Abgeordnetenhauswahl

SPD verhandelt mit CDU - Giffey: Mache das für Berlin

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Joachim Fahrun
Franziska Giffey und Raed Saleh am Mittwochabend nach der Sitzung des SPD-Landesvorstandes.

Franziska Giffey und Raed Saleh am Mittwochabend nach der Sitzung des SPD-Landesvorstandes.

Foto: dpa

DIe SPD stimmt Koalitionsverhandlungen mit der CDU zu. Sie verspricht sich davon offenbar mehr Gestaltungspielraum.

  • Der SPD-Landesvorstand hat sich für Koalitionsverhandlungen mit der CDU entschieden
  • Die CDU entscheidet heute. Auch hier wird eine Entscheidung in Richtung Große Koalition erwartet
  • Die Jusos kündigen erbitterten Widerstand an

Die Berliner CDU-Führung hat sich entschieden, mit der SPD über die Bildung einer schwarz-roten Regierung zu verhandeln. Wie aus gut informierten Kreisen aus dem CDU-Landesvorstand verlautete, gilt es als sicher, dass der Landesvorsitzende Kai Wegner und Generalsekretär Stefan Evers den Gremien empfehlen werden, Koalitionsverhandlungen mit der SPD aufzunehmen. Nach Informationen der Morgenpost ist dieser Schritt mit der engsten SPD-Spitze abgestimmt. Offiziell entscheiden wird das der CDU-Landesvorstand bei seiner Sitzung am Donnerstagnachmittag.

Die beiden SPD-Landeschefs Franziska Giffey und Raed Saleh konnten am Mittwochabend ihre Parteifreunde für ein Bündnis mit der CDU gewinnen. Der SPD-Landesvorstand folgte der Empfehlung der beiden Landesvorsitzenden, Koalitionsverhandlungen mit der CDU aufzunehmen. Nach Informationen der Morgenpost votierten die Anwesenden in einer geheimen Abstimmung mit 25 zu 12 für den Plan von Franziska Giffey und Raed Saleh. Vorstandsmitglied Kevin Hönicke twitterte das Ergebnis.

Mitglieder sollen über Koalitionsvertrag mit CDU entscheiden

Danach wurde darüber entschieden, ob die SPD über einen Koalitionsvertrag einen Landesparteitag oder eine Mitgliederbefragung entscheiden lässt. Der Vorstand entschied sich für ein Mitgliedervotum, begleitet von verschiedenen Foren, in denen die Führungskräfte der Basis die Ergebnisse erklären. Es wird erwartet, dass die Mitglieder eher geneigt sind, ein Bündnis mit der CDU einzugehen als die Delegierten eines Landesparteitages.

„Wir haben ein Ergebnis von zwei Dritteln für die Aufnahme von Koalitionsgesprächen bekommen“, sagte Landeschef Raed Saleh. Die Koalitionsgespräche würden hart und intensiv, kündigte er an. Jetzt sei die CDU am Zug. Wichtig sei eine breite Beteiligung der 20.000 Berliner Sozialdemokraten. Deshalb werde die Basis einbezogen, um den Koalitionsvertrag zu bewerten.

Kommentar zum Thema: Berlin bekommt Schwarz-Rot

Die noch amtierende Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey sagte, die bisherige Koalition habe 250.000 Stimmen verloren und wir haben einen klaren Wahlsieger. Zweierbündnisse seien möglich. „Wir gehen einen Weg, der diesem Wahlergebnis noch mehr Rechnung tragen kann. Die Frage war, wie ein echter Neubeginn beginnen kann und echte Verbesserungen anzuschieben in einem stabilen Bündnis, in dem die SPD die Punkte, die ihr wichtig seien, auch durchsetzen könne.

