Markthalle 9, zahlt Karst 240 Euro.

Seit klar ist, was der Eigentümer mit ihrem Haus vor hat, haben sich die Mieter den Kampfnamen „Mietergemeinschaft 3-2-10“ gegeben. Das steht für die drei Hausnummern des Eckhauses. Sie haben dem Eigentümer, eine Erbengemeinschaft um einen gewissen Anton Gericke, geschrieben, um ein Treffen gebeten. Sie haben bunte Banner mit Aufschriften wie „Starke Mieter bleiben“ an die grauen Balkone gehängt, sie haben konferiert und protestiert. Ihre größte Hoffnung aber heißt Florian Schmidt.

Der Grünen-Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg hat sich zu so etwas wie dem Robin Hood des Kreuzberger Immobilienmarkts gemausert. Er nimmt den Immobilienspekulanten und gibt den landeseigenen Wohnungsunternehmen. So sehen das seine Unterstützer. Seine Waffe: das Vorkaufsrecht. Stark vereinfacht ermöglicht es den Berliner Bezirken, den Verkauf von Immobilien zu stoppen, wenn durch einen hohen Kaufpreis die Verdrängung von Mietern aus einem Milieuschutzgebiet droht. Um ein landeseigenes Wohnungsunternehmen zu einem Kauf zu bewegen, kann der Bezirk einen Zuschuss durch den Senat vermitteln.

Schmidt sagt Sätze wie diese: „Wir kaufen uns die Stadt zurück.“ Oder: „Wir bekämpfen den Raubtiermarkt.“ In einem Schreiben bittet er den Interessenten am Kreuzberger Haus um Verständnis dafür, dass er „den Kauf unter den Bedingungen der Auktion nicht empfehlen kann“. Denn, so das Argument, bei einem Einstiegspreis, der die Jahresmiete 27 Mal übersteigt, sei eine sozialverträgliche Bewirtschaftung des Hauses kaum möglich.

Mieten: Berlin ist für Normalverdiener kaum noch bezahlbar
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Schmidt ist der „Ankaufkönig von Berlin“

Elf Mal – und damit öfter als jeder andere Baustadtrat – hat Schmidt bereits vom Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht. Sein Kollege in Mitte, Ephraim Gothe (SPD), nennt Schmidt den „Ankaufkönig von Berlin“. Auch Gothe bereitet gerade den Vorkauf eines Mietshauses in Wedding vor. Neukölln und Tempelhof-Schöneberg haben schon angekauft. Die Senatsverwaltung für Wirtschaft entwickelt ein zentralisiertes Monitoring der Ankäufe in dem Bezirken vor, will sie vermehrt unterstützen. Das Modell von Florian Schmidt macht Schule – und erntet viel Kritik.

Eine Turnhalle in einem Friedrichshainer Hinterhof. Das Stadtteilbüro hat zu einer Diskussion zum Thema Vorkaufsrecht geladen. Rund 30 Gäste sind da, Aktivisten und Politiker, sie reden über „Instrumente zur Sicherung von bezahlbarem Wohnraum“. Über eine Leinwand flimmern an einem späten Donnerstagabend Paragrafen und Gesetzesauszüge.

Die Gäste haben einen Halbkreis gebildet. In der Mitte: Florian Schmidt. Er ermuntert die Zuhörer, auf die Bezirksverwaltung zuzukommen, sollten sie von spekulativen Verkäufen erfahren. Er verspricht, hartnäckig zu bleiben, und erzählt, wie er den Immobilienmarkt verschreckt hat: „In Kreuzberg kauft fast keiner mehr. Da bin ich ja fast schon enttäuscht.“

In die Runde haben sich auch zwei junge FDP-Mitglieder gemischt und rufen dem Baustadtrat abwechselnd die Kritikpunkte an der Vorkaufspraxis zu. Sie lassen sich so zusammenfassen: Es sei völlig unklar, ob beim Ankauf eines Hauses wirklich sozial Schwache geschützt werden. Denn bei dem Verfahren spiele es keine Rolle, ob die Bewohner Geld für höhere Mieten haben. Beim Vorkauf werde viel Geld ausgegeben, das besser im Wohnungsbau aufgehoben wäre. Denn: Wenn Berlin mehr Wohnungen habe, entspanne sich auch der Markt.

