Berlin. „Sparen, bis es quietscht“, lautete die Devise von Berlins ehemaligem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) bei Amtsantritt 2001. Um der desolaten Finanzsituation entgegenzuwirken, wurde die Verwaltung verschlankt und verkauft, was sich zu Geld machen ließ – allen voran öffentliche Wohnungen.
Letzteres führte jedoch unter anderem dazu, dass Normalverdiener es heute schwer haben, eine neue bezahlbare Bleibe finden – es sei denn, sie haben viel Geduld und mehrere Monate bis Jahre Zeit für die Suche.
Die Wohnungsnot ist aber nicht das einzige Problem, vor dem Berlin aktuell steht. In mehreren Bereichen wird der Ausnahmezustand oder Notstand ausgerufen. Eine Bestandsaufnahme der drängendsten Probleme:
Kapazitäten in den Flüchtlingsunterkünften sind „absolut am Ende“
Bereits Ende Juli schlug Berlins Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) Alarm. Seitdem hat sich die Situation nur noch verschärft. In den Erstaufnahme- und Gemeinschaftsunterkünften des Landes sind mit Stand von Freitag 26.485 Geflüchtete untergebracht. Die Zahl der freien Plätze beziffert Sascha Langenbach, Sprecher des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) auf 178. „Unsere Kapazitäten sind absolut am Ende.“ Denn es sei damit zu rechnen, dass der aktuelle Trend erst einmal anhält.
Mit 1828 Personen sind laut Langenbach im September knapp doppelt so viele Menschen nach Berlin gekommen wie in den Vormonaten. Aktuell seien es zwischen 140 und 180 am Tag – zuletzt vor allem aus Syrien, Afghanistan und der Türkei. Zum Vergleich: Während des gesamten ersten Halbjahrs 2022 wurden lediglich rund 4500 Asylanträge in Berlin gestellt. „Die Öffnung der Balkanroute führt zu einer enormen Steigerung der Asylsuchenden“, so der LAF-Sprecher weiter.
Neue Kapazitäten schaffte das LAF zuletzt, indem es 505 Plätze auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof reaktivierte. Außerdem wurde Anfang September eine sogenannte Modulare Unterkunft für Flüchtlinge (MUF) mit 400 Plätzen in Lichtenberg planmäßig eröffnet. Wo weitere Plätze herkommen sollen, ist unklar. Dass wie ab 2015 wieder Turnhallen zu Unterkünften umfunktioniert werden, schließt das LAF kategorisch aus.
Freie Termine beim Bürgeramt erst wieder ab Dezember
Wer sich in Deutschland nach dem Umzug nicht binnen 14 Tagen ummeldet, muss mit einem Ordnungsgeld von bis zu 1000 Euro rechnen. Für Berlinerinnen und Berliner ist das eher bloße Theorie. Denn oft muss man sich wochenlang gedulden, um einen Termin bei einem der Bürgerämter zu bekommen und sein Anliegen vortragen zu können. Immerhin hat sich die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) nun zum Ziel gesetzt, die Bürgerämter zum Laufen zu bringen.
Dabei griff sie ein Versprechen auf, dass bereits ihr Vorgänger gab und nicht einhielt: Termine binnen zwei Wochen. Dazu soll es fünf neue Bürgerämter sowie 100 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geben. Davon ist aktuell noch nichts zu merken. So ist mit Stand Freitag der nächste freie Termin am 1. Dezember. Einen Lichtblick gibt es allerdings: Die Anmeldung eines neuen Wohnsitzes soll ab kommendem Jahr digital möglich sein.
Lehrermangel gefährdet „Bildungschancen einer ganzen Generation“
Berlin wird jünger, die Zahl der Schülerinnen und Schüler hat mit mehr als 383.000 im aktuellen Schuljahr einen absoluten Rekord erreicht. Doch es fehlt an Lehrkräften. Von den 2645 neu geschaffenen Stellen blieben laut Senatsbildungsverwaltung zum Ende der Sommerferien im August noch fast 900 unbesetzt. Ein Mangel, der laut der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft immer bedrohlichere Ausmaße annimmt und „die Bildungschancen einer ganzen Generation gefährdet“.
Außerdem fehlen zumindest rein rechnerisch rund 20.000 Schulplätze. Das bedeutet laut Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) zwar nicht, dass Schulkinder ohne Platz auf der Straße stünden. Vielmehr seien Zielvorgaben nicht eingehalten worden. So konnte in diesem Schuljahr zwar allen ein Platz zugewiesen werden – „allerdings auch mit Mühe und Zusammenrücken“, wie es Marzahn-Hellersdorfs Schulstadtrat Torsten Kühne (CDU) kurz vor den Ferien ausdrückte.
Feuerwehrleute arbeiten am Limit
Eigentlich sollen sie anderen Menschen retten, brauchen aber seit Jahren selbst dringend Hilfe. Denn Dauerstress und ständiges Arbeiten am Limit nagen selbst an der Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Rettungsdienstes der Berliner Feuerwehr. Im Schnitt fällt nach Angaben der Feuerwehrgewerkschaft jede Kraft mittlerweile 55 Tage im Jahr krankheitsbedingt aus.
Bei im Schnitt 1400 Einsätzen pro Tag wird der Ausnahmezustand mittlerweile fast täglich ausgerufen. „Wir sind an einem Punkt, wo wir Unterstützung benötigen“, sagte Landesbranddirektor Karsten Homrighausen zuletzt an die Politik gewandt. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) hat Anfang September mehrere Maßnahmen angekündigt, um die Lage zu verbessern.
Sanierungsstau bei Polizei und Feuerwehr
Ob Polizeiabschnitt, Feuerwache oder Schule: Der Putz bröckelt von der Decke, Schimmel und Gestank macht sich auf den Toiletten breit und an Arbeitssicherheit ist mitunter kaum zu denken. Allein bei den Feuerwachen umfasst die Mängelliste acht Din A4-Seiten. Insgesamt 331 Millionen Euro würde die Sanierung kosten. Für alle Liegenschaften der Berliner Polizei bräuchte es noch einmal 1,8 Milliarden Euro.