Berlin. Er war erst zwölf Jahre alt – und wollte dennoch möglichst viele „Ungläubige“ in die Luft sprengen. Der Fall des Minderjährigen, der am 5. Dezember 2016 auf dem Weihnachtsmarkt in Ludwigshafen einen – letztlich nicht detonierten – Sprengsatz deponiert hatte, sorgte bundesweit für Entsetzen.
Nun liegen der Berliner Morgenpost Informationen vor, mit wem der Kinder-Terrorist seine Anschlagspläne womöglich diskutierte. Sie sind verstörend. Denn Mohamed A., so heißt einer der Kontaktmänner, saß zu der Zeit, als er mit dem Ludwigshafener Jung-Islamisten kommunizierte, als Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt Tegel ein. Dennoch konnte er per Handy in einer Internet-Chat-Gruppe über Terroranschläge sinnieren – und bestärkte dabei womöglich auch den Ludwigshafener Nachwuchsdschihadisten in seinen Anschlagsplanungen.

Ein als Gefährder bekannter Islamist, der Gleichgesinnte zu Terrorakten ermutigt – obwohl er sich in unmittelbarer Obhut des Staates befindet: Zuerst hatte das österreichische Internet-Magazin VICE über diesen Fall berichtet. Die Informationen dazu finden sich in der Anklageschrift gegen einen zur Tatzeit ebenfalls noch minderjährigen mutmaßlichen Unterstützer der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) aus Österreich. Der Inhalt ist der Berliner Morgenpost bekannt.
Lorenz K., so heißt der Angeklagte, soll in besagter WhatsApp-Gruppe, in der auch Mohamed A. chattete, ebenfalls mit dem Zwölfjährigen aus Ludwigshafen in Kontakt gestanden haben – und diesen zu dem Anschlagsversuch auf dem Weihnachtsmarkt angestiftet haben. „Bau eine Bombe in Mamas Küche“, hieß das dschihadistische Pamphlet, das er dem Kinder-Terroristen über das Internet zugänglich gemacht haben soll. „Zieh ne fette Jacke an“, soll er ihm unmittelbar vor dem Anschlagsversuch geraten haben. Und: „Dann geh hinter eine Hütte und zünde an.“
Zunächst wollte Mohamed A. bei der Ausreise zum IS helfen
Neben dem nun angeklagten Lorenz K. soll auch Mohamed A. mit dem rheinland-pfälzischen Nachwuchsdschihadisten kommuniziert haben. Bereits Anfang 2016, so die Anklage, soll er zunächst versucht haben, ihm die Ausreise in die IS-Kampfgebiete in Syrien zu ermöglichen. Der Plan scheiterte. Denn der IS war an weiteren Möchtegern-Kämpfern aus Deutschland nicht interessiert. Die Terrororganisation rief ihre Mitstreiter aus Westeuropa stattdessen zu Anschlägen in ihren Heimatländern auf. Der Ludwigshafener begann daher seine Anschlagsplanungen zu konkretisieren.
Seine dschihadistischen Mitstreiter unterstützten den Jungen offenbar. Mohamed A. mischte in den WhatsApp-Gruppen wohl kräftig mit. Beamte des Landeskriminalamtes fanden nach einer Zellen-Durchsuchung auf seinem Handy zahlreiche Propagandavideos vom IS – darunter Folter- und Hinrichtungsszenen. Mohamed A. verbreitete aber offenbar nicht nur Propaganda. Laut Anklage unterstützte er auch die Anschlagspläne des nun in Österreich angeklagten Lorenz K. Dieser solle aber noch etwas warten, schlug A. vor. Nach seiner Haftentlassung gebe es „Action und Bewegung wenn die Tür aufgehe“.