Eine Handvoll Häuser zu kaufen, die noch dazu von früheren Senatsregierungen privatisiert wurden, sei ein Tropfen auf den heißen Stein. Ein Vorkauf in Tempelhof-Schöneberg, der durch Verkäufer vor Gericht gekippt wurde, zeige: Es ist fraglich, ob das Modell rechtens ist. Und: Warum sollte der Steuerzahler dafür aufkommen, dass die Mieten für ein paar Kreuzberger weiter niedrig bleiben, während zugezogene Familien für teureren Wohnraum an den Stadtrand müssen?

Der Bezirk will ein Zeichen gegen Spekulation setzen

Schmidt hat auf alles eine Antwort. Die auf den letzten Punkt ist ihm aber besonders wichtig. Sie lautet so: „Wir schießen den Markt frei für gemeinnützige Wohnbewirtschaftung.“ Denn man wolle nicht den Verkauf von Immobilien stoppen. Man wolle ein Zeichen setzen. Mietspekulation werde man in Berlin in Zukunft nicht dulden. „Wir kühlen hier einen überhitzten Immobilienmarkt ab, das kommt letztlich allen zugute.“

Die Kritikpunkte der FDP teilt der Immobilienverband. Und Dirk Wohltorf vom Berliner Regionalverband fügt noch einen hinzu. Jeder habe das Recht, sein Eigentum zu Marktpreisen zu verkaufen. „Es wird davon ausgegangen, dass Wohnungseigentümer per se böse Heuschrecken sind.“ Anton Gericke zumindest klingt nicht wie eine.

Er ist Teil der Erbengemeinschaft, die jetzt das Eckhaus in Kreuzberg versteigern lässt. Gericke ist ein alter Mann und wohl nur zum Teil für die Verkaufsstrategie verantwortlich. Aber am Telefon klingt er nicht wie jemand, der den eigenen Profit über alles stellt. Er spricht leise, ab und zu bricht die Stimme. „Ich habe das Grundstück seit 60 Jahren, mir tut das alles leid“, sagt Gericke. Man möchte ihm glauben. Auch, dass er hoch verschuldet ist, seine Schwester kürzlich verstorben ist. „Ich muss verkaufen, mir bleibt gar nichts anderes übrig“, sagt Gericke.

Warum ihn der Bezirk jetzt um sein Geld bringen will, das versteht er nicht. Mehr will er nicht sagen. Und so bleibt unklar, warum er auf die Gesprächsangebote der Mieter nicht eingegangen ist. Warum er gerade den Weg der Versteigerung wählt. Denn wird der Meistbietende nicht auch am meisten Rendite aus dem Haus holen wollen?

Der Stadtsoziologe Sigmar Gude vom Planungsbüro Topos sagt: Der Kaufpreis ist viel zu hoch für sozial verträgliche Mietpreise. Das Vorkaufsrecht hält er für eine gute Waffe gegen Verdrängung. Aber: Das reicht nicht. Nur Neubau könne den Zuzug und damit auch den Druck auf die Mieter auffangen. Wenn der rot-rot-grüne Senat das nicht schaffe, müsse der Bund helfen.

Die Kreuzberger Mieter haben kurzfristigere Ziele. Heute demonstrieren sie gegen die Versteigerung. Das letzte Gebot dürfte die 5,2 Millionen Euro übersteigen. Florian Schmidt wird dann wohl mit einer niedrigeren Zahl aufwarten. Ein Gutachten für einen niedrigeren Verkehrswert ist längst in Arbeit.

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