Sie sagt, sie sei 51 Jahre alt. Wenn man ihr das glaubt, dann ist ihr Anblick eindeutiges Zeichen dafür, dass man spätestens jetzt mit dem Tanzen beginnen sollte. Denn Laura la Risa tanzt, seit sie denken kann, und sie sieht gut aus. Sehr sogar. Ja, ja, das haben schon viele über sie geschrieben, deshalb möchte die professionelle Flamenco-Tänzerin, die aus Andalusien kommt, das eigentlich auch nicht mehr lesen. Viel lieber spricht sie über den Karneval der Kulturen, der nur drei Jahre, nachdem sie nach Berlin kam, zum ersten Mal durch Kreuzbergs Straßen zog. Mit ihrer Tanzgruppe aus Laien „Ninãs y Flores“ ist sie seitdem mit dabei.
1996 war das. Damals war es so heiß draußen, dass die Feuerwehr die Leute der Karawane mit Wasser bespritzte. Sie erinnert sich: „Niemand hat sich da für sein Aussehen interessiert. Da ging es schlicht um das gemeinsame Feiern unter freiem Himmel. Und auch Sicherheit wurde da noch nicht so groß geschrieben wie heute“, sagt sie. „Vor 19 Jahren liefen inmitten der Parade Lamas und Pferde vom Bauernhof mit.“ Natürlich konnte das so nicht weitergehen. Irgendwann meldet sich nun mal immer der Senat und bittet um ein ausgearbeitetes Konzept, wenn die Veranstaltung nicht ohnehin verboten wird, bevor sie sich überhaupt etablieren kann.
Berlins Karneval der Kulturen als Reunion unter freiem Himmel
Die Idee damals war eine ganz einfache: gemeinsam, unprätentiös und unkommerziell zu Musik aus der ganzen Welt Spaß haben. Ungeachtet von Herkunft, Aussehen und Geschmack brachte das viele Menschen raus auf die Straße. Sie tanzten für Toleranz und Akzeptanz zwischen den Kulturen, die an einem Ort wie Berlin so friedlich zusammenleben. Ein Gedanke, der bis heute die Grundlage des Festes ist.
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Damals liefen natürlich viel kleinere Gruppen aus freien Künstlern durch Kreuzberg als heute. Und da gab es auch noch keine Caipirinhas, keine veganen Falafeln, keine Bio-Crêpes am Straßenrand. Mittlerweile ist das etwas anders. Spätis, die es damals noch nicht gab, machen vermutlich den besten Umsatz im ganzen Jahr während dieser Tage, und auch andere Händler profitieren von den durstigen und hungrigen Menschen.
Veränderung hin oder her, seither kann man sich also darauf verlassen, dass diese vier Tage am Pfingstwochenende einen Großteil der Berliner zusammenkommen lassen, in einer Stadt, in der sich normalerweise alles verläuft. Laura la Risa freut sich immer wieder darüber, dass sich bekannte Gesichter zum Karneval der Kulturen versammeln, ohne sich dafür verabredet zu haben. Das Fest ist für sie wie eine Reunion unter freiem Himmel.
La Risa unterrichtet in ihrer Tanzschule am Südstern
Menschen aus Dutzenden Kulturen kommen in diesen Tagen rund um den Blücherplatz zusammen, zeigen sich von ihrer schönsten, extrovertiertesten und dabei natürlich oftmals auch sämtliche Klischees bestätigenden Seite. Aber hier funktioniert das. Jeder zeigt, was er hat, während man dabei sein eigenes Spektrum Jahr für Jahr erweitern kann. Man wird sich wohl niemals daran sattsehen.
La Risa geht sogar über den Begriff des Kultur-Clashs hinaus und erweitert ihn hin zum allgemeinen Anderssein. Dabei setzt sie mit ihren Fingern das Wort in Anführungszeichen. „Denn eigentlich ist ja niemand wirklich anders, weil alle auf ihre Weise irgendwie anders sind, also individuell“, sagt sie.
Die Tanzlehrerin unterrichtet in ihrer Tanzschule „a compás“ am Südstern schon seit Jahren Flamenco. Zu ihr kommen behinderte wie gesunde Menschen im Alter zwischen zwei und 70 Jahren. Quer durch die Generationen und Charaktere zeigt sie, dass Rhythmus und Musik verbinden können. „Und der Kulturkarneval führt einem genau das mit fast malerischen Szenen so wunderschön vor“, sagt sie.
Als in Kreuzberg „Bolle“-Supermärkte angezündet wurden
Eine bunte Stadt wie Berlin müsse den Standard für ein tolerantes Miteinander halten. Leider würde das aber hier und da ganz leise, manchmal auch brachial, schwinden, sagt la Risa. Das sich verändernde Stadtbild führe einem das plakativ vor: alles werde angepasst und einander angeglichen. „Wieso bitteschön noch eine Shopping-Mall, die so austauschbar ist“, fragt sie. Sie erinnert sich an den 1. Mai 1987, als „Bolle“, ein großer Supermarkt, in Kreuzberg von Demonstranten angezündet und geplündert wurde. „Ich glaube, niemand wollte solche großen Ketten haben, die kleine Läden verdrängen“, sagt sie. Da habe man noch nicht gewusst, wie sich das alles entwickeln würde.
Mainstream, das findet la Risa unfassbar langweilig – auch bei Menschen. Sie brauche Impulse. Und die bekomme man nicht von einer homogenen Masse, sondern von Individuen, findet sie. Deshalb ist das Motto ihres Zugs, der am Sonntag vom Hermannplatz bis zur Möckernstraße ziehen wird, in diesem Jahr auch „Gegen die Einfarbigkeit“, was allerdings nicht zwingend politisch verstanden werden müsse.
20. Auflage des Karnevals der Kulturen
Viel wichtiger ist es ihr, den Karneval der Kulturen als eine Art Memo für die liebevolle und launige Fusion unterschiedlichster Menschen beizubehalten. Ein Zusammentreffen, das mischt, aber nicht Identitäten verwischt. Genau das mache Berlin für sie aus, vor allem, wenn sie auf andere Orte in der Welt blicke, in denen ein Farbenmeer wie hier nicht so selbstverständlich möglich sei.
Zum 20. Mal findet das Festival nun statt, obwohl es bereits im Winter vergangenen Jahres finanzielle Schwierigkeiten gab. Fast wäre die Veranstaltung geplatzt. Aber nichts da, dachten sich la Risa und die anderen Traditionalisten des Kulturkarnevals und verhandelten mit dem Senat über mehr Geld. Gerade bei einem Fest wie diesem dürfe Geld schließlich keine übergeordnete Rolle spielen. Immerhin hat es sich als unkommerzielle Veranstaltung etabliert und leistet Kulturarbeit.
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