Berlin. Rowdyhaftes Verhalten im Straßenverkehr wird in Berlin nahezu täglich in den unterschiedlichsten Formen sichtbar. Doch nichts löst in der Öffentlichkeit mehr Diskussionen und Empörung aus, als wilde rücksichtlose Raserei und illegale Autorennen. Oliver Woitzik vom Fachbereich Verkehr im Stab des Polizeipräsidenten über die Raser und die Möglichkeiten der Polizei, dagegen vorzugehen.
Herr Woitzik, welche Rolle spielt die Unfallursache „Nicht angepasste Geschwindigkeit“ in der jährlichen Gesamtunfallbilanz für Berlin?
Oliver Woitzik: Überhöhte Geschwindigkeit spielt als eine der Hauptunfallursachen eine große Rolle und birgt ein besonders hohes Unfallrisiko. Das gilt allerdings nicht nur für typische Raser. Mit überhöhter Geschwindigkeit ist auch der unterwegs, der in einer Tempo-30-Zone 50 Stundenkilometer fährt.
Was kennzeichnet den typischen Raser und seine Motive?
Er ist männlich, 18 bis 30 Jahre alt und bevorzugt mit einem Luxusfahrzeug ab 400 PS aufwärts unterwegs. Ich hab es, ich kann es und ich zeig’s euch, das ist kurz gesagt das häufigste Motiv. Den Fahrern geht es um Profilierung, um Selbstdarstellung, häufig gepaart mit einer brandgefährlichen Überschätzung der eigenen Fähigkeiten. Hinzu kommt in vielen Fällen ein Realitätsverlust. Die jungen Männer erleben wilde Verfolgungsjagden in Actionfilmen, und glauben tatsächlich, so etwas könnten sie selbst im wahren Leben auch.
Welche Reaktionen erleben Sie, wenn Sie bei Verkehrskontrollen gegen Raserei die überprüften Personen auf ihr Fehlverhalten ansprechen?
Um es vorwegzusagen: Es gibt eine gewissen Klientel, die erreicht man nicht, weder durch Ermahnungen noch durch Sanktionen. Ihr könnt mir gar nichts, mein Anwalt regelt das sowieso, diese Reaktion erleben die Kollegen vor Ort häufig. Andere räumen zumindest ihr Fehlverhalten ein, das aber häufig mit einem Achselzucken und der gönnerhaften Bemerkungen „na gut, dann zahl ich eben“. Entscheidend für die Wirkung ist dabei, in welcher Form die Kontrollen durchgeführt werden.
Was heißt das genau?
Die Kollegen von Verkehrsdienst oder in den Direktionen haben verschiedene Kontrollmöglichkeiten. Zum einen werden die Kontrollen von einem festen Standort aus mit Lasermessungen durchgeführt. Das Ergebnis ist dann ein Foto, auf dem der Fahrer zu sehen ist sowie eingeblendet die gefahrene Geschwindigkeit. Die Wirkung auf die überführten Fahrer hält sich häufig in Grenzen. Es soll Menschen geben, die rahmen sich solche Fotos ein und zeigen sie herum. Da kommt auch ein immenses Imponiergehabe zum Vorschein. Deutlich mehr Wirkung erzielen wir bei Kontrollen mit dem Videowagen.
Illegalen Autorennen in Berlin - eine Chronik
Wie sehen diese Kontrollen aus und was bewirken sie genau?
Ein Standbild vermittelt nur eine Momentaufnahme. Ein Video zeichnet zudem über Minuten hinweg eine ganze Fahrt auf, zeigt sozusagen das gesamte Bild. Führt man das dem betroffenen Fahrer vor, sieht er sich selbst als Hauptdarsteller. Er sieht, wie er mit hoher Geschwindigkeit fährt, ständig die Spur wechselt, andere Fahrzeuge oder Radfahrer dadurch abdrängt oder Fußgänger zwingt, abrupt zur Seite zu springen. Ihm wird sehr eindringlich bewusst, dass er damit zur echten Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer wird. In dieser Deutlichkeit war ihm das bislang womöglich gar nicht bewusst. Diese Klientel wird dann plötzlich sehr nachdenklich, man merkt, dass da etwas wirkt. Das gilt im Übrigen auch für viele Vertreter der typischen Raser-Szene.
Repression mittels häufiger Kontrollen sowie Überführung und Verurteilung der Täter ist ein Element, Prävention, also die vorbeugenden Maßnahmen, ein anderes. Wie sieht Prävention heute aus, mit wem kooperieren Sie dabei?
Speziell bei der Klientel, die durch Raserei oder illegale Autorennen auffällt, sind unsere Möglichkeiten schon begrenzt. Wir können ja nicht in irgendwelche Szenelokale gehen und sagen, lasst uns mal über Verkehrssicherheit reden. Auch wenn der Inhaber das genehmigt, wäre der Laden in zwei Minuten leer. Aber im Ernst. Prävention erfolgt bei dieser Zielgruppe durch unsere Verkehrssicherheitsberater, die in Berufsschulen oder Abiturklassen gehen. Zu ihrem Programm gehört dabei auch die Vorführung von Bildern und Videos, die bei den Zuhörern schon mal einen Schock auslösen können. Natürlich wird dieses Instrument der Warnung und Aufklärung maßvoll eingesetzt, ohne den Zuschauern zu viel zuzumuten.
Welchen Effekt haben rigide Strafen, wie etwa die Verurteilung wegen Mordes gegen die beiden Männer, bei deren illegalem Rennen am Kurfürstendamm und am Tauentzien ein Unbeteiligter getötet wurde?
Solche Urteile haben natürlich eine große Signalwirkung. In diesem konkreten Fall sollte man eine Bewertung allerdings erst vornehmen, wenn der Bundesgerichtshof am kommenden Donnerstag über die Revision entschieden hat. Und beim Thema Signalwirkung ist zu bedenken, dass die auch in umgekehrte Richtung da sein kann, etwa wenn ein solches erstinstanzliches Urteil wie in diesem Fall aufgehoben wird. Im Übrigen bietet unser geltendes Recht noch andere Möglichkeiten der Generalprävention, jenseits einer Verurteilung wegen eines Kapitalverbrechens.
Welche sind das im Einzelnen?
Es gibt beispielsweise im Strafrecht inzwischen den Tatbestand „Verbotene Kraftfahrzeugrennen“. In Fällen, in denen durch ein illegales Rennen der Tod oder eine schwere Gesundheitsschädigung eines anderen Menschen verursacht wird, droht dem Täter eine Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren. Schon allein die Gefährdung eines anderen Menschen kann, ohne dass dieser gleich zu Tode kommt, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden. Hinzu kommt, dass auch geringere Strafen in Verbindung mit einem längeren Führerscheinentzug ausgesprochen werden. Und der erzielt fast immer einen Abschreckungseffekt.
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