Wohnen in Berlin

Supermärkte bieten Platz für 36.000 Wohnungen auf dem Dach

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Andreas Abel und Isabell Jürgens
So könnte das Wohnen aussehen: Aldi will an mindestens 30 Standorten in Berlin mehr als 2000 Wohnungen bauen, kombiniert mit den Märkten

So könnte das Wohnen aussehen: Aldi will an mindestens 30 Standorten in Berlin mehr als 2000 Wohnungen bauen, kombiniert mit den Märkten

Foto: ALDI

Supermärkte bieten in Berlin Raum für Tausende Wohnungen. Doch der Senat unterstützt diese Pläne nicht ausreichend, bemängelt die FDP.

Berlin.  Lebensmittelketten und Discounter wollen ihre Grundstücke besser ausnutzen und planen dort den Bau von Wohnungen. Zuletzt machte Aldi mit solchen Projekten von sich reden. An mindestens 30 Standorten in Berlin sollen in Kombination mit Aldi-Nord-Märkten rund 2000 Wohnungen entstehen, wie das Unternehmen kürzlich mitteilte. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sieht ein Potenzial von insgesamt 330 Standorten in der Stadt. Dort könnten 14.000 bis 36.000 Wohnungen entstehen. Das teilte Senatsbaudirektorin Regula Lüscher auf eine parlamentarische Anfrage des FDP-Fraktionschefs Sebastian Czaja mit.

Dieses Potenzial sei durch einen Gutachter ermittelt worden, so Lüscher. Eine genauere Prognose zur Zahl der möglichen Wohnungen sei „nicht zielführend“, da in den Obergeschossen je nach Lage auch Büros oder Arztpraxen möglich seien. Die Entscheidung über den Nutzungsmix obliege in der Regel den Bezirken, erklärte die Senatsbaudirektorin in ihrer Antwort. Sie ist noch nicht veröffentlicht und liegt der Berliner Morgenpost exklusiv vor.

Welche Kriterien Supermarkt-Grundstücke erfüllen müssen, damit dort der Bau von Wohnungen genehmigt werden kann, könne nicht pauschal gesagt werden, so Lüscher. Das hänge vom konkreten Bauprojekt, dem Standort und der Umgebung ab. In Gewerbe- und Industriegebieten seien Wohnungen grundsätzlich nicht zulässig. Lüscher betonte, der Senat schätze die Bedeutung des Mietwohnungsbaus durch Filialunternehmen aus städtebaulichen Gründen „als nicht gering“ ein. Deshalb habe die Stadtentwicklungsverwaltung bereits 2016 eine Internetbroschüre zu diesem Thema aufgelegt und im Sommer 2017 einen sogenannten Supermarktgipfel durchgeführt. Weitere Aktivitäten des Senats führt sie nicht an.

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In der Broschüre verweist die Senatsbaudirektorin ganz allgemein auf das „stadtentwicklungspolitische Ziel, durch eine intelligente Mehrfachnutzung und funktionale Mischung neuen Wohnraum zu schaffen und die Versorgung der wachsenden Bevölkerung mit Angeboten des täglichen Bedarfs im unmittelbaren Wohnumfeld zu gewährleisten“. Die Zahl der Lebensmitteldiscounter, Supermärkte, Bio-Supermärkte und SB-Warenhäuser summiert sich laut Lüscher berlinweit auf mehr als 1100 Geschäfte, von denen rund ein Drittel aus stadtplanerischer Sicht gut für eine mehrgeschossige Bebauung in Kombination mit Wohnungen geeignet seien.

Auf schnelle und unbürokratische Hilfestellung für bauwillige Supermarkteigentümer macht die Broschüre indes wenig Hoffnung. So heißt es dort, im Rahmen der Überarbeitung der Ausführungsvorschrift Einzelhandel, die erst im kommenden Jahr geplant ist, sollen die heutigen Rahmenbedingungen überprüft werden. Jede Ansiedlung bedürfe zudem der Einzelfallprüfung und Genehmigung durch die Bezirke.

„Wünschenswert wäre ein einheitliches und transparentes Verfahren bei der Genehmigung in den Bezirken, anstelle zwölf unterschiedlicher bezirklicher Herangehensweisen“, mahnt dagegen Nils Busch-Petersen, Chef des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg, an.

Austausch: Expertenhearing soll fortgesetzt werden

Auf Czajas Frage, an welchen Supermarkt-Flachbauten in Berlin zusätzliche Wohnungen entstehen könnten, antwortete Lüscher lediglich, die Entscheidung zur Nachverdichtung der Standorte obliege primär den Grundstückseigentümern. Eine Aussage des Senats zur konkreten Ausschöpfung weiterer künftiger Nutzungsmöglichkeiten sei nicht möglich. Der Supermarktgipfel habe als Expertenhearing dem wechselseitigen Austausch gedient, dieser solle fortgesetzt werden. Senat und Bezirke würden den Wohnungsbau oberhalb von Supermärkten „bei Bedarf durch die zur Verfügung stehenden Instrumente“ wie Bauberatung, Bauleitplanung oder eine moderierende Rolle unterstützen.

Sebastian Czaja kritisierte die Haltung der Stadtentwicklungsverwaltung: „Die Antwort des Senats zeigt, dass Rot-Rot-Grün die Chancen, der Berliner Wohnungsmisere entgegenzuwirken, einfach nicht ergreift“, sagte der FDP-Politiker der Berliner Morgenpost. Es werde nur auf Internetbroschüren und einen einmaligen Supermarktgipfel verwiesen, anstatt gemeinsam mit den Unternehmen den Wohnungsbau zu beschleunigen. „Wenn Einzelhändler den Mut beweisen, Berlin weiter in Richtung funktionierende Stadt zu entwickeln, muss der Senat aktiv mitwirken. Nur mit öffentlicher und privater Hand können wir nachhaltig günstige Wohnungen bauen“, so Czaja.

Wohnen bei Aldi

Aldi Nord hat bereits zwei konkrete Bauvorhaben an der Silbersteinstraße in Neukölln und der Sewanstraße in Lichtenberg. Für Letzteres liegt bereits eine Baugenehmigung vor. Rund 50 bis 70 Wohnungen sollen jeweils entstehen – abhängig von der Wohnungsgröße. Weitere 15 Standorte befänden sich in konkreter Planung, teilte das Unternehmen mit.

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