Alles am Fluss

Mit der Wasserkutsche im Schneckentempo die Spree erkunden

| Lesedauer: 5 Minuten
Judith Luig

Foto: Sven Lambert

Knallbunte Hausboote im Miniformat: Eine „Wasserkutsche“ darf man ohne Führerschein steuern und die Kajüten bieten Platz für vier Personen. In zwei Tagen kann man bis zu fünf Berliner Seen erobern.

Das Glück liegt im Kleinen. Zwei mal sechs Meter, um genau zu sein. Größer sind die Ausmaße der „Wasserkutsche“ nicht. Aber wer braucht schon Größe, wenn er Weite haben kann.

Vom Sonnendeck dieses Einraum-Hausboots, von der Thaimatratze aus gesehen, gibt es nichts, was den Blick stören könnte. Oben Himmel, unten Wasser, mittendrin wir.

Es dauert keine zwei Stunden die Berliner Wasserstraße runter, bis sich das Elementargefühl einstellt. Die Landschaft zieht vorbei. Parks, Menschen am Ufer, eine Kirche, Ausflugslokale, Industriebrachen.

Warum zurück an Land? Wer schwimmen will, setzt einfach den Anker. Das Sonnendeck ist das Sprungbrett. Schlafen kann man auch an Bord, wenn man das Licht nicht anmacht, auch ohne Mücken. Wem es zu kalt wird, der kann die Heizung anschalten. Wasserkutschieren kann man also von April bis Oktober.

Parkett am Achterdeck

Die Wasserkutsche ist ein Hausboot, vier Mann passen in die Kajüte. Sogar Bettzeug gibt es. Wenn das Wetter schlecht ist, funktioniert man das Innenleben zum Wohnzimmer um. Es gibt einen Kühlschrank und eine Art Herd und eine kleine Einbauküche. Es gibt einen Tisch, und mit viel Fantasie sogar ein Musikzimmer, das man aber auch vorübergehend anderweitig nutzen kann, zum Beispiel, um die Toilette aufzustellen.

Außer den Elektrogeräten ist alles aus Holz und liebevoll zusammengeschnitzt. Am Achterdeck liegt sogar Parkett. Geschaffen hat das alles Jan Rademacher. Der „Admiral“ wie es auf seiner Visitenkarte steht.

Am Morgen treffen sich die Ausflügler zur Einführung am Anleger direkt hinter der Oberbaumbrücke in Friedrichshain-Kreuzberg. Drei Wasserkutschen, einmal rot, einmal grün, einmal gelb, leuchten im Wasser.

Ein Pärchen, zwei Freunde und eine kleine Gruppe wollen sich aufmachen, um Spree und See zu erkunden. Noch ist keiner erschienen. Erst mit einiger Verspätung taucht ein junger Mann mit Sonnenschirm auf. „Wir sind zu spät“, sagt er mit amerikanischem Akzent. „Ja“, sagt Jan Rademacher und schiebt seine Schirmmütze zurecht. Er ist nicht unbedingt ein Mann der großen Worte.

Amerikaner entwarf pedalbetriebenes Hausboot

„Wer am Wasser wohnt und kein Boot hat, der bricht sehr wahrscheinlich ein Naturgesetzt und ist sehr sicher ein Masochist“, schrieb der amerikanische Bootsbauer Philip Thiel. Aus dieser Idee heraus hat er ein pedalbetriebenes Hausboot entworfen. Damit die Menschen auf ihrem Boot auch leben können. Ein möglichst einfaches Leben. „Escargot“ – Schnecke – hat Thiel sein Bootsmodell genannt, weil es sich im Tempo dieses Tieres fortbewegt.

Und weil es die Lebenseinstellung ist, die sich auf jeden überträgt, der es steuert. Langsames, reduziertes, heiteres Vorwärtskommen. Thiel ist heute 96 Jahre alt, dass ein Berliner sein Konzept nach Deutschland importiert, hat ihm gefallen. Gerade ist Thiels Tochter mit einer Kutsche auf der Spree unterwegs. Mal testen, ob Jan Rademacher der Idee ihres Vaters auch gerecht wird.

Fahrbar ohne Führerschein

Jan Rademacher ist in Berlin geboren. Im Urban-Krankenhaus in Kreuzberg, also direkt am Wasser. Mit Berlins Kanälen und Wasserstraßen ist er aufgewachsen. Er hat ein Praktikum bei einer Reederei gemacht. Dann hat er Holzbootrestauration in Neuseeland gelernt.

Als er zurück kam, da fasste er denn Entschluss, etwas an dieser Stadt zu verändern. „Hier sind so viele elitäre Typen auf dem Wasser unterwegs, das hat mich gestört.“ Die Simplizität der „Escargot“ hat ihm gefallen. Nur hat er für die Spree den Linienriss verändert: Das Sonnendeck kam dazu, das Achterdeck wurde verlängert und statt des Fahrradantriebs hat Rademacher auf einen Elektromotor gesetzt. Fertig war die erste „Wasserkutsche“. Fahrbar ohne Führerschein. Hatte er Sorgen, dass sein Geschäftsmodell aufgeht? „Nein“, sagt Rademacher. „Ich habe immer gewusst, dass es klappt.“

Heute besteht Rademachers Flotte aus vier Booten. Ab 120 Euro am Tag kann man eine Wasserkutsche mieten, wenn man mehrere Tage unterwegs sein will. In zwei Tagen kann man fünf Seen erobern. Das wichtigste beim Fahren ist die Langsamkeit und dass man rechtzeitig plant, wie man ausweicht. „Vollbremsung ist nicht“, erklärt Rademacher. Es lohnt sich auch nicht. Wer volle Kraft voraus düsen will, der muss umso schneller anlegen und tanken. Wer nur sechs Kilometer pro Stunde fährt, kann zwölf Stunden durchhalten.

Am besten keine Unfälle bauen

Nach einer knappen halben Stunde, nachdem sie den Webeleinstek, einen Seemannsknoten, geübt und gelernt haben, was bei Unfällen zu beachten ist – „Man baut am besten erst gar keinen“ – stechen die Mannschaften auf in See.

2009 hat Rademacher hier, an der Schlesischen Straße, seine erste Kutsche zu Wasser gelassen. Seitdem hat sich die Gegend sehr verändert. In den Höfen wimmelt es von Start-ups, auf der anderen Seite des Flusses bauen die großen Konzerne. Neben Universal ist gerade Coca-Cola eingezogen, von dem Aufbruchs-Berlin ist hier nicht mehr viel zu spüren. „Wer das erleben will, der muss rausfahren. Mit der Wasserkutsche“, sagt Rademacher und lacht.

Schlesische Straße 28 in Berlin-Kreuzberg, Tel. (030) 12 09 47 19, www.wasserkutsche.com