Es habe mit der CDU große Übereinstimmungen und auch ein großes Entgegenkommen gegeben. Sie sei bereit, persönlich ihren Beitrag zu leisten, so die Landesvorsitzende, „auch wenn das mit dem Verlust meines Amtes“ einhergehe. Ich mache das für Berlin und für die SPD“, sagte Giffey. Mit dieser Position könne die SPD Stärke beweisen und zu neuer Kraft kommen.

Die Spitze der Berliner SPD verspricht sich von einem Wechsel zu einer Koalition mit der CDU mehr Erfolgschancen bei der nächsten Abgeordnetenhauswahl im Jahr 2026. Das zeigt der interne Bericht der SPD-Sondierungskommission, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. In den vergangenen sechs Jahren habe es in der Koalition mit Grünen und Linken eine „hohe Anzahl ungelöster koalitionsinterner Konflikte“ gegeben, so dass eine Verbesserung der Bilanz bei für die SPD wichtigen Themen wie Wohnungsbau und Sicherheit „im derzeitigen Bündnis kaum glaubhaft darstellbar“ sei. Die Aussichten für die Wahlen 2026 seien besonders für die geschwächte SPD „in einem krisenbelasteten Bündnis kaum positiv“.

In einem Zweierbündnis mit der CDU seien hingegen mehr „Gestaltungsmacht“ und „geringere Reibungsverluste“ bei koalitionsinternen Kompromissen zu erwarten. Mit Blick auf die Wahlen 2026 seien daher „eine bessere Umsetzung der eigenen Vorhaben und eine verbesserte Profilbildung“ möglich.

Jusos kündigen erbitterten Widerstand gegen Koalition mit CDU an

Vor allem die Jungsozialisten haben erbitterten Widerstand gegen Schwarz-Rot angekündigt. „Niemals“ werde man eine Koalition mit der CDU unterstützen, schrieb die Juso-Landeschefin Sinem Tasan-Funke auf Twitter. Die Jusos nannten die CDU „Fortschrittsverhinderer“. Wie die Parteiführung den Nachwuchs einbinden möchte, ist völlig offen. Der Generalsekretär der Bundes-SPD und langjährige Juso-Bundesvorsitzende Kevin Kühnert sagte der Morgenpost, er werde die Berliner Jusos „zu nichts überreden“.

Unter den Mitgliedern und Gästen des SPD-Landesvorstandes waren vor der Sitzung die Meinungen geteilt. Viele kamen in der Erwartung, sich von Giffey, Saleh und den anderen Mitgliedern der Sondierungsgruppe den Verlauf der Gespräche mit Grünen und Linken schildern und sich erklären zu lassen, warum aus deren Sicht eine Fortsetzung von Rot-Grün-Rot nicht möglich sei. Vor dem Kurt-Schumacher-Haus demonstrierten lautstark rund 60 Unterstützer des Volksentscheides „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. „Keine GroKo für Berlin“ riefen sie und „Wer hat uns verraten, Sozialdemokraten“.

Kevin Hönicke: SPD muss in sauren Apfel beißen

Der Lichtenberger Stadtrat Kevin Hönicke war einer der wenigen, die sich vorher öffentlich äußerten. Er sei immer für ein Bündnis mit Grünen und Linken gewesen und hoffe, dass es irgendwann wieder ein solches geben könne, sagte Hönicke: „Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass diese Koalition nicht funktioniert hat.“ Man habe nicht miteinander, sondern gegeneinander gearbeitet. Was er aus den Verhandlungen vor allem über die Grünen gehört habe, habe ihn erschreckt, so der Kommunalpolitiker. Deshalb müsse die SPD in den sauren Apfel beißen und mit der CDU zusammenarbeiten.

Die Bundestagsabgeordnete und frühere Juso-Landeschefin Annika Klose vertrat die Gegenposition. Sie glaube nicht, dass die Jungsozialisten von ihrer Position abrücken werden, weil mit der CDU keine „progressive Politik möglich“ sei. Auch in der letzten Auflage eines SPD-CDU-Bündnisses unter sozialdemokratischer Führung habe die CDU zwischen 2011 und 2016 viel blockiert. Seinerzeit habe die SPD deswegen erwogen, die Koalition vorzeitig scheitern zu lassen. „Ich hatte eine klare Präferenz für Rot-Grün-Rot“, sagte Klose. Bei der letzten Landesvorstandssitzung hätten das auch fast alle Redner so formuliert.

