Berlin. Die zuletzt angespannte Situation bei der Unterbringung von Flüchtlingen in Berlin hat sich zugespitzt. Weil nur wenige Plätze zu Verfügung stehen, soll ein Notfallplan in Kraft gesetzt werden, wie Integrationssenatorin Katja Kipping (Linke) sagte.
Geplant sei, ein großes Zelt mit rund 900 Schlafplätzen zu öffnen, das bislang als Reserve auf dem Gelände des Ukraine-Ankunftszentrums in Tegel steht. „Wir kaufen damit der Republik Zeit zulasten des Landes Berlin“, sagte Kipping. Geprüft werde auch die Anmietung von Übernachtungsplätzen in Hostels oder die Aufstellung weiterer Zelte.
Andere Bundesländer nehmen keine Asylbewerber mehr auf
Die bundesweite Verteilung von Asylbewerbern nach dem EASY-System sei von den meisten Bundesländern vorübergehend ausgesetzt worden. „Der Austritt bedeutet einen faktischen Zuweisungsstopp“, sagte Kipping. Nur die Bundesländer Bayern, Hamburg, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg seien noch freigeschaltet. Einige hätten aber beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Antrag auf Sperrung gestellt. Laut Kipping haben die anderen Länder den Aufnahmestopp damit begründet, dass sie durch die Aufnahme ukrainischer Geflüchteter stark belastet seien. „Berlin muss das nun abfedern. Das verschärft hier die Situation.“
Das EASY-System regelt die Aufnahme von Geflüchteten, die einen klassischen Asylantrag stellen. Dazu zählen beispielsweise Menschen aus Syrien, Georgien und Moldau. Das Land Berlin ist nachdem Verteilungsschlüssel für rund fünf Prozent der Asylbewerber zuständig. Geflüchtete aus der Ukraine werden nach einem anderen Schlüssel verteilt, dem sogenannten FREE-System, das den familiären Hintergrund stärker berücksichtigt. Letztlich müssen aber alle Geflüchteten untergebracht werden, und hier sind einige Länder an der Kapazitätsgrenze, deshalb der Aufnahmestopp.
Kipping: Mehr Transparenz ist nötig
Kipping sprach von nur wenigen Tagen, in denen Berlin die Situation stemmen könne. „Es steht zu befürchten, dass wir die nächste Stufe des Notfallplans aktivieren müssen“, sagte Kipping. Dann würde eine Gefahrenlage festgestellt werden und Hostels müssten angemietet sowie Unterbringungen mit offener Vertragslage bezogen werden. Das bedeute auch eine schlechtere Unterbringungssituation der Geflüchteten. „Die wollen wir nicht auf Dauer stellen, deshalb brauchen wir eine politische Lösung“, so Kipping.
„Meine ausdrückliche Bitte an alle Bundesländer ist, zurückzukehren zum Solidarprinzip und sich an der Erstaufnahme von Asylantragstellenden zu beteiligen“, sagte sie. Nötig sei mehr Transparenz zwischen den Bundesländern. Die soll laut Kipping geschaffen werden, indem Asylanträge in allen Ländern angenommen werden. Bislang würden Asylanträge nur in dem Bundesland angenommen, indem sie gestellt werden. Zudem soll das EASY-System mit dem System zur Verteilung ukrainischer Geflüchteter verrechnet werden.
Tobias Bauschke, sozialpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, kritisierte Kipping scharf. Sie wisse seit Amtsübernahme von den fehlenden Plätzen. Bereits im Januar sei ein Tiefstand gemeldet worden. „Doch seitdem ist kaum etwas passiert“, so Bauschke. Das fehlende Handeln des Senats entwickele sich zunehmend zu sozialem Brennstoff. Dem widerspricht Kipping. Ihr zufolge wurde ein Containerdorf am Columbiadamm am ehemaligen Flughafen Tempelhof reaktiviert und erste Teile als Notunterkunft geöffnet. Rund 330 Plätze sind momentan belegt. Und im Bezirk Lichtenberg öffnet am 1. August eine Unterkunft mit 385 Plätzen.
Gesamtkapazität liegt berlinweit bei rund 24.500 Flüchtlingen
Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten meldete derzeit noch 326 freie Plätze in Aufnahmeeinrichtungen. Zum Vergleich: Die Gesamtkapazität liegt berlinweit bei rund 24.500. Nach Einschätzung Kippings werden die freien Plätze in Kürze belegt sein. Bereits Anfang Juli hatte die Senatorin im Hinblick auf die Unterbringung Geflüchteter Alarm geschlagen und auf die angespannte Situation hingewiesen. Damals war noch von rund 850 freien Plätzen die Rede.
Nach früheren Angaben der zuständigen Behörden wurden neben Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine zuletzt monatlich um die 1000 Asylbewerber aus zahlreichen anderen Staaten in Berlin registriert. Im Juli sei nach den aktuellen Zahlen wegen des Aufnahmestopps in anderen Bundesländern mit etwa 450 mehr zu rechnen, sagte Kipping. Hinzu komme, dass die Tendenz bei den Zuzügen geflüchteter Menschen ohnehin wieder steigend sei.
In Lichtenberg öffnet eine neue modulare Unterkunft
Was hat der Senat seither getan? Kipping zufolge wurde mittlerweile ein Containerdorf am Columbiadamm am ehemaligen Flughafen Tempelhof reaktiviert und erste Teile davon wurden als Notunterkunft geöffnet. Rund 330 Plätze sind dort momentan belegt. Im Bezirk Lichtenberg öffnet am 1. August eine neue modulare Unterkunft (Muf) mit 385 Plätzen. Die Task Force beim Laf, die neue Unterkünfte finden soll, sei personell verstärkt worden.
Kipping erinnerte daran, dass jeden Tag auch weitere Geflüchtete aus der Ukraine ankämen. „Und zum anderen gibt es immer mehr Menschen aus der Ukraine, die aus privaten Unterkünften, in denen sie zunächst unterkamen, raus sollen, und die nun in Geflüchtetenunterkünften untergebracht werden müssen.“
Viele Berlinerinnen und Berliner, die zunächst geholfen und Wohnraum bereitgestellt hätten, merkten jetzt, dass sie an ihre Belastungsgrenze kämen, schilderte Kipping. Sie suchten nun nach anderen Lösungen. „Viele haben Hemmungen, ihre Gäste in eine Gemeinschaftsunterkunft zu entlassen und hoffen auf eine Wohnung für sie.“ Bekanntermaßen sei es aber für alle Flüchtlinge „verdammt schwer“, eine Wohnung zu finden. (mit dpa)