Urteil wird geprüft

Raserunfall vom Tauentzien: War es Mord oder nicht?

| Lesedauer: 6 Minuten
Michael Mielke

Der Bundesgerichtshof prüft die Verurteilung zweier Berliner Autoraser zu lebenslanger Haft. Das Urteil soll am 1. März fallen.

Berlin. Die Sitzreihen im großen Verhandlungssaal des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe waren voll besetzt. Das passiert selten. Doch der Fall, der am Donnerstag vor dem 4. Strafsenat des BGH verhandelt wurde, hat eine ganz besondere Bedeutung. Es geht um den sogenannten Autoraser-Prozess und ein spektakuläres Urteil, das am 27. Februar 2017 vom Vorsitzenden der 34. Großen Strafkammer des Berliner Landgerichts, Ralph Ehestädt, verkündet wurde: Erstmals in der deutschen Rechtsgeschichte wurden Teilnehmer eines illegalen Autorennens, das tödlich endete, wegen Mordes verurteilt.

In der Konsequenz erhielten der 27-jährige Hamdi H. und der zwei Jahre jüngere Marvin N. lebenslängliche Freiheitsstrafen. Beide hatten am 1. Februar 2016 kurz nach Mitternacht in ihren PS-starken Autos in der City West ein Autorennen veranstaltet, waren bis zu 170 Stundenkilometer schnell über den Kurfürstendamm gerast, waren elf Mal bei Rot über Kreuzungen gefahren. An der Kreuzung Tauentzien/Nürnberger Straße – auch hier zeigte die Ampel Rot – prallte Hamdi H. mit seinem Audi A6 3.0 TDI Quattro gegen einen von rechts kommenden Jeep. Der 69 Jahre alte Fahrer des Jeeps, ein Arzt im Ruhestand, starb.

Verhandlung auf den Tag zwei Jahre danach

Genau zwei Jahre nach dem Geschehen wurde der Fall nun vor dem höchsten Gericht noch einmal verhandelt. Der 4. Strafsenat ist für Verkehrssachen zuständig. Und die Senatsvorsitzende Beate Sost-Scheible betonte gleich zu Beginn, dass dieser Fall „für große Aufmerksam gesorgt“ habe und sprach von „wahnsinnigen Geschwindigkeiten“ – auch das eine Einmaligkeit bei Prozessen dieser Art. Und sie erwähnte, dass „die Vorsatzfrage in den öffentlichen Diskussionen keineswegs einheitlich diskutiert“ werde. Gemeint war, ob es bei den Autorasern tatsächlich einen Tötungsvorsatz gegeben hatte. Das ist der Knackpunkt dieses Verfahrens.

Und wenn sich am Donnerstag im Laufe der mündlichen Verhandlung etwas aus den Reaktionen auf die Plädoyers der Verteidiger, des Vertreters der Bundesanwaltschaft, vor allem aber aus den Stellungnahmen von Richterin Sost-Scheible entnehmen ließ, dann war es die Vermutung, dass die Senatsvorsitzende bei der Beurteilung des Tötungsvorsatzes durch die Berliner Richter entscheidende Mängel sieht.

Der Prozess um die Kudamm-Raser als Chronik
Die Kudamm-Raser: Vom tödlichen Unfall bis zur Verurteilung

Das Berliner Schwurgericht ging davon aus, dass die Angeklagten mit bedingtem Vorsatz handelten: Die Täter haben um die Gefahr ihres Handelns gewusst und es trotzdem nicht unterlassen. Sie haben zwar keine folgenschweren Konsequenzen eingeplant – wie zum Beispiel den Tod eines anderen Verkehrsteilnehmers. Es war ihnen zum Zeitpunkt des Autorennens letztlich aber egal, sagte Richter Ehestädt im Februar 2017.