Mohamed A. war bereits vor etlichen Jahren wegen schweren Raubes zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Zum Islamisten wurde er erst im Gefängnis – unter den Augen der Justiz. Dem Vernehmen nach radikalisierte er sich bereits damals per Handy über das Internet. Handys sind im Strafvollzug zwar verboten. Wie leicht es ist, ein Gerät einzuschmuggeln, ist aber ein offenes Geheimnis. Mal werden die Geräte über Gefängnismauern geworfen, mal werden sie von Lieferdiensten oder, so vermuten Behördenmitarbeiter, womöglich von Strafverteidigern oder korrupten Justizbediensteten eingeschmuggelt.
Nun zeigt sich, dass von dem weitgehend unkontrollierten Handy-Gebrauch nicht nur Clan-Chefs profitieren, die aus der Zelle „Geschäfte“ koordinieren. Auch Islamisten pflegen offenbar in der Haft Netzwerke. Ein Beamter: „Es ist problemlos möglich, aus der Zelle heraus Mitstreiter zu einem Anschlag anzuleiten.“
Der Libanon wollte A. erst nicht wieder aufnehmen
Immerhin: Von Mohamed A. geht nun hier keine Gefahr mehr aus: Der mittlerweile 28 Jahre alte Libanese wurde am Montag in sein Herkunftsland abgeschoben. Ausreisepflichtig war er schon lange. Doch der Libanon hatte zunächst wenig Interesse, den Straftäter und islamistischen Gefährder zurückzunehmen. Nach Informationen der Berliner Morgenpost gelang es erst nach intensiven Bemühungen der Berliner Behörden und des Auswärtigen Amtes, die Verantwortlichen in Beirut davon überzeugen.
Dass Mohamed A. in der Haft offenbar sehr leicht an ein Handy gelangen konnte und er damit Dschihadisten anstachelte, sorgt in den Sicherheitsbehörden für Kopfschütteln. Dass er nun in den Libanon abgeschoben wurde, gilt dagegen als wichtiger Erfolg. Denn A. galt als hochgefährlich. In einem behördeninternen Vermerk des Landeskriminalamtes hieß es, dass er wegen seiner „Fokussierung auf dschihadistische Aktivitäten und in Verbindung mit seiner gewalttätigen Persönlichkeit eine Gefahr für die innere Sicherheit Deutschlands“ darstelle. Es sei davon auszugehen, dass er „jede Gelegenheit für einen Anschlag/Angriff auf Ungläubige nutzen will“.
Justizbeamte beschimpfte er als „ungläubige Hurensöhne“
Wäre A. entlassen worden, hätte die Polizei ihn, so der Plan, rund um die Uhr bewacht. Ein personeller Kraftakt. Doch soweit kam es nicht. Denn bevor A. im Juli vergangenen Jahres hätte entlassen werden müssen, gelang es der Staatsanwaltschaft in letzter Sekunde, einen weiteren Haftbefehl zu erwirken. Den Grund hatte ihnen A. geliefert, als er bei einer Zellendurchsuchung zwei Bedienstete angriff und sie als „ungläubige Hurensöhne“ beschimpfte. Das darauf folgende Urteil ließ die Sicherheitsbehörden aufatmen. Denn die weiteren sechs Monate Haft gaben ihnen die Zeit, in aller Stille – und letztlich erfolgreich – die Abschiebung auf den Weg zu bringen.
Ein Sprecher der Innenverwaltung sagte, dass einzelne Abschiebungen grundsätzlich nicht kommentiert würden. Ein Sprecher der Justizverwaltung versicherte – angesichts der offenbar problemlosen Handy-Nutzung durch A. – dass Gefährder in den Haftanstalten inzwischen deutlich strenger kontrolliert und nach Möglichkeit räumlich voneinander getrennt würden. Leicht ist das nicht. Denn angesichts der vielen Verurteilungen sitzen in den Berliner Gefängnissen mittlerweile rund 15 als gewaltbereit geltende Islamisten. Früher oder später, so ein Behördenmitarbeiter, würden diese sich in den Anstalten natürlich über den Weg laufen.
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