Berlin. So wie auf diesem Ölgemälde wird Berlin Daniel Barenboim in Erinnerung behalten: konzentrierter Gesichtsausdruck, die Brauen hochgezogen, den Taktstock in der rechten und mit der erhobenen linken Hand den Einsatz des Orchesters fordernd. Das Porträt des Dirigenten schmückt seit Montag die Ehrenbürger-Galerie im Berliner Abgeordnetenhaus.
„Ich bin dankbar für alles, was ich in Berlin erleben durfte. Es ist eine unglaubliche Stadt, mit Berliner Schnauze und allem. Ich bin hier noch immer sehr glücklich“, sagte der gesundheitlich angeschlagene 80-Jährige bei der feierlichen Enthüllung des Bildes mit brüchiger Stimme am Rednerpult. Barenboim war im April zum 123. Berliner Ehrenbürger ernannt worden. Zum dritten Mal wird die höchste Auszeichnung der Stadt damit einem Vertreter der klassischen Musik zuteil – nach Herbert von Karajan und Dietrich Fischer-Dieskau.
Im Jahr 1992 hatte Barenboim als Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden auch die Staatskapelle übernommen. Die musikalische Leitung der Staatsoper gab er gesundheitsbedingt zu Jahresbeginn ab. „Was soll ich sagen? Es wäre besser, 25 Jahre jünger zu sein – aber es ist eben nicht so“, spielte Barenboim am Montag auf seinen Gesundheitszustand an.
Auftritte sorgten für Gänsehaut wie etwa das „Mauerfallkonzert“ 1989
Als Künstler hat der Maestro Berlin lange geprägt. Viele seiner Auftritte sorgten für Gänsehaut. So erinnerte die Präsidentin des Abgeordnetenhauses, Cornelia Seibeld, etwa an das 1989 eigens angesetzte „Mauerfallkonzert“ der Berliner Philharmoniker, das Barenboim vom Klavier aus dirigierte. Für die Menschen aus Ost-Berlin galten damals die Ausweispapiere als Gratis-Eintrittskarte. „Der phänomenale Erfolg zeigte ziemlich klar: Das wiedervereinigte Berlin sollte ein Berlin mit sehr viel Musik werden – und auch ein Berlin mit Ihnen, einem Künstler von Weltrang“, sagte Seibeld zu Barenboim.
Sie würdigte sein künstlerisches Lebenswerk sowie sein gesellschaftliches Engagement. Er habe „mehr als einmal Künstlerinnen und Künstler zusammengebracht, die sich sonst nicht getroffen hätten“. Dabei habe er mit vielen Musikerinnen und Musikern auf Exzellenz hingearbeitet. Gleichzeitig stehe Barenboim für kulturelle Teilhabe. Er hat etwa das jährliche Open-Air-Konzert „Staatsoper für Alle“ auf dem Bebelplatz initiiert. Barenboim wurde 1942 als Enkel jüdischer Einwanderer in Argentinien geboren, später zog die Familie nach Israel. Schon als Kind feierte er musikalische Erfolge. Sein Weg führte ihn später nach Berlin, wo er 1999 auch das West-Eastern Divan Orchestra mitgründete, das junge Menschen aus Nahost zusammenbringen soll. Auch die Barenboim-Said-Akademie in Berlin fördert Musikerinnen und Musiker.
Eine Unbeirrtheit, die selbst hart gesottene Politiker verblüfft hat
Barenboim stehe auch für eine „Unbeirrtheit, die selbst hart gesottene politische Entscheider schon manches Mal verblüfft hat“, machte Cornelia Seibeld deutlich. „Sie führten mit der Berliner Staatskapelle Musik von Richard Wagner in Israel auf und nahmen den Eklat in Kauf. Sie nahmen als Israeli zusätzlich die palästinensische Staatsbürgerschaft an. Auf einem neuen traurigen Höhepunkt des Nahost-Konflikts haben Sie einmal gesagt, dass auch Juden und Palästinenser in Israel aufeinander angewiesen seien und daran nicht vorbeikämen“, zählte sie auf.
In Berlin herrsche heute über alle Stadtteile und Bevölkerungsgruppen hinweg ein Gefühl vor, so Seibeld weiter: „Wir leben in einer Metropole, die denkbar viele Lebensweisen, Glaubensrichtungen und ethnische Zugehörigkeiten in sich vereinigt. Viele von uns wollen dieses Selbstverständnis leben, sie wollen es gegenüber neu Hinzukommenden verkörpern und zugleich nach außen tragen. Für dieses Selbstverständnis ist die Haltung des Aufeinander-Angewiesen-Seins nicht nur zweckmäßig, sie ist notwendig.“ Daher sei Berlin dankbar, „dass Sie diese Haltung im Dienst der Kunst über eine so lange Zeit beharrlich verkörpert haben“, schloss Seibeld, „und dass Sie diese Haltung für eine so lange Zeit Ihres Lebens als ein Berliner gelebt haben.“
Im Beisein seiner Frau Jelena Baschkirowa (65) wirkte Barenboim ergriffen, rang nach Worten: „Ich bin wirklich selten so erfreut über eine Rede wie heute – danke vielmals.“ Voll Dankbarkeit blickte er auf seine Arbeit in Berlin zurück. „Über 30 Jahre mit einem Orchester sind schon eine Epoche“, sagte er nach der Enthüllung des Gemäldes. Viel politische Hauptstadt-Prominenz applaudierte dem Maestro zum Abschluss der Feierstunde stehend – von Regierungschef Kai Wegner über Kultursenator Joe Chialo (beide CDU), die früheren Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und Walter Momper, SPD-Landeschef Raed Saleh, AfD-Landeschefin Kristin Brinker, Ex-Kultursenator Klaus Lederer oder Gregor Gysi (Linke).
Kultursenator Chialo sagte der Morgenpost, was er an Barenboim besonders schätze: „Er steht für Kultur, aber auch für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Er hat Brücken gebaut zwischen Palästinensern und Israelis, die sich seit so vielen Jahren in einem Konflikt gegenüberstehen.“ Dieses zugewandte, erfolgreiche Brückenbauen sei „ein Beispiel dafür, dass wir die Nähe zum Gegensätzlichen immer suchen müssen“, so Chialo.