Bei dem Polizeieinsatz nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz am 19. Dezember im vergangenen Jahr hat es schwerwiegende Versäumnisse gegeben. Das geht aus einem bisher unveröffentlichten polizeiinternen Bericht hervor, der der Berliner Morgenpost und dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) vorliegt. Die Berliner Polizei hatte demnach mehr als drei Stunden verstreichen lassen, bis sie die bei Terrorlagen vorgesehenen „Fahndungssofortmaßnahmen“ einleitete.
Die Einsatzkräfte suchten in dieser Zeit weder die Umgebung des Breitscheidplatzes ab, noch kontrollierten sie Fluchtwege auf Straßen oder Bahnstrecken. Der Attentäter Anis Amri konnte sich so frei in der Stadt bewegen und seine Flucht antreten. Thüringen, Bayern oder Brandenburg, sowie die Bundespolizei, leiteten laut Bericht früher Fahndungsmaßnahmen ein.
Ein Grund für das Versäumnis war laut Bericht die unzutreffende Klassifizierung der Lkw-Todesfahrt als „Verdacht Amoklage“. Spezialisten des Landeskriminalamtes seien früh von einem Anschlag ausgegangen. Die Polizeiführung ging aber erst am nächsten Morgen, 14 Stunden nach der Todesfahrt, vom „Verdacht des Anschlagsfalls“ aus. Beamte hatten zudem bereits eine halbe Stunde nach dem Anschlag einen Tatverdächtigen festgenommen. Weitere Suchen hielt die Polizeiführung offenbar nicht für notwendig. Der Festgenommene hatte mit dem Anschlag allerdings nichts zu tun und der wahre Attentäter, Anis Amri, war flüchtig und bewaffnet. Chaotisch lief auch die Organisation der Führungsverantwortung. In den ersten drei Stunden sei der Einsatz durch eine „ungeübte Führungsgruppe“ geleitet worden, deren Personalzusammensetzung „zufällig ausgewählt“ gewesen sei.
Der innenpolitische Sprecher der FDP, Marcel Luthe, forderte angesichts des „heillosen Durcheinanders“ indirekt den Rücktritt des Berliner Polizeipräsidenten Klaus Kandt. „Wenn die Aussagen zutreffen, ist die Führung der Berliner Polizei meines Erachtens nach nicht zu halten“, sagte Luthe.
„Es muss geklärt werden, wer die Verantwortung trägt“
Kritik äußerten auch Regierungsfraktionen. „Es muss geklärt werden, wer die Verantwortung trägt, dass man Amri sehenden Auges hat laufen lassen“, sagte die rechtspolitische Sprecherin der Grünen, Canan Bayram. Der Innenexperte der Linke, Hakan Tas, forderte, Kandt müsse sich im Amri-Untersuchungsausschuss erklären.
Aus der Innenverwaltung hieß es, der Bericht liege der Fachabteilung erst seit Freitag vor. Innensenator Andreas Geisel (SPD) habe er bisher nicht vorgelegen. „Wenn Fehler gemacht wurden, dürfen sie sich in Zukunft nicht wiederholen“, sagte Sprecher Martin Pallgen. Die Polizei teilte mit, die Kommission habe die Aufgabe gehabt, „schonungslos zu analysieren“. „Erfolgskritische Faktoren“ seien fokussiert betrachtet worden.

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