Charlottenburg-Wilmersdorf. Es wird ernst auf dem Reemtsma-Areal in Schmargendorf. Bereits 2014 hatte Stephan Allner, Geschäftsführer der Wohnkompanie, das Gelände der ehemaligen Zigarettenfabrik gekauft, nachdem Reemtsma zwei Jahre zuvor die Zigaretten-Produktion eingestellt und ins Ausland verlagert hatte. Allners Pläne bergen große Chancen für den Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, in dem nicht nur bezahlbarer Wohnraum, sondern auch Raum für Gewerbe fehlt.
Seit vier Jahren sitzt das Architekturbüro Christoph Kohl an den Planungen für das Projekt mit dem Arbeitstitel „Go West“. Viele der Räume waren zwischenzeitlich vermietet: Oldtimer-Sammler nutzten sie als Garage für ihre Schätze. In einem anderen Winkel betrieb ein Caterer seine Küche. Ein Tonstudio nahm mit namhaften Schauspielern Hörbücher auf, Til Schweiger und Matthias Schweighöfer drehten dort ihren Kinohit „Vier gegen die Bank“. Jetzt ist nur noch die Filmschauspielschule Berlin in einem der Gebäude. „Wir freuen uns, dass wir bleiben können. Lage und Räume sind perfekt für uns“, sagt Schulleiter Norbert Ghafouri.
In diesem Jahr will die Wohnkompanie damit beginnen, das alte Hochregallager der Zigarettenfabrik zu entkernen. Nach den Entwürfen des Architekten Axthelm Rolvien wird daraus ein rudimentär belassener, aber spektakulärer „Start-Up-Inkubator“ mit großem Atrium und gläsernen Balkonen, der jungen Unternehmen die Gelegenheit bieten soll, zu fairen Preisen ihre Geschäftsmodelle zu entwickeln.
2021 sollen dort auch schon die ersten einziehen. Zeitgleich werden rund um das 24 Meter hohe Lager der früheren Zigaretten-Fabrik die alten Industriegebäude abgerissen. Ein Jahr hat Allner dafür einkalkuliert. Manche der gewaltigen Produktionshallen bleiben erhalten, genauso wie das ehemalige Bürogebäude, in dem auch die Wohnkompanie ihren Sitz hat. Ein Rechenzentrum versorgt die „Stadt in der Stadt“. Im Handwerkerhof, einer der alten Produktionshallen, werden mittelständische Betriebe und Manufakturen angesiedelt.
Wohnungen sind auf dem Areal nicht vorgesehen
Geben soll es aber auch edlere Adressen für etablierte Unternehmen und eine oder zwei Kitas, was Berufstätigen zugute kommen soll, die auf dem Gelände arbeiten. Inmitten des neuen Kreativquartiers plant Allner zudem einen Stadtplatz mit Wochenmarkt, Theater, Kino, kleinen Läden, Restaurants, Cafés und sogar einem Hotel. Tausende Menschen sollen täglich mit autonom fahrenden Elektrobussen zwischen dem U- und S-Bahnhof am Heidelberger Platz und der unterirdisch geführten Verkehrsschleife zum „Go West“ pendeln. Fertig sein soll alles bis 2025.
Wenn man auch noch auf dem Areal wohnen könnte, müsste man es kaum je verlassen, doch Wohnungen sind nicht vorgesehen. „Diese Diskussion können wir uns sparen. Das Land hat das Grundstück als Gewerbe- und Industriefläche gewidmet, und da kommt es auch nicht mehr raus“, so Baustadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne) bei der jüngsten Präsentation der Pläne. In den Gesprächsrunden und Workshops im Vorfeld galt es laut Schruoffeneger zu definieren, was 2030 Industrie noch bedeutet. „Ist es Industrie, wenn jemand am Schreibtisch sitzt und eine App entwickelt?“ Eine schwierige Debatte.
Diskutiert wurde nicht nur über das Nutzungskonzept, bei dem das Anliegen des Bezirks vor allem die Integration eines Handwerkerhofs war, sondern auch das städtebauliche Konzept. Dazu kündigte Schruoffeneger an: „Weil es jetzt zügig vorangehen soll, werden wir den Bau unstrittiger Gebäude nicht blockieren, aber parallel dazu das Bebauungsplanverfahren einleiten, mit öffentlicher Beteiligung und allen üblichen Regularien.“ „Go West“ auf dem Reemtsma-Gelände ist ein Projekt der Superlative. Mit 74.000 Quadratmetern Fläche ist das Grundstück am Stadtring zwischen Mecklenburgischer und Forckenbeckstraße größer als der Potsdamer Platz. Auf 185.000 Quadratmetern sollen 10.000 Arbeitsplätze entstehen.
Was wird Industrie im Jahr 2030 bedeuten?
Allner nennt indes auch Probleme, die die Entwicklung von „Go West“ mit sich bringt. „Die Fläche ist zu 97 Prozent versiegelt, es ist nicht leicht, die verlangten 80 Prozent Entsiegelung zu erreichen.“ Da künftig kein Regenwasser mehr in die Kanalisation abgeleitet werden darf, brauche es intensive Dachbegrünung. „Mit bis zu 60 Zentimetern Substrat auf den Dächern. Eine echte Herausforderung für die Statiker, aber auch eine Möglichkeit für Urban Gardening“, sagt Allner. Die Bürohäuser würden weitgehend mit Ziegeln gebaut, in Anlehnung an die „unverwüstlichen“ Berliner Gewerbehöfe. Ebenerdig sind nur Fußgänger, Radfahrer, Rettungsfahrzeuge und Taxis unterwegs, der Autoverkehr findet unterirdisch statt. Dort werden auch 2400 Parkplätze und Fahrradstellplätze sowie die Infrastruktur für E-Mobility angelegt.
„Junge Unternehmen sind das Kapital für unsere Zukunft“
Das Gelände der alten Zigarettenfabrik birgt eine Chance
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