Im schriftlichen Urteil wird als Beginn des Tötungsvorsatzes die Phase genannt, als Marvin N. mit seinem Mercedes „mit einem noch leichten Vorsprung von wenigen Metern und einer Geschwindigkeit von 139 bis 149 km/h in den Kreuzungsbereich Tauentzienstraße Ecke Nürnberger Straße fuhr“. Auch Hamdi H. sei mit seinem Audi bei Rot in den Kreuzungsbereich eingefahren, mit einer Geschwindigkeit von mindestens 160 bis 170 Stundenkilometern, so der Urteilstext.

Spätestens jetzt sei beiden Angeklagten bewusst gewesen, „dass ein die Nürnberger Straße befahrender, bei grüner Ampelphase berechtigt in die Kreuzung einfahrender Fahrzeugführer und etwaige Mitinsassen bei einer Kollision mit den von ihnen gelenkten Pkw nicht nur verletzt, sondern aufgrund der von ihnen im Rahmen des vereinbarten Rennens gefahrenen sehr hohen Geschwindigkeiten mit großer Wahrscheinlichkeit zu Tode kommen würden“. Das hätten die Angeklagten billigend in Kauf genommen.

Anwalt Ali B. Norouzi, Verteidiger von Hamdi H., kritisierte diesen Passus in der Urteilsbegründung mit den Worten: „Wir brauchen für einen Mord oder einen Totschlag einen Vorsatz. Und dieser Vorsatz muss dann gegeben sein, wenn die Handlung begangen wird, die zum Tod geführt hat. In unserem Fall war das Handeln der Unfall. Aber zu diesem Zeitpunkt konnten die Angeklagten nicht mehr anders reagieren.“ Das sehe auch das Berliner Schwurgericht so. Genau das sei der Widerspruch. Einerseits steht in der Urteilsbegründung, dass die Angeklagten zu diesem Zeitpunkt „objektiv völlig handlungsunfähig waren“, parallel sollen sie genau zu diesem Zeitpunkt den Vorsatz gefasst haben.

Sohn des Opfers kämpft in Karlsruhe mit den Tränen

Verteidiger Stefan Conen ergänzte: „Wir sind der Meinung, dass ein Urteil, das in diesem Bereich Neuland betritt, so begründet sein muss, dass es über jeden Zweifel erhaben ist. Dass dies nicht der Fall war, konnte heute jeder sehen, der die Diskussion verfolgt hat. Wir sind gespannt, wie der Senat entscheidet.“ Es bleibt abzuwarten, ob die Kritik ausreichen und das Verfahren tatsächlich an eine andere Schwurgerichtskammer des Berliner Landgerichts zurückverwiesen wird, wenn die Senatsvorsitzende Sost-Scheible am 1. März das Urteil verkündet. Auch der Vertreter der Generalbundesanwaltschaft, Hannes Meyer-Wieck, sah beim Tötungsvorsatz den Schwachpunkt im schriftlichen Urteil, hielt ihn aber keineswegs für einen entscheidenden Rechtsfehler.

Der Sohn des Opfers, Maximilian Warshitsky, war in Karlsruhe anwesend. Er kämpfte mit den Tränen, als ein Bundesrichter den Fall noch einmal in Stichpunkten vortrug und dabei auch den Tod des 69-jährigen Michael Warshitsky erwähnte. Zu rechtlichen Aspekten wollte Warshitsky sich nach der Verhandlung nicht äußern. Für ihn sei aber klar, dass die Angeklagten „alle Gefahren ausgeblendet haben, nur, um ihr Rennen zu gewinnen. Die sind mit 170 Sachen auf dem Kurfürstendamm entlang geschossen. In der Innenstadt. Für mich grenzt das schon an Terror auf der Straße“.

Mehr zum Thema:

Kudamm-Raser: BGH spricht Urteil am 1. März

Illegalen Autorennen in Berlin - eine Chronik

Begingen die Kudamm-Raser Mord? Der BGH muss entscheiden

Das kennzeichnet den typischen Raser