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Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey hatte am Mittwochmorgen angekündigt, ihr Amt als Landesvorsitzende aufzugeben, falls ihr der Landesvorstand bei ihrer Empfehlung für Schwarz-Rot nicht folgen werde. In einem schwarz-roten Senat könnte Giffey ein Super-Ressort übernehmen, die Rede ist von den Bereichen Stadtentwicklung und Verkehr.

Grüne reagieren enttäuscht auf SPD-Entscheidung

Die Grünen, die sich nach den freundlich verlaufenden Sondierungen bis Dienstagnacht noch Hoffnungen auf eine Regierungsbeteiligung als Juniorpartner der CDU gemacht hatten, reagierten enttäuscht auf die Vorentscheidung der CDU-Spitze. Ihnen bliebe nach sieben Jahren im Senat ebenso wie den Linken nur die Oppositionsrolle: „Wir Grünen stehen zu unserer Verantwortung für Berlin und haben dies in den jeweils ernsthaft geführten Sondierungsgesprächen deutlich gemacht“, sagte die amtierende Verkehrssenatorin und Spitzenkandidatin Bettina Jarasch: „Wir haben vor allem bei der CDU verlässliche und vertrauensvolle Gespräche erlebt.

Die Grünen stünden für Koalitionsgespräche, die Klimaschutz und Mobilitätswende, eine progressive Gesellschaftspolitik und konsequenten Mieter*innenschutz in den Mittelpunkt stellen, zur Verfügung, sagte Jarasch: „Dass sich die SPD und die CDU nun offenkundig füreinander entscheiden, zeigt dass kommt, wovor wir im Wahlkampf immer gewarnt haben: eine Rückschrittskoalition." Die Linken-Landeschefin Katina Schubert sagte, die CDU lege sich „mit der Reaktion ins Bett“.

CDU und SPD verständigen sich auf Kernpunkte

Inhaltlich haben sich CDU und SPD in den Sondierungen auf einige Kernpunkte verständigt, wie aus dem Papier der Parteivorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh für den SPD-Landesvorstand hervorgeht. So soll die Verwaltungsreform bis 2026 abgeschlossen werden. Das 29-Euro-Ticket wollen die beiden Parteien fortführen, auch das Ziel von 20.000 Neubauwohnungen im Jahr bleibt. Beide wollen auf landes- und Bundesebene für eine Verschärfung der Mietpreisbremse eintreten.

Zur Verkehrswende gibt es ein eher allgemeines Bekenntnis, sie soll Priorität haben, der öffentliche Nahverkehr soll ausgebaut werden. Allerdings soll der Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Bedürfnissen der Verkehrsteilnehmer stärker in den Blick genommen werden.

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Zum Thema Enteignung von Wohnungskonzernen soll es einen „Vergesellschaftungsrahmengesetz“ geben, wenn die Expertenkommission das eine Vergesellschaftung für möglich erachtet. Das bedeutet, es wird erst ein grundsätzliches Gesetz formuliert, das aber erst dann in Kraft tritt, wenn die erwarteten Normenkontrollklagen dagegen höchstrichterlich entschieden sind. Details werden danach geregelt.

Zudem sollen weitere Wohnungsbestände angekauft werden. Polizei und Rettungskräfte wollen CDU und SPD besser ausstatten, „Sicherheit und Sauberkeit sollen stärker zusammen gedacht werden. Beide Partner wollen Berlin 2045 klimaneutral machen. Der bereits eingeleitete Ankauf der Fernwärme und der Anteile an der Gasag wird fortgesetzt.

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( mit dpa )