Zwei Anschläge bringen im Kiez am Kottbusser Tor verschiedene Religionen zu einer gemeinsamen Stolperstein-Verlegung zusammen.
Wie setzt man Stolpersteine neu, die noch in der Nacht nach ihrer Verlegung vor einer Moschee verschwunden waren? Und wie gelingt das Gedenken, wenn an derselben Adresse wenig später ein Brandanschlag auf ebendiese Moschee verübt wurde? Zwei antireligiöse Taten, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, bringen am kommenden Freitag in Kreuzberg Religionen zusammen.
Dann sollen die Stolpersteine, die an das jüdische Ehepaar Moritz und Julia Katz erinnern, das im Holocaust zwei seiner Kinder verlor und selbst in letzter Minute 1939 nach Palästina fliehen konnte, in einer gemeinsamen Aktion des Friedrichshain-Kreuzberg Museums, der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA), der Türkischen Gemeinde, jüdischer Vertreter und mit Unterstützung der Mevlana-Moschee neu verlegt werden. Eine Stolpersteinverlegung als religionsübergreifende Manifestation hat es in Berlin noch nicht gegeben.
Die Vorgeschichte: Am 26. April 2014 verlegte Christiana Hoppe, im Bezirksmuseum zuständig für die Stolpersteinaktion, gemeinsam mit einem Katz-Enkel die Gedenksteine auf dem Gehweg vor dem Haus Skalitzer Straße 131, dem letzten Wohnsitz der Familie. Dort hat heute die Mevlana-Moschee ihren Sitz. Am nächsten Morgen waren die Steine verschwunden, die Lücken sauber verfüllt.
Bis heute ist die Tat nicht aufgeklärt
Ein Besuch des Museumsleiters Martin Düspohl in der Moschee brachte keine Erkenntnisse, dort hatte man nichts gehört und nichts gesehen. Die Museumsleute erstatteten Anzeige gegen Unbekannt. Auch ein Facebook-Aufruf half nicht weiter. Lediglich ein Bürger will am Nachmittag nach der Verlegung „eine Traube diskutierender Herren“ an den Steinen beobachtet haben. Bis heute ist die Tat nicht aufgeklärt.
Dass Stolpersteine einfach verschwinden, sei in Friedrichshain-Kreuzberg noch nicht vorgekommen, sagt Hoppe. „Wir haben im Bezirk etwa 700 Stolpersteine, die werden sonst hier in Ruhe gelassen.“ Sie könne sich nur an einen Fall vor einigen Jahren erinnern, als an der Graefestraße Stolpersteine beschmiert wurden. Eine Häufung solcher Vorfälle wie zuletzt in Friedenau, gebe es in Kreuzberg nicht.
Auch für Silvija Kavčič, Leiterin der Koordinierungsstelle Stolpersteine Berlin, ist die gezielte Beseitigung von Stolpersteinen ein Novum. „Sie verschwinden in Berlin sonst nur durch Bauarbeiten und werden meist schnell wieder ersetzt“, sagt sie. Zwar seien schon in einigen Bezirken Steine beschädigt oder beschmiert worden, aber angesichts der mehr als 6000 Stolpersteine in Berlin, passiere relativ wenig, sagt sie. Allerdings würden nicht alle Vorfälle gemeldet.
Stolpersteine werden ein zweites Mal verlegt
Das Kreuzberg-Museum wollte nun ein Zeichen setzen, ließ neue Steine herstellen und bat die KIgA um die Organisation der Neuverlegung. Diese will alle Religionsgemeinschaften ins Boot holen und die Steine in einer gemeinsamen Veranstaltung neu setzen. „Größtmögliche Öffentlichkeit ist der beste Schutz für die Steine“, hofft Christiana Hoppe und stellt klar, dass sich hier jegliche Schuldzuweisungen verbieten. Ein erster Termin am 7. August war wegen der Sommerferien und Arbeitsüberlastung schnell aufgegeben worden, und als dann am 11. August ein Brandanschlag auf die Mevlana-Moschee verübt wurde, gewann die Sache weitere Brisanz. Auch diese Attacke wurde bis heute nicht aufgeklärt.
Der Brandanschlag bestätigte die KIgA: „Wir wollten uns von Anfang an mit der Verlegung sowohl gegen Antisemitismus als auch gegen antimuslimischen Rassismus stellen und hier Stimmen versammeln, die den Dialog und die Gemeinsamkeit suchen“, sagt KIgA-Leiter Aycan Demirel, der mit seinem Verein seit zehn Jahren Bildungsprogramme zur Antisemitismusprävention in der Migrationsgesellschaft plant und durchführt. Für die Neu-Verlegung am Freitag (7. November 2014) um 15 Uhr hat Demirel Vertreter aller Parteien gewinnen können. Neben ihm will Bekir Yilmaz, der Präsident der Türkischen Gemeinde zu Berlin (TGB), sprechen sowie Stephan Kramer, der ehemalige Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland. Die Islamische Föderation Berlin, der die Mevlana-Moschee angehört, will einen Redner „auf Augenhöhe“ schicken. Auch die Synagogengemeinde Fraenkelufer hat ihre Teilnahme zugesagt. Prominenz aus dem Bezirksamt wird nicht erwartet. Die Bezirksbürgermeisterin ist wegen anderer Termine verhindert, nun ist die Vorsteherin der Bezirksverordnetenversammlung, Kristine Jaaht (B90/Grüne), angefragt.
Das alles dürfe eine demokratische Gesellschaft nicht dulden
Die TGB war schnell überzeugt, sie sollte auch mit den Vertretern des Moschee-Vereins verhandeln. „Wir hatten Ende September eine gemeinsame Veranstaltung mit der Polizei und der Jüdischen Gemeinde und haben da beschlossen, in Zukunft gemeinsam gegen Antisemitismus, Diskriminierung und Rassismus aufzutreten“, sagt TGB-Präsident Bekir Yilmaz. Dazu gehöre auch das Gedenken an die Menschen, die im Dritten Reich verfolgt wurden. Die gemeinsame Stolpersteinverlegung sei da eine logische Konsequenz.
„Wir haben gehört, dass dies schon der zweite Anlauf für diese Stolpersteine ist und wollen unsere Anteilnahme zeigen. Auch wir erleben heute antireligiöse Übergriffe, Ressentiments und Gewalt wie zuletzt in Köln, als Hooligans gegen Salafisten wüteten und alle Muslime meinten – auch wenn das nicht direkt zu vergleichen ist“, sagte Ilker Sezgin, Verwaltungsrat der Islamischen Föderation Berlin, zu der auch die Mevlana-Moschee gehört.
Auch Stephan Kramer hat seine Teilnahme bestätigt. Gemeinsame Gesten seien in solchen Situationen sehr wichtig und ein notwendiges Signal. „Zurzeit fühlen sich Juden durch gewalttätige Angriffe von muslimischen Jugendliche bedroht und auch die muslimischen Gemeinden sind verunsichert, weil sie sich seit einigen Monaten angesichts der politischen Konflikte auf der Welt verstärkt unter Generalverdacht gestellt sehen und selbst Ausgrenzung und Attacken erleben müssen“, so Kramer. Das alles dürfe eine demokratische Gesellschaft nicht dulden.
Und die Familie Katz? Ihre Geschichte will Christiana Hoppe am Freitag noch einmal erzählen. Der Enkel im fernen Kanada weiß von alledem, was zwischenzeitlich passiert ist, nichts. „Er hatte sich so sehr über die Verlegung der Stolpersteine gefreut, dass wir es nicht übers Herz brachten, ihm zu sagen, dass sie keine 24 Stunden dort lagen.“